WIR LASSEN LESEN: Skandal ohne Ende
■ Ein neues Buch über die Kapriolen der großen Berliner Fußballvereine wird von der Gegenwart überholt
Keine europäische Stadt von dieser Größe hat eine solch erfolglose Fußballszene vorzuweisen wie Berlin. Nirgendwo leiden die Fans mehr unter der Inkompetenz und Fahrlässigkeit von Vereinsvorständen als in Berlin. Fußball in Berlin. Skandal ohne Ende von Bernd Fischer und Rainer Nachtigall belegt das auf teilweise atemberaubende Weise.
Das Kapitel über Hertha BSC ist eine Groteske, das über Blau-Weiß 90 ein Schurkenstück. Der Amateurfußball präsentiert sich als Trauerspiel. Die Geschichte des BFC Dynamo ist die moralischer Verfehlungen, und das Schicksal von Vorwärts Berlin ein Melodram. Immer leiden die Autoren mit, haben vieles gesehen und schreiben es empört auf. Wie Hertha im Jahr nach der Maueröffnung die Bundesliga verschenkte und wieder einmal fast ins Nichts stürzte. In der ewigen Bestenliste von Klubs, an deren Charisma, Tradition und Potential sich immer neue Präsidenten, Vorstände und Manager vergehen, liegt Hertha ganz vorne. Zusammen mit den Offenbacher Kickers, München 1860, Hannover 96 und Schalke 04.
Doch in Berlin bietet nicht Hertha alleine Anlaß zu schwarzem Humor, wie Fischer und Nachtigall zeigen. Sie behaupten, der Erfolg von Blau-Weiß 90, die vor sechs Jahren eine Stippvisite in der Bundesliga gaben und nun nach dem Lizenzentzug gar in die Amateurklasse stürzen, wurde „durch den größten Skandal, durch einen betrügerischen Raubzug erreicht, wie er in der Bundesligageschichte beispiellos ist“.
1982 stieg der Deutsch-Rumäne Konrad Kropatschek, der seinen ersten großen Auftritt vier Jahre zuvor als Gesuchter bei „Aktenzeichen XY“ hatte, beim bislang mäßigen Oberligisten aus Mariendorf ein. Über die Agentur seiner Lebensgefährtin Cornelia Härtfelder stellte er dem Verein Spieler zur Verfügung und bezahlte ihre Gehälter, sicherte sich aber die Ablöserechte. Finanziert wurde das Unternehmen von 17 unglücklichen Anlegern aus Oberbayern, die auf goldene Fußballrendite hofften. Zwei Jahre später stieg Blau-Weiß in die 2. Liga auf. Kropatschek finanzierte neue Transfers, indem er die Rechte an den alten Transfers mehrfach belieh — die von Torjäger Leo Bunk gleich 20mal. Als das Unternehmen 1985 zusammenbrach — Kropatschek starb 1988 vor seiner Verurteilung — übernahm es einer der Betrogenen.
Der Sanitärgroßhändler Hans Mariger aus Nürnberg erhielt die Transferrechte an allen 19 Profis. Blau-Weiß stieg in die Bundesliga auf, schaffte die zweitlängste Serie ohne Sieg der Bundesligageschichte (hinter Tasmania Berlin) und nimmt in der „Ewigen Tabelle“ den vorletzten Platz ein (vor Tasmania Berlin). Hans Maringer hält immer noch die Hälfte aller Transferrechte, was er laut Statuten des DFB eigentlich nicht darf.
Im Osten der Stadt rollen die Autoren noch einmal die Vergangenheit des BFC Dynamo auf, der Lieblinge von Erich Mielke, die als „Schiebermeister BFC“ einen Weltrekord schafften. Zehn Meistertitel in Folge. Als FC Berlin spielen sie im Moment um den Aufstieg in die 2. Liga. Der Mythos vom FC Union Berlin, ebenfalls beim Versuch auf dem Weg in die 2. Liga, muß nach Fischer und Nachtigall wohl revidiert werden. Zu DDR-Zeiten als eine Art Dissidentenklub gehandelt, arbeiteten einige Vereinsverantwortliche doch mehr auf Parteilinie, als sich die Fans das vorgestellt hatten.
Nach einem 130 Seiten langen Marsch durch den Matsch der Skandale haben am Ende sogar die Autoren nur noch den Wunsch, „daß dieses Buch nicht schon in einigen Jahren aktualisiert werden muß“. Wie das jüngste Ereignis zeigt, wohl ein vergeblicher. Christoph Biermann
Fischer/Nachtigall: Fußball in Berlin. Skandal ohne Ende , Sportverlag Berlin, 127 Seiten, 14,80 DM
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