Schuld ist der Protestantismus?

Zwei Bücher zum Thema „Die neue deutsche Rechte“ haben einzeln gelesen ihre Schwächen  ■ Von Annette Rogalla

Dem bundesdeutschen Rechtsextremismus hängt nicht mehr der Geruch von NPD, Heimatvertriebenen und alten Herren mit Prostataleiden an, er ist salonfähig geworden — folglich steigt die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema. Zahlreiche soziologische Abhandlungen favorisieren in der Hauptsache zwei Erklärungsmuster: Im Westen finden sich die „Modernisierungsverlierer“. Für den Osten wird — sozusagen komplettierend — die These vom „Rattenfänger“ hinzugefügt. Aber beide zählen sie gleichermaßen zu den „Verlierern“: der verführte Ossi wie der ausgeschlossene Wessi. Besteht wirklich kein Unterschied zwischen den Ost-West-Brüdern und -Schwestern der Gedanken und Tat?, fragen Eberhard Seidel-Pielen und Klaus Farin in ihrem Buch Rechtsruck.

Die keck gestellte Frage, „wie hoch denn das Pro-Kopf-Einkommen sein muß, damit der Rechtsradikalismus an Attraktivität verliert“, zieht sich als roter Faden durch das Buch. Ihren Beobachtungen fügen die Autoren Zahlen bei: Das rechtsextreme Potential in ostdeutschen Städten beträgt zehn Prozent, 14 Millionen Westdeutsche halten trotz 1968 strikt am autoritär-antidemokratischen Wertesystem fest. Und: zweieinhalb Jahre nach der Wende sind die Ostdeutschen politikmüde wie nie zuvor.

Eine andere Schlüsselszene in Rechtsruck: Oberntief in Franken (300 Seelen, 58Prozent Rep-Wähler). Am Biertisch begründen vergnatzte Männer ihre Rechtswahl. Schuld tragen CSU und Kirche. Die einen brachten Flurbereinigung und EG-Agrarpolitk ins Dorf, zerstörten somit mittelständische Strukturen. In mutiger Verkürzung explizieren Seidel-Pielen und Farin an ihrem Besuch in Obertief die These, das Fundament der rassistischen deutsch- deutschen Gesinnung liege im Protestantismus. Der evangelischen Kirche werfen sie die Weiterentwicklung der religiösen Überhöhung der deutschen Volksidee nach der Reichsgründung von 1871 vor und warnen vor den „Spätfolgen“ des historisch-protestantischen Antisemitismus. Den wesentlich älteren Antisemitismus der katholischen Kirche lassen sie schlichtweg außer acht.

Beim Versuch, den Rechtsruck in den neuen Bundesländern zu erklären, steht Jochen Tschiche mit sogenannten religiösen „Hintergrundannahmen“ bei. Der Gründer des Neuen Forums und Vorsitzender der Landtagsfraktion des Bündnis90 in Sachsen-Anhalt weist im Interview auf die Kontinuitätslinie zwischen Autoritätshörigkeit und protestantistischer Lebenshaltung hin, auch wenn weniger als 20Prozent der DDR-Bevölkerung Kirchenmitglieder waren. Moralinsaurer Glaube, lustfeindlich und preußisch: im Rechtsradikalismus ostdeutscher Prägung erbreche sich heute der Gefühlsstau einer rigiden sozialistischen Gesellschaft.

Farin und Seidel-Pielen unterfüttern sorgsam die allerdings nicht mehr ganz taufrische These, unsere Gesellschaft agiere zu wenig politisch auf den Rechtsruck. Und auf die Frage: Was tun? wissen sie zunächst auch nur, was nicht funktioniert. Sozialarbeiterischen Bemühungen mit rechtsradikalen Jugendlichen prognostizieren die Autoren wenig Erfolg. Die Programme der Bundesregierung laufen nur drei Jahre, greifen zu kurz, personell wie finanziell knapp ausgestattet können sie zudem von harten neonazistischen Gruppen „zweckentfremdet“ werden. Das verwundert nicht, denn herkömmliche Sozialpädagogik funktioniert meist erst dann, wenn die Klientel sie funktionalisieren kann. Was also statt dessen? Seidel-Pielen und Farins schnell heruntergesagte Antworten überschreiten leider auch nicht den Horizont sozialpädagogischer Altweisheiten. Etwa wenn sie Lehrern empfehlen, die deutsche Geschichte „kontrovers, leidenschaftlich und kreativ anzupacken“ oder ihren Schülern „Projektwochen und Exkursionen“ vorzuschlagen. Daß auch die Sozialpädagogik mit neuen Methoden und Modellen auf die Rechtsbewegung der Jugend reagieren muß, streiten die Autoren rundweg ab. Sie entpolitisieren das Thema gänzlich, wenn sie raten, jeder solle den „kleinen Rassisten“ in sich entdecken und nicht totschweigen. Wie bei einem Schnupfen kann man sich auch vor der rechten Lebenseinstellung schützen, denn „wirklich selbstbewußte, ..., sexuell und privat halbwegs zufriedene Menschen sind tendenziell immun“. Man könnte auch sagen: Vögel dir den Adolf Hitler aus dem Kopf.

Wer wissen will, wie sie sich privat gibt, die neue deutsche Rechte, dem sei ein anderes Taschenbuch empfohlen: Rechte Kerle, ein Porträtband über die neofaschistischen Kleinst-Parteien wie FAP, DA und andere. Über ein Jahr hat der Autor Burkard Schröder seit dem Fall der Mauer im rechtsmilitanten Milieu recherchiert. Der Fotograf Dietmar Gust begleitete ihn. Herausgekommen ist ein dichter Reportageband mit ästhetischen Bildern. Pogo tanzende Skins schockieren nicht mit haßverzerrter Visage, sondern irritieren durch ausgelassenes Lachen.

Autor und Fotograf klappern auf ihrer Reise durch die neuen Bundesländer rechtsradikale Hochburgen ab, fahren von Guben nach Cottbus, Dresden und Halle, treffen die rechten Führer auf Marktplätzen und in Sälen, wie sie agitieren und schulen. Dankenswerterweise reflektiert Schröder nicht allzulang über die gängige Modernisierungstheorie. Er stöbert die Basis des Rechtsradikalismus auch im Eurozentrismus auf.

Weniger interessieren Zahlen und soziologische Untersuchungen, Rechte Kerle konzentriert sich auf die Täter als Individuen. Obgleich Rechtsruck keine wesentlich neuen Erkenntnisse vermittelt, bürstet die Art, Fragen zu beantworten, leicht gegen den üblichen linken Strich. Ein Buch für den schnellen Leser, der sich komprimiert über die rechte Lage informieren will. Benutzerfreundlich wurden die Adressen östlicher Initiativen gegen den Rassismus zusammengestellt, ebenso die kommentierte Bücherliste. Für sich gelesen, weist jedes der beiden Bücher Lücken auf — zusammen gelesen allerdings ergänzen sie sich.

Klaus Farin und Eberhard Seidel- Pielen: Rechtsruck. Rotbuch Verlag Berlin, 133Seiten plus Anhang, 15DM.

Burghard Schröder: Rechte Kerle. rororo, 246Seiten, 14,80DM.