„Unfähige Mitglieder müssen eben raus ...“

Zur Adolf-Erbslöh-Retrospektive in Wuppertal  ■ Von Stefan Koldehoff

Den Weggefährten Wassily Kandinsky überlebt er um drei, den langjährigen engen Freund Alexej von Jawlensky gar um sechs Jahre: So berühmt wie die beiden Wegbereiter der abstrakten Kunst im 20.Jahrhundert wurde Adolf Erbslöh trotzdem nie. Seine Werke schlummern heute, anders als die der beiden Kollegen, nicht selten in den Museumsdepots vor sich hin: Obwohl er lange zur Münchner Künstleravantgarde vor dem Ersten Weltkrieg zählte, hatte er sich letztlich nicht von der Tradition und der mit ihr verbundenen Liebe zur Gegenständlichkeit zu lösen vermocht. Eine offene Auseinandersetzung mit Franz Marc und Wassily Kandinsky führte schließlich zur Spaltung der von Erbslöh mitbegründeten „Neuen Künstlervereinigung München“ und zum Entstehen des „Blauen Reiters“. Nach 25jähriger Ausstellungspause zeigt das Wuppertaler Von-der-Heydt-Museum nun wieder eine umfangreiche Retrospektive Adolf Erbslöhs.

In Wuppertal verbrachte Erbslöh Kindheit und Jugend. 1881 in New York geboren, zog es seine Familie sechs Jahre später in den heutigen Stadtteil Barmen zurück. Die damals noch selbständige Textilstadt zählte im wilhelminisch-konservativen Deutschen Reich zu den kulturpolitisch progressivsten Städten. Fortschrittlich gesinnte Museumsleiter machten hier schon früh die Impressionisten und später die Expressionisten bekannt und scheuten sich auch nicht, Bilder als Geschenke von Fabrikanten anzunehmen, die sie sich selbst nur durch Kinderarbeit und unsoziale Ausbeutung ihrer Arbeiterinnen und Arbeiter hatten leisten können. 1901 zieht es den 20jährigen Erbslöh zum Studium an die Akademie nach Karlsruhe, 1904 siedelt er endgültig nach München über. Hier entstehen nach impressionistischen und pointilistischen Versuchen ab 1909 die ersten großformatigen Gemälde in bester expressionistischer Manier.

Akt mit rotem Strumpfband (1909) und das Mädchen mit rotem Rock (1909) zeigen deutlich den Einfluß Alexej von Jawlenskys. Mit ihm, Kandinsky, Alexander Kanoldt, Alfred Kubin, Gabriele Münter, Marianna von Werefkin, Heinrich Schnabel und dem ebenfalls aus Barmen stammenden Oskar Wittenstein gründet er am 22.Januar 1909 die „Neue Künstlervereinigung München“ (NKVM), deren Schriftführer Erbslöh wird. Noch im selben Jahr treten auch Paul Baum, Wladimir von Bechtejeff, Erma Bossi, Karl Hofer, Moissey Kogan und Alexander Sacharoff, später noch Pierre Girieud, Le Fauconnier, Otto Fischer und Franz Marc bei.

Marc ist einer der ersten Maler, der die unüberbrückbaren Gegensätze in der nur scheinbar durch die avantgardistische Idee geeinten Vereinigung bemerkt. In einem Brief an Maria Franck schreibt er am 13.Februar 1911: „Ich weiß nicht, ob ich Dir im letzten Brief schrieb, daß bei Erbslöh und Kanoldt etc. Stimmung gegen Kandinsky herrscht, vor allem auch künstlerisch. Ich vermute Bechtejeff auf derselben Linie, — ich stehe jedenfalls auf der anderen; denn was Erbslöh etc. macht, ist mir zu stark ,alte Kunst‘, so schön sie ist. Sie ist wohltuend, aber nicht von jener absoluten inneren Notwendigkeit wie Jawlensky, Kandinsky und auch Münter.“ Wer die Wuppertaler Ausstellung besucht, kann dieses Urteil nachvollziehen: Erbslöhs in satten Grüntönen gehaltenen Landschaften, die pastos modellierten Akte und im Stil der Neuen Sachlichkeit der zwanziger Jahre kompnierten späten Blumenstilleben und Porträts sind zahm, beruhigend und dem Auge gefällig. Ein halbes Jahr nach den ersten Anzeichen für das Auseinanderbrechen der Neuen Künstlervereinigung teilt Franz Marc im August 1911 seinem Freund August Macke mit: „Ich sehe, mit Kandinsky, klar voraus, daß die nächste Jury (im Spätherbst) eine schauderhafte Auseinandersetzung geben wird und jetzt oder das nächstemal dann eine Spaltung, respektive Austritt der einen oder anderen Partei; und die Frage wird sein, welche bleibt. Wir wollen die Vereinigung nicht aufgeben, sondern unfähige Mitglieder müssen eben raus. (Es ist meine feste Überzeugung, daß Kanoldt, Erbslöh, Kogan sich über kurz oder lang als unfähig erweisen werden.)“

