INTERVIEW: »Wir brauchen keine Alibiausländer«
■ Der Berufsschullehrer Riza Baran ist Spitzenkandidat der AL bei den bevorstehenden BVV-Wahlen in Kreuzberg
Riza Baran ist einer der zehn Immigranten, die am kommenden Sonntag bei den Bezirkswahlen für die Grünen/AL kandidieren. Der 1942 in einem kurdischen Dorf geborene Baran kam 1963 zu Studienzwecken nach Deutschland. In Berlin lebt er seit 1972 und arbeitet als Berufsschullehrer. In der GEW setzte er sich unter anderem als Leiter in der »Kommission ausländischer Lehrer« für die Interessen der Einwanderer ein und ist Mitbegründer des kurdischen Kulturvereins KOMKAR in Berlin.
Seit 1988 engagiert er sich in der AL, ohne jedoch Mitglied zu sein. Baran ist in Kreuzberg Spitzenkandidat, Bürgermeister-Kandidatin ist Barbara Österheld.
taz: Was bewegt Sie als Einwanderer, zu kandidieren?
Baran: Wir fordern immer wieder, daß die Bundesrepublik von den staatlichen und politischen Stellen endlich als multikulturelle Gesellschaft, als Einwanderungsland akzeptiert wird. Doch frage ich, was wir Einwanderer tun, damit dieses Verständnis überhaupt gesellschaftsfähig wird? Auf der einen Seite Forderungen zu stellen und auf der anderen Seite sich von der deutschen Öffentlichkeit in die gewohnten eigenen Nischen zurückzuziehen, sind zwei sich widersprechende Momente.
Wenn wir schon in dieser Gesellschaft leben und gleichzeitig Anerkennung und Gleichberechtigung fordern, so müssen wir auch bereit sein, ihre kulturellen Wurzeln kennenzulernen. Ebensowichtig ist die politische Betätigung in allen gesellschaftlichen Organisationen, Verbänden und natürlich auch Parteien — nicht jedoch nur um Immigranten- und Flüchtlingspolitik zu betreiben, sondern ebenso auch in allen anderen Politikfeldern (wie zum Beispiel in der Umweltpolitik) aktiv zu werden. Die Bewußtseinsentwicklung bei uns Einwanderern darf in erster Linie nicht von der Heimat, sondern umgekehrt vom Lebensort ausgehen, der für uns eben die Bundesrepublik Deutschland ist. Somit werden wir hier nicht nur leben und arbeiten, sondern in der bundesdeutschen Gesellschaft mit Einfluß nehmen und sie mit unseren Kulturen, Sprachen und Religionen prägen, gestalten und bereichern können.
Warum engagieren Sie sich als Parteiloser bei den Grünen/AL?
Ich könnte mich zum Beispiel genauso in der SPD politisch engagieren. Doch ist sie für mich zu geschlossen und zeigt eher eine stromlinienförmige Orientierung, so daß man mit ihr besser punktuell arbeiten kann. Währenddessen sind bei den Grünen/AL auch politische Querdenker lebensfähig. Mit der Mehrheitsmeinung muß ich bei ihnen nicht in allen Punkten unbedingt übereinstimmen. Ich kann mich individuell und flexibel politisch betätigen. Gerade das ist wichtig und Voraussetzung für mich, in der Politik mitzumischen.
Besteht nicht die Gefahr, daß die etablierten Parteien Immigranten doch nur als Alibifigur benutzen wollen?
Die Gefahr besteht zwar, aber dies hängt wiederum sehr davon ab, ob wir uns als Alibiausländer instrumentalisieren lassen. Damit wäre unserer Sache überhaupt nicht gedient. Auf Leute, die diese Rolle zum Eigennutz einnehmen, können wir ruhig verzichten. Was wir brauchen, sind sich engagierende Leute mit hinreichender Qualifikation, Erfahrung und Durchsetzungskraft. Hinsichtlich der Besetzung eines Amtes oder einer Stelle ist für mich Immigrant zu sein keine hinreichende Qualifikation.
