Kanzler ohne Handfestes nach Rio

Regierungserklärung zum Gipfel voller Wenn und Aber/ Fischer fordert ökologische Steuerreform/ SPD will konkrete Maßnahmen gegen Waldsterben/ Redezeitbegrenzung für Bündnis 90/Grüne  ■ Von H.-J. Tenhagen aus Berlin

Deutsche Klimapolitik in Helmut Kohls Regierungserklärung, Januar 1991: „Den Kohlendioxid-Ausstoß werden wir mit einer CO2-Abgabe belasten. Das dadurch erzielte Aufkommen muß für den Klimaschutz verwendet werden.“ Deutsche Klimapolitik eineinhalb Jahre später: „Unser Ziel muß ein gemeinsames Vorgehen aller Industrieländer sein. Ich glaube nicht, daß ein nationaler Alleingang in dieser Frage weiterbringt.“ Es sprach Kanzler Kohl in seiner gestrigen Regierungserklärung zum Rio-Gipfel.

Massiv steht der Oggersheimer am Pult und verliest seinen zehnseitigen Text. Ohne die Stimme zu heben oder sie zu senken, entledigt er sich müde seiner Pflicht. Irgendwann hat er, der Regenwaldkanzler, schließlich zugesagt, nach Rio zu fahren. In zwei Wochen ist es soweit. Die Regierungserklärung als historische Altlast, sozusagen.

Das Publikum im Plenarsaal des Reichstages läßt sich von der Lethargie des Kanzlers anstecken. Kohl ohne Gestik, da rührt sich kaum eine Hand, auch nicht in der CDU, zum Applaus. Warum auch, der Kanzler nimmt sich in allen entscheidenden Fragen selbst wieder zurück. Die CO2-Abgabe ist nur ein Beispiel. Zuerst war sie national wirtschaftlich nicht durchzusetzen, jetzt kann die EG sie ohne die USA und Japan nicht vertreten. Und deswegen wird sie vorläufig nicht kommen.

Aber die deutsche Entwicklungshilfe, die werde trotz der angespannten Finanzlage steigen — „im Rahmen unserer Möglichkeiten. Die Möglichkeiten sind allerdings geringer geworden.“ Kohl äußert Verständnis, daß die Länder der dritten Welt wachsen wollen, „aber ökologisch“ soll es sein, und außerdem „müssen wir auch den Standort Deutschland sichern“. Der Kanzler will der Weltbank mehr Geld für ihren Umweltfonds (GEF) zur Verfügung stellen, verbindet das aber mit der Erwartung, daß auch die USA und Japan mittun. Übrig bleibt das einzig konkrete Angebot der Bundesregierung gestern: Kohl lädt den Konferenztroß von Rio zu einer Nachfolgekonferenz nach Deutschland ein.

Die Opposition ist trotz dieser deprimierenden Vorstellung in Kampfeslaune. Harald Schäfer, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, geht die Bundesregierung frontal an. „Wenn UNCED scheitert, liegt das sicher nicht an den Entwicklungsländern, sondern auch an der Bundesrepublik.“ Kohl verstecke sich vor dem Gipfel in Rio hinter dem großen Bruder George Bush in Washington. „Das Waldsterben muß auch zu Hause gestoppt werden, Herr Bundeskanzler, nicht nur im tropischen Regenwald.“ Der Rio- Gipfel laufe Gefahr, eine Konferenz nach dem Motto zu werden „außer Spesen nichts gewesen“.

Grüne/Bündnis 90 wollen zum Verfassungsgericht

Etwas munter wird der Plenarsaal erst, als Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth dem grünen Abgeordneten Klaus-Dieter Feige das Wort entzieht. Feige wollte die gesamte Redezeit der Gruppe nutzen, sollte aber nach Auffassung der Präsidentin seine Rede dafür in zwei Teile splitten, einen Teil relativ früh, einen spät. Die Gruppe hatte schon im Ältestenrat Protest gegen ein solches Verfahren angemeldet und zog jetzt aus dem Plenarsaal aus. Ihr parlamentarischer Geschäftsführer Werner Schulz kündigt an: „Wir werden dagegen klagen vor dem Bundesverfassungsgericht.“

Zuvor hatte Feige Giftpfeile auf die Regierung abgeschossen. Ihr nationaler Bericht für die Umweltkonferenz falle trotz vieler Statistiken noch „hinter den Wahrheitsgehalt von Münchhausengeschichten zurück“, spottete der Abgeordnete. Wie zuvor Schäfer forderte Feige vom Kanzler, den Menschen auf der Straße endlich reinen Wein einzuschenken. Ohne Wohlstandsverlust werde die Rettung des Planeten nicht zu haben sein. Schuldenerlasse und ein kostenloser Technologietransfer in die Länder der dritten Welt seien notwendig. Er aber habe den Eindruck gewonnen, die Bundesregierung wolle auch hier wie schon bei der Vereinigung den Menschen die teure Wahrheit verschweigen, weil für sie „das Verlieren einer Wahl schlimmer ist als der Weltuntergang“.

In die gleiche Kerbe hieb Hessens grüner Umweltminister Joschka Fischer. Fischer nutzte den Auftritt im Plenarsaal des Berliner Reichstages, um den Historiker Kohl auf die historische Dimension seines Nichtstuns zu stoßen. Kohl hatte eingeräumt, glaubwürdig wären die Industrieländer nur dann, wenn sie in der Umweltpolitik mit gutem Beispiel vorangingen. Dazu sei aber, so Fischer, eine ökologische Steuerreform dringend nötig. Wenn unter Umweltpolitikern inzwischen Einigkeit bestehe, daß das Steuersystem der zentrale Hebel für eine wirkliche klimapolitische Anstrengung sei, „was zum Teufel hindert sie dann, das zu tun?“