Trotzdem sind es am 2.Dezember 1911 Kandinsky, Marc und Münter, die die Vereinigung verlassen, um ebenfalls in München den „Blauen Reiter“ zu gründen. Adolf Erbslöh tritt, nachdem die Neue Künstlervereinigung nach dem Krieg nicht wiederaufersteht, der Neuen Sezession München bei und besucht in den zwanziger Jahren Italien, die USA und Südamerika. Die in diesen Jahren entstandenen Landschaften und Porträts entsprechen in ihrer farbigen Sachlichkeit dem Geschmack der Zeit. Erbslöh kann von seiner Malerei gut leben und sich sogar eine eigene Kunstsammlung mit Werken von Picasso und Delaunay leisten. 1928 malt er sein einziges Selbstbildnis, das die eigene Person und Persönlichkeit mehr zurücknimmt als darstellt: Die Augen hinter starken Brillengläsern verborgen, malte sich Erbslöh bewußt als introvertierter Maler in seinem Atelier. Der Schopenhauer-Kenner mochte von sich selbst nichts preisgeben, Zeitgenossen beschrieben den mürrisch von der Leinwand hinabschauenden Mann dennoch als kinderlieben und bisweilen sogar albernen Menschen.

1931 richtete der Barmer Kunstverein zum 50. Geburtstag Adolf Erbslöhs die erste große Retrospektive aus, bald darauf beschlagnahmten die Nationalsozialisten auch seine Werke als „entartet“. Erbslöh zog sich nach Icking-Irschenhausen im Isartal zurück, wo er 1947 65jährig starb. Seine jetzige Rückkehr nach Wuppertal verdankt der Maler, der den einmal eingeschlagenen Weg hin zur Moderne nicht zu Ende gehen mochte, dem Umstand, daß hier lange Jahre ein von seinem Großvater gegründetes Aluminiumunternehmen ansässig war. Inzwischen nach Velbert umgezogen, beschloß die Firma, anstelle eines Empfangs oder einer Festschrift zum 150jährigen Jubiläum in diesem Jahr gemeinsam mit dem Von-der-Heydt-Museum die Retrospektive mit 100 Gemälden zu finanzieren. Mit das schönste Bild der Ausstellung, die expressive Schwebebahn von 1912, die auch den ausführlich bebilderten Katalog ziert, ging Wuppertal dabei erst nach dem Krieg endgültig verloren: Als das Ölgemälde in den Fünfzigern aus Privatbesitz angeboten wurde, lehnte das Von-der-Heydt- Museum ab: Erbslöh war nicht so gefragt, daß man für ihn Geldmittel freimachen wollte. Die Kunsthalle Bremen freute sich — und kaufte das Bild.

Adolf Erbslöh — Gemälde 1903-1945. Von-der-Heydt-Museum, Wuppertal, noch bis zum 31.Mai 1992; Kunsthalle Bremen, 14.Juni bis 9.August 1992; Museum im „Stern“, Warburg, 30.August bis 11.Oktober 1992; Sinclair-Haus, Bad Homburg, 19.Oktober bis 13.Dezember 1992.

Katalog: 128Seiten mit 50 Farb- und zahlreichen Schwarzweiß-Abbildungen, Paperback, 35DM.