Eingestiegen wird zur Einkaufszeit

■ In der Einbruchsstatistik rückt Berlin unaufhaltsam nach vorne/ Die Einbrecher spezialisieren sich auf Kreditkarten/ ...

Einbrechen lohnt sich. Es ist das Gewerbe mit den höchsten Zuwachsraten in Berlin. 1990 rammten Einbrecher 11.550 mal die Türen oder Fenster von Privatwohnungen oder Einfamilienhäusern auf. 1991 stieg die Zahl auf 15.935 Wohnungseinbrüche, das sind 38 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Gleichzeitig sank die Aufklärungsquote von 20 auf 17,1 Prozent. Das heißt: nur 2. 725 Einbrüche konnten im vergangenen Jahr aufgeklärt werden. Seit Mauerfall schiebt sich Berlin unaufhaltsam in die Spitzenposition. In Hamburg wird alle drei Stunden, in Frankfurt alle anderthalb und in Berlin 44 mal pro Tag eingebrochen.

»Auch Einbrecher haben geregelte Arbeitszeiten«, sagt der auf diesen Bereich spezialisierte Kripo- Chef von der Direktion 4, Hans Ulrich Voß. Seit 17 Jahren ist der Mann im Ermittlungsgeschäft tätig. Über seinen Schreibtisch laufen sämtliche Fälle von Steglitz, Schöneberg, Tempelhof und Zehlendorf. Da lassen sich Erfahrungen schon verallgemeinern und eine »Phänomenologie der Täter« erstellen. In die Mehrfamilienhäuser in der Innenstadt kommen die Einbrecher am liebsten in der »Hausfraueneinkaufszeit«, zwischen 10 Uhr morgens und 14 Uhr. Sie bevorzugen die oberen Stockwerke, denn »da ist der Fluchtweg nach unten offen«. In den Stadtrandlagen, Einfamilienhäusern und neuerdings auch in Dachgeschossen bricht die Konkjunktur im Winter an. Gestohlen wird vorwiegend zwischen 16 und 21 Uhr. Die Ferienzeiten sind, entgegen der Weisheit aller gewerblichen Schlüsseldienste, keine »booming times«, denn »auch Einbrecher machen Sommerferien«.

Geklaut wird seit ungefähr drei Jahren beileibe nicht mehr alles, was so herumsteht. Bevorzugt wird Bargeld, Schmuck, Schecks und am liebsten Kreditkarten. Die werden, weil die Institute nur national die Karten sperren lassen, auf ausländischen Hehlermarkten angeboten.

Am deutlichsten verschiebt sich seit Mauerfall das »Täterprofil«, sagt Voß und das macht ihm Sorge. Die jugoslawische Mafia sei im Kommen. Das seien »ausgebuffte Profis«, die deshalb auch am seltensten erwischt würden. Von zwei untereinander verzankten und weit verzweigten Banden weiß der Kripo-Spezialist. Da gibt es zum einen die »Belgrader Mafia«. Gegen einige Mitglieder liefen anderthalb Jahre die Ermittlungen. Seit dem 7.Janaur wird vor Gericht verhandelt. Die Kronzeugin Dragica P. hat den Ermittlungsbehörden detalliert Aufbau und Organisation geschildert. Kopf der Bande ist ein Boza C. Er gründete 1988 ein Einbruchsunternehmen und steuerte es von Belgrad aus. Die Mitglieder wurden auf Sportplätzen rekrutiert und in einer als Sportschule getarnten Einbruchsuniversität weiterqualifiziert. Anschließend fuhren die durchtrainierten Jungs für zwei bis drei Praxistage nach Berlin und raubten gezielt von Mittelsmännern ausgespähte Wohnungen und Häuser aus. Sie waren weg, noch bevor die Kripo die Spuren überhaupt auswerten konnte. Diese Belgrader Mafia hat eine »Berliner Unterebene«, die sich, so Voß, aus jugoslawischen Straftätern zusammensetzt, die hier seit mehreren Jahren legal leben und oft Kneipen oder Im-und Exportläden betreiben.

Diese Belgrader Mafia wird ergänzt durch die seperat arbeitenden Kosovo-Albaner-Gruppen, die in den achtziger Jahren den Frankfurter Markt unter sich aufteilten und seit dem Mauerfall nach Berlin expandierten. Das Berliner Terrain ist noch nicht gegeneinander abgesteckt, die Bandenkriege laufen. Die Polizei weiß von Messerstechereien. Kürzlich lieferten sich die Gangster eine Schießerei. In absoluten Zahlen ist die Anzahl der serbischen und kroatischen Täter gering, in Verhältnis zur Gesamtzahl der in Berlin lebenden Jugoslawen allerdings hoch. Von den im vergangenen Jahr 1.507 verhafteten Einbrechern sind 329 Nichtdeutsche. Unter ihnen stellten mit 30,7 Prozent — das heißt mit 101 Personen — die Jugoslawen die größte Gruppe. 64 Täter waren Rumänen, 63 besaßen die türkische Staatsbürgerschaft, 16 die polnische.

Über 1.200 festgenommene Einbrecher sind Deutsche und meistens Berliner mit Ortskenntnis. Es sind entweder Berufskriminelle, die über Mittelsmänner ihre Ware auf den Hehlermärkten verscherbeln — oder Junkies die ihren Stoff finanzieren müssen. Die meisten Taten fallen unter das Stichwort »Kiez-Kriminalität«. Der erbeutete Wert ist relativ gering, der Schaden trotzdem groß. Die Türen sind nicht fachmännisch aufgebrochen, sondern zertrümmert. Die Suche in der Wohnung hat eine Spur des Chaos hinterlassen. Wenn sich unvermutet Zeugen in der Wohnung befinden, werden sie oft niedergeschlagen. Vor allem in Neubauhäusern und im Ostteil schlagen diese Kiez-Kriminellen zu, weil die Türen einflügelig sind und statt aus Massivholz nur aus Sperrholz bestehen. Trotz Sicherheitsschlössern »gehen diese Türen schon beim Angucken auf«, sagt ein Experte der Kriminalpolizeilichen Beratungsstelle am Alexanderplatz. Wer Nachhilfeunterricht im Wohnungssichern braucht, ist dort willkommen. Auch telefonisch jeden Tag bis 18 Uhr unter 69934661. Anita Kugler