Schablonen für Opfer und Täter

Freidoune Sahebjams Kolportage über „Die gesteinigte Frau“, ein iranisches Verbrechen: Acht Tage Recherche ergeben ein Buch  ■ Von Fahimeh Farsaie

In einem Bergdorf ist es geschehen, in Kupayeh: im Südosten des Irans. Ein im Jahr 1986 wunderschöner Ort, am Fuß eines Berges, wo eine Frau gesteinigt wurde. Der Anlaß: Ehebruch. Rechtsmittel: islamischer Ssonnat (Tradition), durchgeführt von Männern der Dorfgemeinde. Das ist der Stoff des in Frankreich lebenden iranischen Journalisten Freidoune Sahebjam, der Die gesteinigte Frau — Die Geschichte der Soraya Manoutchehri veröffentlicht hat.

Ausschlaggebend sind bei der Wahl einer solchen Thematik und der Art ihrer Behandlung Grundkenntnisse des Autors: über Verhältnisse im Iran zwischen Männern und Frauen, über die Machthierarchie und über die kulturellen und religiösen Prägungen in einem Dorf. Denn die Thematik ist an sich ein katastrophaler Befund — des gesellschaftlichen Lebens im heutigen Iran. Ein Zustand, in dem die menschenverachtenden und unwürdigen Ordnungen und Gesetze immer noch gelten, in denen die Steinigung einer Frau — aus welchem Grund auch immer — für selbstverständlich und legitim gehalten wird.

Ein reales, treffendes und glaubhaftes Bild von der grundlegenden Situation der Menschen im Iran zu zeichnen, besonders ihren Umgang mit den islamischen Lehren und Kodexen zu schildern, ist natürlich nicht leicht. Freidoune Sahebjam hat es aber gewagt. Er hat das bittere Schicksal von Soraya ausgesucht, um „die Welt über die Vorgänge im Iran zu informieren“.

Soraya war 35 Jahre alt, als sie gesteinigt wurde, und hatte eine entsetzliche und grausame Kindheit hinter sich: harte Arbeit als Dienstmädchen beim Dorfgrundbesitzer, Erniedrigung und sexueller Mißbrauch sind Schlagwörter dieser Zeit. Mit Dreizehn heiratet sie einen zwanzigjährigen Mann. Die Ehe bedeutet für sie nichts weiteres als Mißhandlung, Vernachlässigung, Betrug und unaufhörlich Schläge. Neun Kinder bringt diese vorzeitig gealterte Mutter bis zu ihrem 24.Lebensjahr zur Welt. Elf Jahre später, nach der Revolution, werfen zwei von diesen Kindern, ihre ältesten Söhne, den dritten und vierten Stein. Nach Stunden qualvollen Sterbens wird ihre Leiche den Hunden zum Fraß vorgeworfen.

Das Buch konfrontiert also mit einem barbarischen Vorgang, von dem man hoffte, er gehörte einem Kapitel der Geschichte an. Ein Irrtum. Weil die Nachrichten aus dem Iran immer wieder beweisen, daß es diese mittelalterlichen Methoden im Umgang mit anders lebenden und denkenden Menschen immer noch gibt.

Die jüngste Nachricht: Im Juni 1991 wurde in Karadj, einer vierzig Kilometer westlich von Teheran gelegenen kleinen Stadt, eine 22jährige Frau gesteinigt. Um die ungeheure Dimension dieses Falls und nach Schätzungen von „amnesty international“ gibt es noch Tausende andere Fälle, eindrucksvoll und nachvollziehbar zu schildern, reicht der Berichtstil des Autors einfach nicht aus. Außerdem wird deutlich, daß ihm die Grundkenntnisse über das iranische Dorfleben fehlen. (So scheint ihm das Bügeln, eine Beschäftigung, die im alltäglichen Dorfleben überhaupt nicht vorkommt, eine wichtige Aufgabe, die unbedingt erfüllt werden muß.)

