Lebenslänglich für Lagermord von 1947

Die 22. Strafkammer des Hamburger Lnadgerichts schloß sich in seinem Schuldspruch gegen einen der beiden Angeklagten in vollem Umfang der Staatsanwaltschaft an/ Indizienkette war sehr dünn  ■ Von Clemens Grün

Hamburg (taz) — Im Mordprozeß gegen die beiden DDR-Rentner, die 1947 in einem sowjetischen Kriegsgefangenenlager an der Tötung des deutschen Kriegsrichters Erich Kallmerten beteiligt gewesen sein sollen, folgte das Hamburger Landgericht den Anträgen des Oberstaatsanwalts Duhn. Es befand den Angeklagten Gerhard Bögelein (68) für schuldig des 1947 begangenen gemeinschaftlichen Mordes an Kallmerten und verurteilte ihn zu lebenslanger Haft. Der Mitangeklagte damalige Leiter der Antifa-Gruppe im rusischen Kriegsgefangenenlager, Karl Kielhorn (72) wurde freigesprochen. Wie sich im Verfahren herausstellte, war dieser an der Tötung des Kriegsrichters nicht beteiligt.

Die Anklage gegen Bögelein und Kielhorn wurde seit den 50er Jahren in Hamburg verwahrt. Die Haftbefehle gegen die ehemaligen DDR- Bürger konnten erst nach der deutschen Vereinigung vollstreckt werden. Die Verteidigung wies darauf hin, daß die Anklage in den 50er Jahren hauptsächlich aufgrund der Arbeit des Untersuchungsrichters Kurt Steckel zustande gekommen sei, der Ankläger eines NS-Sondergerichts in Königsberg gewesen sei.

Offensichtlich in Erwartung von Protestäußerungen aus dem Publikum war vor einer Woche, im Anschluß an die „letzten Worte“ der Angeklagten vom Gericht beschlossen worden, das Urteil in einem mit Panzerglas und Mikrofonanlage ausgestatteten Gerichtssaal zu sprechen, in dem auch der sogenannte „Hells- Angel-Prozeß“ durchgeführt worden war. Eine knappe Hundertschaft Polizisten sollte Unmutsbekundungen der schon in den letzten Wochen zahlreichen Prozeßbeobachter unterbinden.

Nach dem „Lebenslänglich“ gegen Gerhard Bögelein gingen die weiteren Ausführungen des Vorsitzenden Richters Erdmann der 22. Strafkammer in der Tat erst einmal im Tumult unter. Nach einer vorläufigen, für „friedliche“ Besucher später wieder aufgehobenen Räumung des Zuschauerraumes konnte Erdmann die Urteilsbegründung fortsetzen.

Die Kammer befand Bögelein für schuldig, gemeinsam mit dem seit Jahrzehnten verschollenen W. einen Mordplan gegen den Wehrmachtsrichter ausgeheckt und durchgeführt zu haben. Verblüffend war, mit welcher Sicherheit die Kammer dabei über Vorgänge urteilte, für die es zwar keine Zeugen gab, die aber fast ein halbes Jahrhundert zurückliegen. In der Schilderung der dürftigen Indizienkette fehlte die die Beantwortung naheliegender Fragen, etwa wann und wo beispielsweise die Planung der Tat erfolgte. Die Kammer wußte auch nicht, wer der Initiator war. Und woher das Tatwerkzeug, ein Messer kam, blieb nicht nur den drei Berufs- und zwei Laienrichtern „unklar“. Doch den Tatablauf konnten die Richter präzise schildern, obwohl es „unmittelbare Tatzeugen nicht gibt“. Ein fehlende Untersuchung der Leiche ersetzten die Juristen durch Phantasie: „Kallmerten bekam mindestens drei wuchtige Schläge auf den Hinterkopf.“ Dabei hatte dieselbe Kammer vor wenigen Wochen noch den Beweisantrag von Bögeleins Strafverteidigerin Jarke auf Einholung eines Gutachtens abgelehnt, mit dem sie beweisen wollte, daß schon der erste Schlag tödlich gewesen sei. Begründung für die Ablehnung: Der zu beweisende Sachverhalt könne als wahr unterstellt werden.

Nicht glauben wollten die Richter Bögeleins Beteuerungen, er habe an der Ermordung des Oberstabsrichters nicht mitgewirkt, sondern erst nach der geschehenen Tat, quasi symbolisch, mit dem Durchschneiden der Kehle des Toten sich zu dieser Lynchtat bekannt. Allein mit der „Überzeugung der Kammer“ wurden schwerwiegende Sachverhalte „festgestellt“; die „Erwägungen“ des Gerichts reichten, „Bögeleins Aussagen (zu) widerlegen“.

Für die Handlungen eines 23jährigen, der noch als Jugendlicher in den Krieg ziehen mußte, wurde ein mittlerweile 68jähriger, am Stock gehender Großvater bestraft. Prozeßbeobachter vermuten, daß der Verurteilte auf dem Gnadenweg recht schnell aus der Haft entlassen werden könnte.