Als der kurdischstämmige Giyasttin Sayan in der AL-Kreuzberg seine Kandidatur zum Bezirksbürgermeister ankündigte, wurde in der AL- Bezirksgruppe statt seiner die ebenfalls kandidierende Kommunalpolitikerin Barbara Österheld nominiert. Dies führte im Anschluß daran zu anhaltenden innerpolitischen Auseinandersetzungen. Zeigt dieses Beispiel nicht die Widersprüchlichkeit der AL zu ihrer angestammten Immigrantenpolitik?
Nein, wieso? Giyasettin Sayan konnte um die Stelle des Bezirksbürgermeisters genauso gleichberechtigt kandidieren wie Barbara Österheld. Daß er für diesen Posten nicht gewählt wurde, ist kein Indiz dafür, von einer Widersprüchlichkeit in der AL-Immigrantenpolitik zu sprechen. Wie bereits oben erwähnt, bin ich entschieden dagegen, jemandem allein wegen seines Immigranten-Daseins auf einen Posten zu hieven. Genau dann tritt nämlich das ein, was wir doch verhindern wollen: in der Politik Alibirollen einzunehmen. Daß in der AL Absichten dieser Art nicht verfolgt werden, zeigt exemplarisch eben der Fall um Giyasettin Sayan.
Sie fordern die aktive Partizipation von Immigranten in etablierten Parteien. Schließt dies die Selbstorganisierung der Immigranten in eingenen Strukturen aus?
Nein, im Gegenteil. Der Stellenwert von Immigranten-Organisationen ist genauso wichtig und sollte deshalb noch mehr ausgebaut werden, als es bisher der Fall ist. Somit wäre überhaupt gegen Assimilation die kulturelle und sprachliche Selbstbehauptung der Immigranten in Deutschland gewährleistet, was eben Grundlage einer multikulturellen Gesellschaft ist. Besonderer Wert sollte bei den Immigranten-Organisationen unbedingt darauf gelegt werden, sich nach außen zu öffnen. Das heißt in erster Linie, den Dialog und die Bundnispartnerschaft bei Deutschen zu suchen.
In welchen Bereichen wollen Sie sich auf bezirklicher Ebene für die Interessen der Immigranten politisch einsetzen?
Ich trete ein für die politische Partizipation der Immigranten über das Wahlrecht und die doppelte Staatsbürgerschaft. Ein weiterer wichtiger Bereich für mein Engagement wäre die bildungs- und erziehungspolitische Diskussion. In Kreuzberg, wo an einzelnen Schulen 80 Prozent der Schüler ausländischer Herkunft sind, gibt es immer noch zu wenige Immigranten-Kinder, die weiterführende Schulen besuchen und qualifizierte Abschlüsse erreichen, um eine ihren Wünschen entsprechende Ausbildung machen zu können. Für eine gerechtere und chancenreichere Ausbildung müßten mehr Gelder beispielweise für den Bau einer Gesamtschule in Kreuzberg freigemacht werden.
Des weiteren braucht eine Schule, die die Schüler vielseitig qualifizieren will, demokratische Formen, mehr Mitbestimmung der Pädagogen und Eltern sowie Unterrichtsinhalte, die die multiethnische Realität unserer Gesellschaft aufgreifen. Geographie und Geschichte, aber auch beispielsweise Politik können nicht mehr nur aus dem Blickwinkel deutscher und europäischer Weltsicht vermittelt werden. Im übrigen müssen in vorschulischer und schulischer Erziehung die Muttersprachen der Immigranten berücksichtigt werden. Deshalb ist es wichtig, die bisher versuchsweise praktizierte zweisprachige Alphabetisierung weiterhin zu erhalten und auszubauen. Dazu sind natürlich Pädagogen ausländischer Herkunft unverzichtbar.
Abschließend möchte ich noch anmerken, daß ein gewichtiger Teil meiner politischen Arbeit darin bestehen wird, in allen Lebensbereichen den Dialog zwischen Einwanderern und Deutschen mit dem Ziel des kulturellen Austausches und der gegenseitigen Annäherung zu fördern. Das Gespräch führte Halil Can
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