Es lebe das Magazin

■ Viola König ist seit 112 Tagen Chefin des Übersee-Museums

taz: Sie sind seit 1. Februar die neue Chefin des Übersee-Museums. Gefällt es Ihnen hier?

Dr. Viola König: Im Museum oder in Bremen?

Beides!

Naja, das Übersee-Museum ist schlicht lebensszeitverkürzend, man hat einmal gehustet, und die Woche ist schon wieder um. Privat wird es sowieso länger dauern, ich bin so oft umgezogen, da

„Wenn sich das Museum nicht um sein Magazin kümmern kann, dann ist es spätestens in der übernächsten Generation eben einfach nicht mehr vorhanden“

wird der Anlauf jedesmal ein bißchen länger.

Sie haben in einer komplizierten Lage angefangen: Finanzprobleme, die große Pleite mit der Peter-Ausstellung — haben Sie dieses Kuddelmuddel aufgeräumt?

Zum Aufräumen braucht man Jahre. Die Infrastruktur des Museums hat unter den Prioritäten der letzten Jahre sehr gelitten. Ein Museum funktioniert nur, wenn man sehr viel Energie, Finanzen und Personal in die Arbeit hinter den Kulissen steckt; vielleicht ist das der Unterschied zum Theater. Ich frage mich schon: wie werde ich das Haus einmal meinem Nachfolger übergeben, was wird überhaupt noch da sein, und: Was kann ich wegen Geld- und Personalmisere nicht mehr retten.

Sie spielen an auf das verrottete Magazin. Was tun Sie denn hinter den Kulissen?

Ausgestellt in den Vitrinen ist, wie in jedem Museum, nur ein minimaler Prozentsatz dessen, was das Haus überhaupt besitzt, der Rest schlummert im Magazin, seit '78 immer nur Provisorium. Da gibt es riesige Probleme mit Ausstattung, Schädlingsbefall, Feuchtigkeit, Perspektiven, Kosten. Normalerweise gehört in Museen zu jedem Objekt eine Karteikarte mit Nummer, Standort, Erwerbsjahr und wissenschaftlicher Bearbeitung - und in wenigen Fällen gibt es dann mal mal so eine Karte nicht. Hier ist das umgekehrt!

Wenn ohnehin das meiste im Magazin schläft: Sollte ein künftiger Umbau dort nicht Platz für Wechselausstellungen schaffen?

Viel schöner fänd ich es, im Magazin Studiensammlungen zu erstellen, wie ich das aus den USA kenne: daß ich die Objekte in ihren Schränken sehen kann. Dann kann sich der Besucher an dem Objekt einfach erfreuen. Zum Beispiel ein Indianer-Kostüm mit allem Drum und Dran, und in den Schubladen darunter liegen die Mokassins und der Hals- und Ohrschmuck, x-fach wieder, immer schöner und besser. Im Moment ist es immer furchtbar peinlich, wenn die ursprünglichen Besitzer aus Übersee kommen oder Stipendiaten, und man kann noch nicht mal sagen, was es gibt und wo...

Und muß mit der Stehlampe an der Verlängerungsschnur durch Moder und Dunkelheit stolpern... Die Kultursenatorin hat ja gerade die Zuständigkeit fürs Magazin von sich gewiesen.

Wahrscheinlich hat sie allein wirklich nicht die Mittel. Deshalb will ich eine Bestandsaufnahme machen und sagen: Wenn ihr euch nicht drum kümmert, wenn sich das Museum nicht um sein Magazin kümmern kann, ist es spätestens in der übernächsten Generation dann eben nicht mehr vorhanden.

Im Moment ist das Museum eine riesige Villa Kunterbunt, mit 500 Millionen Jahren Evolution und einem alten Aquarium im Keller und afrikanischen Hütten und chinesischen Lackdosen und ausgestopften Tieren...

Ja! Unsere Welt ist so klein geworden mit ihren Problemen und

„Unsere Welt ist so klein geworden, da kann das Museum ruhig bunte Mischungen bieten. Ich nenne das eine lebendige Enzyklopädie“

Chancen, daß gar nichts gegen Villa Kunterbunt — oder wie ich sage 'lebendige Enzyklopädie' spricht: Man vergibt sich Chancen, wenn man nur Einzelteile herauszieht. Die Museen müsssen wahnsinnig aufpassen, nicht hintenüber zu kippen, sich zu eng fachlich zu beschränken; es gibt immer Zusammenhänge mit Ökologie, Tier- und Pflanzenwelt, dem Nord-Süd-, dem Ost-West- Konflikt... Das ist gerade die Chance des Übersee-Museums! Notfalls muß man eben zwischen Bremen-Unterweser und Evolution eine Wand ziehen und so ein neues Thema signalisieren.

Die Evolutions-Ausstellung hat ja ziemlichen Platz eingenommen, für auffällige Sonderausstellungen wird es eng.