Das Buch heißt Die gesteinigte Frau — Die Geschichte der Soraya Manoutchehri. Zwei Sätze, ein grundsätzlicher Fehler. Denn es ist nicht Sorayas Geschichte, sondern ein schlicht und nüchtern und wenig plausibel geschriebener Bericht über eine Verschwörung gegen sie. Da fehlt jedoch der notwendige Zusammenhang zwischen dem Wer, Wo, Wann, Wie, Warum und Wieso, also die Faktoren, die überhaupt die strukturelle Richtigkeit und Ganzheit eines Berichtes ausmachen.

Von dem Wer, der Hauptfigur Soraya, erfahren wir am wenigsten. Sie ist ein Opfer. Das müßte aber nicht zwangsläufig bedeuten, daß sie ein Individuum ohne Konturen ist, daß ihre Persönlichkeit ebenfalls liquidiert werden muß. Sie wird aber nach Opferschablone gemalt. Deshalb erfahren die LeserInnen nicht, wer Soraya Manoutchehri war. Was für eine Beziehung zum Beispiel zwischen ihr und ihren zwei ältesten Söhnen oder den anderen Kindern bestand. Warum sie nach Sahebjams Darstellung — was in Dorfverhältnissen sehr unwahrscheinlich wäre — keine einzige Freundin und Verteidigerin hatte. Wie ihr alltägliches Leben aussah. Was für Wünsche, Ansichten, Träume und Pläne sie hatte.

Die Ursache des Geschehens, der Grund der Verschwörung, das Warum der Geschichte werden auch nicht plausibel dargestellt: „Auf das Verlangen ihres Mannes, sich scheiden zu lassen, geht sie nicht ein.“ Auch ohne ihre Einwilligung kann und darf der Mann, laut islamischem Gesetz und Praxis im Iran, nach Belieben alles tun. Und das macht er auch laut dem Bericht des Autors: Er hat verschiedene Liebesaffären, geht eine Beziehung mit einer anderen Frau in der Stadt Kerman ein, verschwindet für Monate und läßt nichts von sich hören, versorgt Frau und Familie nicht, und wenn er mal auftaucht, schlägt er sie fast zu Tode.

Ihrer Opferrolle entsprechend leistet Soraya keinerlei Widerstand. Außerdem ist ihr Einverständnis bei der Scheidung gesetzmäßig nicht erforderlich. Insofern stellt sich die Frage, warum der Mann eine derartige Verschwörung überhaupt anzetteln wollte oder mußte, um seine Frau loszuwerden?

Der Autor rekonstruiert lediglich all das, was er erzählt bekommt. Und zwar nur aus einer Quelle: nämlich Zahra Khanun, Sorayas Tante, die ehemals einflußreiche Dorfälteste. Im Nachwort schreibt der Autor, daß er sich nur „acht Tage“ in dem kleinen Dorf aufhielt. Eine knappe Zeit, um so einen komplizierten Fall zu recherchieren. Außerdem: „Keiner hat je mit mir über die Steinigung gesprochen“, schreibt der Autor.

Dokumente, falls es sie gäbe, konnte er auch nicht ausfindig machen. Solche mangelhaften und unzureichenden Recherchen bringen viele Ungereimtheiten mit sich, die der Glaubhaftigkeit der Tatsachen schadet. Ein rauher Ton begleitet diesen zergliederten Bericht besonders bei der Schilderung unangenehmer Personen. Da werden abwertende und diskriminierende Vorurteile laut. Da wird der böse Charakter zu einer körperbehinderten Gestalt: Da schreit ungeduldig ein „Einäugiger“, schon einen Stein in der Hand: „Ich bin bereit, ich werde den ersten Stein werfen. Ein einziger wird genügen, die Hasen töte ich auch so, mit dem ersten Schlag!“

Die Geschichte der Soraya Manoutchehi ist ein bitteres Schicksal, das durch schlechte Darstellung entwertet wird.

Freidoune Sahebjam: Die gesteinigte Frau · Die Geschichte der Soraya Manoutchehri. Aus dem Französischen von Renate Heimbucher. Rowohlt Verlag, 160Seiten, geb., 29,80DM.