Abgabe für Osteuropa gefordert

Westeuropas Interessen an den katastrophalen Umweltbedingungen/ WORLD-MEDIA-Forum  ■ Aus Straßburg H.-J. Tenhagen

Der ökonomische und ökologische Strukturwandel in Osteuropa scheitert nicht nur am mangelndem Geld und den dortigen alten Eliten. Westliche Industriestaaten haben ein zum Teil massives Interesse an der Beibehaltung der katastrophalen Verhältnisse, zeigte das Straßburger europäische Umweltforum von WORLD MEDIA, einem Zeitungsnetzwerk, dem auch die taz angehört. Österreich verzichtet weise auf eigene Atomkraftwerke, kauft aber ukrainischen Atomstrom, Deutschland und andere Industrienationen sanieren und entgiften zu Hause, verschieben dann aber große Mengen Giftmüll in den Osten Europas.

Auf dem Forum hatten osteuropäische Vertreter zunächst noch einmal ein Schreckensbild von den Zuständen in ihren Ländern gemalt. Sterbende polnische Wälder, verseuchte russische Flußläufe, Kubikkilometer ungereinigter Industrieabwässer und eine Luft, die demnächst das Tragen von Gasmasken in Osteuropas Großstädten obligatorisch werden lasse.

Am eindringlichsten war der ukrainische Biochemiker Valery Koukhar: Er berichtete von den Folgen der Tschernobyl-Katastrophe für die Wasserversorgung seines Landes. 32 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer beziehen ihr Trinkwasser aus dem Fluß Dnjepr. Der Fluß führe direkt am Katastrophenkraftwerk vorbei und ziehe sich dann durch die gesamte Ukraine. „Das heißt, wir brauchen für zwei Drittel unserer Bevölkerung eine andere Trinkwasser-Lösung.“ Ohnehin müßten noch heute 2,8 Millionen seiner Landsleute in Gebieten leben, die seit Tschernobyl eine deutlich überhöhte Strahlenbelastung aufweisen. Trotzdem exportiert die Ukraine nach wie vor Strom — demnächst auch nach Österreich. „Wir haben immer Strom ins Ausland geliefert“, so Koukhar lakonisch.

Auch wenn viel Geld für die Sanierung in Osteuropa notwendig sein wird, am Geld allein scheitert die Sanierung nicht. Koukhar hat beobachtet, daß „Hilfe nicht immer in die Bereiche geht, wo sie am nötigsten wäre. Wir brauchen mehr Hilfe bei der Fischerei statt Nahrungsmittelhilfe. Hilfe zur Selbsthilfe.“

Mit der präzisesten Vorstellung über mögliche Hilfsmaßnahmen war Hessens grüner Umweltminister Joschka Fischer nach Straßburg gekommen. Fischer verlangte langfristige Hilfsprogramme für Osteuropa, die über eine europäische Umweltabgabe finanziert werden sollten. „Die Techniken sind bekannt. Die Ingenieure gibt's dort auch. Mit Geld und einer Art Umweltentwicklungsbank könnte man unglaublich viel bewegen“, so Fischer.

Geld sei allerdings nicht das Alleinseligmachende, betonte der Grüne. Aus den Erfahrungen in den fünf neuen Bundesländern habe er gelernt, daß es eine funktionierende Verwaltung braucht, die die Instrumente der Marktwirtschaft dann auch für die Sanierung einsetzt. Die EG könnte die Ausbildung und Umschulung der entsprechenden Arbeitskräfte organisieren. Verwaltungsakademien und Schulungseinrichtungen müßten her. Hier applaudierte auch EG-Umweltkommissar Carlo Ripa de Meana.

Alle Hilfsmaßnahmen würden aber nichts fruchten, wenn nicht gleichzeitig der wildgewordene West-Kapitalismus an die Kandare genommen werde, stellte Fischer kategorisch fest. „Auf billige und schnelle Gewinne im Osten muß verzichtet werden, und Osteuropa darf nicht die Müllhalde des Westens werden.“ Die EG vor allem tue nicht genug gegen den Mülltourismus. Das seien keine Kavaliersdelikte, das sei „organisierte Kriminalität“, was da tagtäglich die Grenzen Osteuropas passiere. „Mit hoher krimineller Energie“ werde der Müll nach Osten geschafft.

Fischer räumte ein, daß der Kurs für die neuen, demokratisch legitimierten Regierungen in Osteuropa schwierig sein werde, schließlich werde den Osteuropäern zugemutet, noch weiter auf das ersehnte Auto zu warten und sich statt dessen um die Sanierung ihrer Industrien zu kümmern. Aber ohne „ökologischen Umbau wird es nicht zum dauerhaften Aufschwung, zur Angleichung der Lebensverhältnisse in ganz Europa kommen“, so Fischer. Die Alternative hatte Stunden zuvor der Generalsekretär der UN-Umweltkonferenz, Maurice Strong, an die Wand gemalt: „Ich sehe Anzeichen für einen neuen eisernen Vorhang, diesmal vom Westen errichtet. Eiserne Vorhänge sind nicht die Lösung für die Probleme Europas.“