Wir haben einen gut ausgestatteten Sonderausstellungsraum im ersten Stock. Und unfreiwillig die Flächen, die immer noch nicht fertiggestellt sind, von unserer ABM-reduzierten Werkstatt und der ausgedünnten Präparation. Ich hab allen Interessierten gesagt: Wenn ihr Sonderausstellungen wollt, müßt ihr die Kosten tragen, und wir stellen euch den Raum. Das geht! Manches, was man unbedingt machen will, muß man vom Haus aus dann zu finanzieren versuchen.

Sie wollen den Leuten was Buntes, Interessantes anbieten, Haben Sie dafür Ideen? Das Aqua

hierhin bitte die

blonde Frau

rium wär' sowas.

Ich möchte nicht in die Gefahr kommen, mich durch Aquarium und anderes von der Magazin- Problematik abbringen zu lassen. Das läuft nicht. Die Priorität ist: Magazin — Aquarium — Rest, auch wenn mich das sehr beschränkt. Freiland-Gelände und Out- und Inside-Activities , warum nicht? Aber nicht auf Kosten des Magazins.

Das Aquarium soll kommen?

Es ist ja da, wir halten auch den Raum frei, aber es ist Luxus im Vergleich mit dem Magazin.

Was wird es kosten?

Einen Bruchteil des Magazins; wenn auch nicht unter sechs Millionen, aber das Problem sind die

„Den Platz für das Aquarium halten wir frei, aber das ist ein Luxus gegenüber dem Magazin. Meine Reihenfolge ist: Magazin, Aquarium, und dann erst der ganze Rest“

vier Planstellen, um Technik und lebendige Fische zu betreuen.

In der Vergangenheit gab es viel Krach um die Unterweser-Ausstellung; die Handelskammer fand's zu unternehmensfeindlich und wollte nicht so viel von Abwasserproblemen hören z. B. bei der Wollkämmerei.

Es gibt jetzt ein neues Konzept, und wir haben einen guten Draht zur Handelskammer; die angeschlossenen Firmen haben klar umgedacht, was die Ökologie anMinifoto!!

geht, das kommt ja nun nicht aus dem Übersee-Museum!

Oder sind Sie in Ihrem neuen Konzept der Kritik entgegengekommen?

Nein. Da müssen wir niemand Rechenschaft schuldig sein, das

„Das Museum hat eine Direktorengeneration lang ziemlich nach außen gepufft. Aber ich laß mich jetzt nicht unter den Druck der Besucherzahlen setzen. Das läuft nicht. Dazu ist vor meiner Zeit zu viel passiert“

ist die Freiheit der Forschung und Wissenschaft.

In Hannover, wo Sie zuletzt waren, hatten Sie sich durchzusetzen, wie Sie einmal sagten, gegen „Männer mit lauten Stimmen“. Und in Bremen?

Personell gibt es keine Unterschiede: Jeder Typus Mensch tritt überall auf. Ich würde Bremen mit Köln oder Freiburg vergleichen, also mehr mit einer Stadt als mit einer Landeshauptstadt, die Erwartung in den Output ist zu groß, und die Infrastruktur kommt zu kurz.

Der frühere Chef Ganselmayr war ja mit Vergnügen ein Patriarch. Denken Sie daran, mehr Mitarbeiter-Mitbestimmung einführen?

Wir treffen uns häufig, ich verschaffe mir ein Meinungsbild, oft gibt es da schon einen Konsens, oder alle Seiten denken noch einmal nach. Wenn sich nichts bewegt, muß irgendwann die Entscheidung fallen, letztlich durch mich. Das hat aber nichts mit Männerstimmen zu tun: Frauen mit leisen Stimmen machen manchmal genauso viel Probleme!

Wenn es kein Geld für Sonderausstellung gibt, wenn Sie jetzt hinter den Kulissen wirbeln und auf publikumsträchtige Sachen verzichten, wie wollen Sie Geld heinbekommen?

Das ist die Erbschaft, und das wußte ich vorher. Das Haus hat eine Direktorengeneration lang nach außen gepufft, und ich laß mich nicht unter Besucherzahl- Druck setzen. Dazu ist vor meiner

„Ende Mai wird das Wal-Skelett wieder an seinen alten Haken im Foyer hängen, dann fehlt uns nur noch ein richtiger Saurier“

Zeit zu viel passiert. Unsere Daueraustellungen sollen so attraktiv sein, daß die Leute kommen.

Normale Museumsbesucher haben irgendwann alles gesehen, da braucht man doch Knüller.

In Hannover kommen die Leute zum —zigsten Mal, um das Saurier-Skelett zu sehen, was wir hier in Bremen auch gerne möchten.

Das Aquarium wäre so ein Knüller. Was noch?

Die Evolutions-Austellung ist schon enorm, aber da reicht nicht ein großes Bild vom Skelett, da muß das richtige Skelett hin von dem Typus, der hier eine Verbindung hat. Einen „neuen“ Knüller kriegen wir: Ende Mai wird das Wal-Skelett wieder an seinem alten Standort hängen, im Foyer, sogar an den alten Haken, zusammen mit einer Dokumentation, auch über die W(h)ales-Aktion in der Städtischen Galerie. Die Wale gehören zu den Dickhäutern, zu den großformatigen Tieren, die die Menschen anziehn, auch ganz ohne Sonderausstellung. Fragen: Susanne Paas