Resignation in der Heimatfremde

■ Politische Einschätzungen von türkischen und kurdischen Berlinern zur Bezirksverordnetenwahl/ Allgemeine Prognose: Weitere Erfolge der Rechtsradikalen/ Manche hegen Ausreisegedanken/ Andere organisieren sich in Verbänden

Berlin. »Es besteht bei den Einwanderern aus der Türkei die Angst, daß sich die Ausländerfeindlichkeit noch mehr verbreitet. Infolgedessen werden auch erneut Rückkehrpläne in die Heimat gehegt«, beschreibt Ali Yumusak Chefredakteur der türkischsprachigen Tageszeitung 'Hürriyet‘ die Sorge der nichtdeutschen Berliner aus der Türkei drei Wochen vor den BVV-Wahlen. Viele befürchteten eine Fortsetzung der Wahlerfolge der Rechtsradikalen auch bei den Wahlen in Berlin. Dies drücke sich in den häufigen Anrufen der Leser bei der Redaktion aus, wobei es oft um den befürchteten Rechtsruck gehe.

Anders als Yumusaks Feststellung vertritt die Ausländerbeauftragte von Schöneberg, Emine Demirbüken, eine optimistischere Auffassung: »Die Einwanderer sind inzwischen stark verwurzelt mit dem hiesigen Leben. Eine Rückkehr kommt für sie deshalb nicht mehr in Frage«.

Nicht Resignation, sondern eher »ein langsames Durchbrechen des Schweigens« sei zu beobachten. Denn die Einwanderer tun sich allmählich in eigenen Organisationen zusammen und bringen somit ihre Anliegen zur Sprache. Doch auch Demirbüken befürchtet, daß die »Republikaner« und die »Deutsche Liga für Volk und Gemeinschaft« gute Aussichten haben, bei den bevorstehenden Wahlen erfolgreich abzuschneiden, da der Boden hierfür ziemlich fruchtbar sei.

Eine andere Einschätzung zur Stimmung der nichtdeutschen Bevölkerung in Berlin hat Safter Cinar, Leiter der Ausländerberatungsstelle des DGB (Deutscher Gewerkschaftsbund). Für ihn ist bei den Einwanderern eher eine Haltung zwischen Resignation und Konfrontation festzustellen. Resignation, weil ihnen bei der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit und den immer häufiger werdenden Fällen an Übergriffen der Schutz von den zuständigen staatlichen Organenen fehle. Weiterhin werde ihnen auf politischer Ebene das Mitspracherecht per Ausländergesetz vorenthalten. Um hierbei einer tendenziell zu beobachtenden Entwicklung Richtung Konfrontation entgegenzuwirken, sei es entscheidend, daß vor allem die etablierten Parteien bei ihren Wahlkampagnen die Einwanderer und Asylbewerber nicht zu Objekten ihrer Politik machten.

Die Gefahr, daß die Rechtsradikalen bei den deutschen Wählern Resonanz finden, ist auch für Murat Barut, den Sprecher des vor kurzem gegründeten »Bundes der Einwanderer der Türkei in Berlin«, wahrscheinlich. Der erneut aufkeimende Rechtsradikalismus im vereinigten Deutschland, so hebt Barut hervor, ist im Grunde ein »Problem aller Demokraten« und unterstreicht zugleich die Notwendigkeit des Dialogs zwischen den gesellschaftlichen Gruppen und Parteien. Unzumutbare Lebenszustände in der Gesellschaft wie Arbeitslosigkeit, Armut und Wohnungsnot sind es seiner Meinung nach, die zu verstärkter Ausländerfeindlichkeit führen. Barut hat festgestellt, daß bei den Einwanderern vermehrt Resignation und Enttäuschung auftrete. Gleichzeitig wachse aber auch die Bereitschaft zur Gewalt. Deshalb erwartet Barut in dieser Hinsicht mittelfristig keine friedvolle Entwicklung. Gefragt sei eine inhaltliche und sachliche Auseinandersetzung mit der Problematik der Ausländerfeindlichkeit — angefangen in den Kitas und Schulen.

Gleichzeitig fordert Barut eine allgemeine Gleichstellung der Einwanderer in der Bundesrepublik. Dazu zählt unter anderem die Forderung, die Bundesrepublik faktisch als Einwanderungsland und multikulturelle Gesellschaft anzuerkennen. Notwendig sei auch das Recht auf Doppelstaatsbürgerschaft und die Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes.

Von den 360.000 Einwohnern Berlins nichtdeutscher Staatsangehörigkeit sind 40.000 Kurden. Auch sie sind mit Ängsten vor Rechtsradikalismus geplagt und resignieren wegen ihrer politischen Machtlosigkeit. Zur Zeit haben aber die in Berlin lebenden Kurden — so Hasan Yildiz, Vorstandsmitglied des Kurdischen Kultur- und Beratungszentrums e.V. — andere Probleme als die bevorstehenden Berliner Wahlen. Angesichts der Repressionen gegen die Kurden in der Türkei würde Yildiz die Lage der Kurden hier als paradiesisch bezeichnen.

Im übrigen sollte man nach seiner Ansicht, wenn man schon vom Rassismus bei Deutschen spricht, den Rassismus bei Ausländern nicht unausgesprochen lassen. Denn die Anerkennung einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland, wie sie beispielsweise von türkischen Organisationen gefordert wird, wirke sonst unglaubwürdig. Die Zukunft stellt sich Yildiz düster vor, solange keine wirksame Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung geleistet würde und alle demokratischen und progressiven Kräfte sich nicht entschlossen gegen Rassismus und Gleichberechtigung aller zusammenfänden.

Beunruhigt sind bei der steigenden Fremdenfeindlichkeit auch die Berliner Muslime, stellt Ahmet Algan, Sprecher der Islamischen Föderation Berlin, fest. Die Verschlechterung der Lebenslage und die damit verbundene Intoleranz und Radikalität unter den deutschen Nationalisten enttäusche die Berliner Muslime und erzeuge bei ihnen Existenz- und Zukunftsängste. Muslime, die sich als niedergelassene Einwanderer in Berlin beispielsweise vorgenommen hatten, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, wendeten sich von diesem Gedanken immer mehr ab. Das erneute Aufleben des Nationalismus in Deutschland kann sich Algan nur mit der wirtschaftlichen Krise erklären. Somit sei es Sache der Deutschen und ihrer Politiker, die Wirtschaft wieder anzukurbeln, um dem Nationalismus ein Ende zu machen. Ansonsten sieht er die Gefahr, daß der Nationalismus der Deutschen auch den Nationalismus unter den Einwanderern verstärke. Damit könnte auch die Gewaltbereitschaft von nichtdeutscher Seite zunehmen. Halil Can