Aber die Musizi, die bleibt bestehn

■ „Pro Musica Nova“ oder: Musik ist Musik ist immer was Schönes / Nachgedanken zu einem Festival

Vier Tage lang 35 lateinamerikanische Komponisten häppchenweise, zudem ein Dutzend hiesiger, zudem John Cage, zudem montags, am letzten Tag von „Pro Musica Nova“, lateinamerikanische Folklore: Das Festival ist um, die Ohren sausen.

Wonnig, wie im vollen Saal der Weserburg John Cage's Medienkompositionen, hauptsächlich seine Imaginary Landscapes, den Leuten ins Herz gingen: mit Blechbüchsentocktock und Schleifpapierschleifen und Einton-Plattenspielern, bis alle sich kringelten. So freundlich wendet sich Cage, der alte Zauberer, seinen Hörern zu und führt sie in seine wilden Gärten des Klangs, wo plötzlich an der Ecke der Schnellkochtopf abdampft und an der nächsten sechs Kerle mit sechs Kofferradios konzertieren. Cage hat nicht weniger als die intelligente Musik erfunden, die Musik, die die Hörer solange verwickelt in ihre Widersprüche, bis er sich aus dem Irrglauben löst, hier gelänge auch nur das geringste ohne ihn. Seit Cage darf der Hörer die Musik machen, es liegt an ihm; im Straßenbahnklingeln erhört er sie und vorm Ventilator, wenn er nur hören will; wenn nicht, muß er fühlen, daß selbst das Konzert ihn kalt läßt, seit Cage. Oder? Was möchte hier nicht alles besprochen sein! Debatten um Cage und den Witz in der Musik, um die Arbeit des Hörens, um die Epigonen. Was möchte nicht alles und wurde nicht!

Dafür also auch noch Lateinamerika. Zum Beispiel das Duo Dialogos hatte den halben Sendesaal vollgestopft mit Trommeln, Rasseln, Glöckchen, Gongs und Vibra- und Marimbaphonen; und nach jedem Stück huschten Arbeiter zwischen den Instrumenten, Zettel in Händen mit Umbauplänen, die ein verborgener Generalstab ausgetüftelt haben mochte, und schoben und schleppten und verteilten alles neu, auf daß gemäß dem Bedarf des nächsten Stücks die drei Musikanten wieder alles Nötige in Reichweite hatten. Es nahm sich überaus ameisenhaft spaßig aus. Warum nicht nebenbei mal ein „Gesprächskonzert“ über die verzwickte Logistik des Sounds in der Neuen Musik? Warum nicht ein kleines Funkseminar zur Einführung in diesen Abend? Warum nicht zwei, drei Radio-Features über die Vitalität der Tradition in der lateinamerikanischen Moderne, über Neue Musik und Sinnlichkeit und Tanz?

Neue Musik ist keinesfalls einfach Musik zum Anhören. Sie wirft Themen auf. Radio Bremen hat sich vor den Themen gedrückt und das bunte Angebot gewählt, von dem man viel mehr hat als man behält. schak