Himmlers Geburtstag

■ „Vor dem Ruhestand“ im Concordia: Th. Bernhards Umschulung zum Kritikus

Bühne,

3 Leute,

Frau im Rollstuhl

„Der Ruhestand ist es, vor dem ich Angst habe, dann sitzen wir alle drei hier in diesem Zimmer und warten nur darauf, tot zu sein...“

Wer ihn nicht liebt, hat wenig zu lachen. Einen der liebenswürdigsten Versuche, an Thomas Bernhard wenigstens zu verzweifeln, unternahm jetzt unser Theater, indem es sich sehr darum bemühte, was uns notfalls der Dichter lernen könnte. Am Donnerstag im Concordia also nötigte man den großen asthmatischen Bosnickel, der sich zeitlebens Monologe gehalten hat, damit ihm die Luft nicht ausgehe, auf einmal ausgerechnet zu uns zu sprechen in seinen Figuren. Das ging so eben, aber es ging nicht gut.

Wir schreiben Himmlers Geburtstag und sehen drei alte Geschwister, die der Haß spaltet und der nahe Tod zusammenhält wie ein schlimmer Hirtenhund. Ein Theatertag also, der strotzt vor Grauslichkeit; wir aber sind davor gefeit, weil uns der Regisseur Thomas Blockhaus freundlicherweise vor dem Text bewahrt, indem er ein Referat über den Faschismus draus macht.

Veras Gerede zum Beispiel, welches fürchterlich ist, weil es beiläufig immer weiter geht: Nancy Illig muß es für uns in bedenkensfähige Sätze zerteilen und jeden Satz quasi mit Gong und Pausenzeichen sprechen. „Letztes Jahr hat er verlangt, daß ich dir die Haare schere und dir die KZ

Jacke umhänge“, sagt sie der verkrüppelten Schwester Clara, und wir hören schon: Obacht, Zeitbezug! Augen rechts! Wir hören's auch, weil uns die Sprecherin für ihre enorme Rolle gar nicht einnehmen soll, wg. moralischer Zweifel. Zudem spielte zwar Nancy Illig mit Hingabe, mochte sich aber so recht nun doch nicht mit der elenden Vera verwechseln lassen.

Er, das ist Rudolf, der Gerichtspräsident vorm Ruhestand, ehemals „der jüngste Richter an der ganzen Ostfront“, ein monströser Kerl, an dem gerade beklemmen müßte, wie er strotzt vor Untatendrang: Fried Gärtner aber macht uns, damit wir uns nicht versehentlich verwickeln lassen, das Zombieschwein, das ungelenke Faschistenmodell zum Aufziehen. Das allerdings macht er gut.

Man muß begreifen, daß Bernhards Stücke, wenn sie vom Faschismus handeln, am wenigsten den Faschismus meinen, sondern die äußerste Gemeinheit, wie sie sich in der theatralischen Verkleidung des Faschismus nun einmal gefällt. Diese Gemeinheit aber ist nicht lehrreich, sondern groß, und Bernhard ist ihr Psalmist: In seinen Liturgien findet sie ihre Musik und geht uns nicht mehr aus dem Kopf. Das sind keine Zeitstücke mit Denkpausen.

Es sind nicht einmal Stücke mit landläufigen Sprechrollen. „Wenn ich mit Rudolf ins Bett gehe, ist das doch das Nächstliegende“, sagt Vera, die Schwester, und meint damit die Ausweglosigkeit der Körper, die man doch mitansehen müßte; gerade an Himmlers Geburtstag, an dem sich die Groteske nicht faschismustheoretisch relativiert, sondern steigert. Gerade vor Clara (Christa Spolvint), die wenig zu sagen und Entsetzliches zu schweigen hat, gerade vor ihr, die im Rollstuhl wartet, bis alles vorbei ist, müßte den andern beiden ihr Gerede im Gesicht geschrieben stehen wie kalter Schweiß: „Der Ruhestand ist es, vor dem ich Angst habe“, sagt Vera, „dann wirst du Gericht halten über uns. Davor fürchte ich mich“.

Für uns kein Grund zur Beunruhigung. Dabei hat Bernhard die Prozesse, die wir uns machen, als mächtigste Form des Theaters durchaus durchschaut. Im Concordia tat sich niemand weh. „Was ist das Theater gegen ein Schwurgericht!„ heißt es einmal im Text. Himmlers Geburtstag in der Bremer Fassung verstreicht als Serie von Gelegenheiten, gegen die Angeklagten zu sein. Manfred Dworschak

Nächste Vorstellung: heute um 20 Uhr im Concordia

Als Sonderveranstaltung zur Produktion: „Die Wien-Falle“, Lieder und Abgesänge auf Wien, am 27. Mai um 20 Uhr im Gerhard Marcks-Haus.