Die Spiele sind eröffnet

■ Das 29. Theatertreffen Berlin wurde am Freitag mit Hans Lietzaus »Blauem Boll« von den Münchner Kammerspielen eröffnet/ Heute sind gleich vier Parallelveranstaltungen zu sehen

Kaum war am Freitag kurz vor 11 Uhr abends in der ausverkauften Freien Volksbühne der letzte Vorhang für die Eröffnungsinszenierung Der blaue Boll gefallen, strömten die zahlreichen Ehrengäste auch schon zum Galaempfang des Kultursenators ins Spiegelzelt. Unter dem dreistöckigen Kristallüster zeigte man sich, spiegelte sich, unterhielt sich. Als der Gastgeber Roloff-Momin offiziell seine Gäste begrüßte, erinnerte er in seiner Rede unter anderem daran, daß mit Andrej Worons Das Ende des Armenhauses endlich auch eine Off- Theaterproduktion »in den olympischen Kreis des Theatertreffens« aufgenommen worden sei. In dieser Öffnung liege eine — wenn nicht die — Zukunft des Festivals, meinte der Kultursenator. Bevor er zur großen Freude aller das opulente Buffet für eröffnet erklärte, gab er pflichtgemäß noch schnell seiner Hoffnung Ausdruck, das Theatertreffen möge auch weiterhin »die Befindlichkeit des vereinten Deutschland spiegeln«.

Er sagte allerdings nicht, daß die Jury diese Befindlichkeit in diesem Jahr vor allem dadurch spiegelte, daß sie nur eine einzige Ost-Produktion eingeladen hatte. Eben jene Woyzeck-Inszenierung von der Berliner Freien Volksbühne am Rosa- Luxemburg-Platz (Regie: Andreas Kriegenburg) war dann am Samstag und Sonntag noch einmal im eigenen Haus zu sehen.

Parallelen

Heute wird es gleich vier parallel laufende Veranstaltungen geben: Im Deutschen Theater zeigt Andrea Breth O'Caseys Das Ende vom Anfang (Besprechung folgt).

»Endspiel«

Bereits einmal in den vergangenen zehn Jahren waren Inszenierungen von Jürgen Gosch zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Heute und morgen abend ist in der Freien Volksbühne seine Bochumer Beckett-Inszenierung Endspiel zu sehen. Die Aufführung hatte im vergangenen Herbst Premiere, zeitgleich mit Herbert Königs Inszenierung desselben Stückes in Düsseldorf, die auch für das Theatertreffen vorgeschlagen war.

Jürgen Gosch, von dem es kaum theoretische Äußerungen über seine Arbeiten gibt — er ist ein Macher im besten Sinn des Wortes —, sagt über sich: »Ich will mit meiner Theaterarbeit nichts vermitteln, was über seine Gegenstände hinausweist.« Damit ist er sicher gerade dem großen Iren, dem Klassiker des Absurden Theaters sehr nahe, der in seinen Stücken Zustände aufzeigt, aber keine Lösungen bereithält, weil es für ihn und uns keine Lösungen gibt.

»...In Düsseldorf sieht man ein Vorspiel auf dem Theater«, schrieb die taz anläßlich der beiden Premieren, »in Bochum folgt der Prolog in der Hölle. Dort hält man sich viel enger an das Modell von Bekketts Selbstinszenierung. Johannes Schütz' Bühnenbild entspricht fast genau dem Vorbild: kleine Fenster hoch über dem Boden, schmutzigweiße Wände, rostige Mülltonnen für die Alten. In diesem engen Rahmen entfaltet sich ein detailgenaues Spiel, das der Präzision von Becketts Modellinszenierung nahekommt. [Es] findet jene rare Balance zwischen Humor und Horror, zwischen Banalität und Kunst, die Becketts Stücke brauchen« (G. Preußer).

»Blaubart«

Cesare Levi, ein italienischer Regisseur, dessen Aufführung Sommergeschwister vor kurzem an der Schaubühne Premiere hatte, ist auf dem Theatertreffen mit Blaubart vertreten. An der Wiener Burg, und zwar nicht auf der Hauptbühne, sondern hoch oben unterm Dach, auf dem Lusterboden, inszenierte er das Puppenspiel von Georg Trakl. Diese Aufführung wurde von der Kritik als die schönste der letzten Saison bewertet. Bereits 1984 gab es eine Inszenierung dieses Stückes im Teatro dell'Aqua in Italien; damals schuf den Bühnenraum Cesare Levis Bruder Daniele, der im letzten Jahr starb. Auch als Hommage an seinen Bruder inszenierte Levi das Fragment von Trakl, diesmal mit Schauspielstudenten, in einem neuen Raum noch einmal. Er läßt den Zuschauer in eine Marionettenwelt mit Menschen schauen. Auf der kleinen Bühne wirken die Schauspieler wie überlebensgroße Puppen, und doch liegt der Reiz der Aufführung gerade darin, daß sie nicht Puppen spielen, sondern, wie der Regisseur selbst betont, »mit der Spanne zwischen Puppe und Mensch, Bewegung und Erstarrung spielen«.

Cesare Levi gilt als ein Liebhaber der Form; Form impliziert für ihn die Möglichkeit, die Grenzen der Realität zu sprengen, über das Leben an sich hinauszuweisen und damit freier und offener mit dem Leben und der Welt umgehen zu können.

»Es gibt Dinge im Leben, die möchte man aufnehmen und in sich verwahren. Man möchte sie in einem Kästchen verschließen, das man zu gegebener Zeit öffnet, um sie für sich allein noch einmal zu genießen«, schrieb Tanja Neumann in der taz, nachdem sie vergangenes Jahr in Wien eine »Blaubart-Probe« gesehen hatte. Weiter heißt es da: »Es ist selten, daß im Theater die Zeit stillzustehen scheint und man zugleich ihr unentrinnbares Verstreichen fühlt; daß man wünscht, es ginge immer weiter, und zugleich, es hielte an, um ganz genau zu sehen, zu hören, zu begreifen.«

Schließlich verleiht Berlins große Diseuse Georgette Dee am gleichen Abend dem Theatertreffen noch eine musikalische Note: im Rahmenprogramm des Festivals bringt sie heute abend gemeinsam mit ihrem Pianisten Terry Truck im Schillertheater »Lieder für Marlene D.« zu Gehör. kl/burk

Blaubart heute 18.00 und 20.00 Uhr; 19. und 20. Mai, 18.00, 20.00, 22.00 Uhr im Ballhaus Rixdorf

Endspiel heute und morgen 19.30 Uhr, Freie Volksbühne.

Liederabend für Marlene D. mit Georgette Dee heute abend um 20 Uhr im Schillertheater