Fluchtpunkt im Uni-Alltag

■ Zweieinhalb Jahre selbst organisierte Projekttutorien an der FU

Berlin. Ihre roten, grünen, gelben Veranstaltungskalender gehen weg wie die berühmten warmen Semmeln. 7.500 hatten sie zu Beginn dieses Semesters drucken lassen — innerhalb von zwei Wochen waren sie vergriffen. Die Projekttutorien an der FU können sich über mangelndes Interesse bei den Studierenden nicht beklagen.

Seit zweieinhalb Jahren gibt es sie an der FU — ausgestattet mit einem ansehnlichen Finanztopf von 1,3 Millionen Mark, aus dem TutorInnen und notwendige Hilfsmittel bezahlt werden. 1989 ging es nicht zuletzt darum, die Streik-StudentInnen zu beruhigen, indem ihnen die Heckelmann-Universität eine finanziell ziemlich gut ausgestattete Spielwiese für alternative Lehr- und Lernformen bereitstellte. Für die Projekttutorien war das der wunde Punkt: Sie wollten natürlich nicht die Dummen sein, die sich ihren revolutionären Zorn abkaufen ließen. Indes — die Erfahrung lehrte, daß die Angst unbegründet war. Der Un(i)mut des Streiksemesters hätte sich auch ohne die offizielle Beruhigungsstrategie gelegt.

Die Projekttutorien, die ihre Veranstaltungen noch heute mit dem Streik-Emblem des zähneknirschenden »Heckelbärs« ankündigen, sind mittlerweile ein gutes Beispiel dafür, wie trotz Institutionalisierung StudentInnen kleine Fluchten aus dem grauen Alltag der offiziellen Universität gelingen. Angst vor der Uni-Bevormundung, Streit mit der Verwaltung und der Aufsichtskommission, die die Verteilung und Verwendung der Gelder überwacht, hat es genug gegeben.

Rechte Uni-Professoren mochten und mögen nicht einsehen, warum bis zu 1,3 Millionen Mark für eine so zweifelhafte studentische Geschichte ausgegeben werden. Peter Grottian als Vorsitzender des »Aufsichtsrates« wollte die Kontrolle der Tutorien verschärfen. Letztlich kämpften die StudentInnen jedoch erfolgreich um den nötigen Freiraum für ihre Veranstaltungen.

Der Preis, den sie zahlen, ist das Desinteresse der Fachbereiche an ihren experimentellen Lehr- und Lernerfahrungen und an den inhaltlichen Anstößen, die sie zu geben vermögen. Nur in Ausnahmefällen konnten sie ihrem ursprünglichen Anspruch gerecht werden und auf die Fachbereiche zurückwirken. Bei den Veterinärmedizinern wird heute durch entsprechende Projekttutorien über Homöopathie und Akupunktur diskutiert. Die TheaterwissenschaftlerInnen haben den Feminismus entdeckt. Ansonsten bleiben die Projekttutorien unter sich — Veranstaltungen, in denen sich einige hundert StudentInnen mit Themen beschäftigen, die zumeist im offiziellen Lehrbetrieb vernachlässigt werden. Zwei, höchstens vier Semester lang zahlt die Uni TutorInnenstellen für die Seminare. Viele machen aber weiter, auch wenn kein Geld mehr fließt.

Schwieriger zu realisieren, als manche erwartet haben dürfen, gestaltet sich der herrschaftsfreie Diskurs, den die Tutorien pflegen wollen. Wenn sich die Tür zu mancher Veranstaltung schließt, so beginnt auch dort der herkömmliche Frontalunterricht. Die Regel ist das jedoch nicht. Die meisten Tutorien sind auf dem Weg, die Hierarchien beim Lernen abzubauen, mehr oder weniger weit vorangekommen. Nicht zuletzt sind die Projekttutorien ein Ort intensiver Kommunikation unter StudentInnen. So attestierte Peter Grottian ihnen in einer Zwischenbilanz, die er Anfang dieses Jahres zog, sie könnten eine »produktive Antwort auf die gehobene Verwahrlosung der Universitäten« sein. Winfried Sträter