Lager wie zu Katastrophenzeiten

Chaotische Zustände im Aufnahmelager Schwalbach/ „Pro Asyl“ kritisiert rot-grüne Landesregierung  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — „Diese Zelte sind sichtbare Zeichen für das politische Versagen dieser Landesregierung.“ Herbert Leuninger, Sprecher der Flüchtlingshilfevereinigung „Pro Asyl“, forderte gestern die rot-grüne Regierungskoalition in Hessen auf, mehr als hundert Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina und Kroatien in Kasernen unterzubringen. Die Neuankömmlinge konnten in der Zentralen Aufnahmestelle für AsylbewerberInnen (HGU) in Schwalbach bei Frankfurt wegen Überbelegung nicht mehr aufgenommen werden. Die gestern auf Anordnung von Sozialministerin Iris Blaul (die Grünen) aufgestellten Zelte seien „Symbole der Flüchtlingsabschreckung“ und maximal in einem akuten Katastrophenfall akzeptabel. Leuniger verlangt die Einrichtung eines „Krisenstabes“ in Wiesbaden, denn die zuständige Ministerin sei „eindeutig überfordert“. Leuniger: „Da müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet und langfristig greifende Konzepte entwickelt werden.“ Bereits am Montag hatte der hessische Flüchtlingsbeirat nach einer Tagung in Mörfelden-Walldorf die Landesregierung aufgefordert, einen „Runden Tisch“ zum Thema Asyl einzurichten.

Vor dem Erstaufnahmelager herrschten am Wochenende und am Montag chaotische Zustände: Flüchtlinge kampierten in Gruppen vor dem Eingangsbereich des wegen Überfüllung geschlossenen Lagers — ohne ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln und Getränken. Lediglich einige Kirchengemeinden kümmerten sich vor allem um Frauen und Kinder und boten Übernachtungsmöglichkeiten an. Erst am Montag wurde vor der HGU ein Container mit Toiletten und Waschbecken aufgestellt. Wegen der „unakzeptabelen Lage“ hat der Landrat des Main-Taunus-Kreises, Jochen Riebel (CDU), inzwischen den Rücktritt von Sozialministerin Blaul gefordert. Die Grüne, so Riebel, sei „offensichtlich unfähig, die Probleme in Schwalbach zu lösen“. Besonders in Harnisch brachte den Landrat ein an die Flüchtlinge verteilter — inzwischen zurückgezogener — Handzettel, auf dem die potentiellen AylbewerberInnen, die eigentlich Konventionsflüchtlinge sind, aufgefordert wurden, sich wegen finanzieller Unterstützung an den Landkreis zu wenden. Der „Arbeitskreis für Beratung und Hilfe von Flüchtlingen“ in Eschborn hatte schon letzte Woche Strafanzeige gegen die Ministerin erstattet.

Ministeriumssprecherin Susanne Nöcker machte auf Nachfrage den Bund für die Engpässe in der HGU verantwortlich. Inzwischen stapelten sich in Zirndorf 300.000 unerledigte „Fälle“ — „und wir können deshalb die Flüchtlinge in der HGU nicht auf die Kommunen verteilen“. Dazu komme, daß die Flüchtlinge aus Jugoslawien, deren Status als „De-facto-Flüchtlinge“ inzwischen geklärt sei, noch immer in das Asylverfahren hineingedrängt würden, weil die Kommunen nicht bereit seien, für diese Flüchtlinge Sozialhilfe zu zahlen. Die Landesregierung, so Nöcker, arbeite inzwischen an einem Gesetzentwurf, mit dem sichergestellt werden soll, daß die Kommunen bei der Aufnahme der Konventionsflüchtlinge finanziell entlastet werden. Aus dem Entwurf soll dann eine hessische Bundesratsinitiative werden. Das Aufstellen der Zelte in Schwalbach sei notwendig geworden, weil die Verträge mit dem Bund zur Nutzung von leeren Kasernen in Hessen noch immer nicht unterzeichnet worden seien.