Geknödelt in den Orchestergraben

■ Heyme eröffnet mit „Kiss me Kate“ die Ruhrfestspiele

Was war das für ein Theater in Recklinghausen, als das Theater noch nicht angefangen hatte! Die ÖTV bestreikte die Premiere von Kiss me Kate am 2.Mai und damit den Beginn ihrer eigenen „Ruhrfestspiele“; Roberto Ciulli rief als Gewerkschafts-Antipode einmal mehr in die entgegengesetzte Richtung, und die Arbeiter des Ruhrgebiets gingen nicht ins Theater, sondern hielten Mahnwache unter dem Prozentplakat. Soweit war das Theater ein bemerkenswertes Theater, bei dem wir Schreiber aus dem Fenster auf den Müll schauten und Glossen darüber schrieben, wie ein Gewerkschaftsfestival von der Gewerkschaft bestreikt wird.

Am Tag der nun verspätet angesetzten Premiere verkündet Festivalchef Heyme in den Zeitungen einen Verlust von einer halben Million Mark wegen der Verschiebung; am Abend dann richtet er selbst den größten Schaden an: die Demontage eines Musicals zum Radausalat, die Demontage des großzügigen Festspielhauses auf Recklinghausens grünem Hügel zur plärrenden Rappelkiste. Heyme, wo waren Sie während der Proben? Bella und Samuel Spewack haben 1948 für den Broadway ein Musical geschrieben, in dem ein von Eifersucht, Liebes- und Geldnot getriebenes Ensemble Shakespeares Der Widerspenstigen Zähmung probt. Der große Cole Porter umgarnte im Stück das Werben des Produzenten und Shakespeare- Haupdarstellers Fred Graham um die rabiate Lilli Vanessi mit einer urbanen Symphonie aus Jazz und Chanson, schrieb den Darstellern Texte auf den Leib, die so leicht waren, daß man bis heute alles damit machen kann.

Doch heute läuft bis auf das von Alfons Nowacki souverän eingestimmte Orchester alles schief. Die Bühne ist ein einfallsloses Riesenloch, in dem der Shakespeare- Schriftzug als Neonwerbung blinkt. Die Darsteller laufen — schließlich sind wir ja gut gelaunt heute abend — wie auf Eiern, die Tänzer drehen wacklig alte Schleifen, und der Gesang der Hauptdarsteller ächzt bemüht, um die geknödelten oder gequietschten Vokale viel zu früh und doch immer zuverlässig in den Orchestergraben rutschen zu lassen. Dafür kommt das, was sich unten andeutet, nie oben an. Den Swing hört man, aber man sieht ihn nicht. Die heißen Vierziger hört man, aber man sieht sie nicht, auch und obwohl wir sie dauernd von Heyme gezeigt kriegen: durch schrille Kostüme, verlorene Pferderennwetten, nervöse Inspizienten und korrupte Kredithaie. Und auch den Rhythmus hält nur das Orchester richtig: oben werden schlechte Pointen wiederholt. Werden Lieder durch Refrain-Wiederholungen zu Endlosschleifen, wird die von Shakespeare (und auch von Spewack/Porter) angedeutete Commedia dell'arte in den Probeszenen der Widerspenstigen zu feister Stadl- Fröhlichkeit. Der Lärm narkotisiert, die Ideenlosigkeit der Choreographie und Regie ist quälend. Die Darsteller passen sich vom vorgegebenen Niveau bis auf wenige Ausnahmen an. Ursula Vincent grimassiert ihre doch so dankbare Rolle der Lilli Vanessi zu Tode und tritt dem Knödelbarden Michael Flöth als Fred Graham pausenlos in die Knochen. Marcello de Nardo purzelt als Tourneetheater-Schönling von Kniefall zu Kniefall, und nur die kecke Isabel Dörfler ist als Ann Lane nicht nur sauber und ergreifend bei Stimme, sndern versieht ihre kurzen Auftritte als Paradetochter mit gescheitem Mienenspiel und dezenten Pointen, die in diesem Festival der Undezenz sozusagen als Appetithäppchen gereicht werden.

Vergessen wir diese Aufführung so schnell wie möglich und wünschen Heyme für die Zukunft alles Gute. Der Mann hat viel erreicht für das Theater im Ruhrgebiet — mit Kiss me Kate hat er seinen größten Flop gelandet. Die, die sich zu klatschen entschlossen hatten — und das waren bei weitem nicht alle — jubelten sich in Rage. Der Rest suchte fluchtartig das Weite. Alexander Gorkow