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Geballter Unmut

■ Roma-Diskriminierung im 'Karlsruher Anzeigenblatt‘

Karlsruhe (taz) — Die Gruppe von Roma-Männern in der Eingangshalle der II. Medizinischen Klinik ist auf Pressevertreter gar nicht gut zu sprechen. Sie fühlen sich von ihnen „in den Dreck gezogen“. Hintergrund ihres geballten Unmuts ist ein unter der Balkenüberschrift „Roma belagern Klinikum“ am 13.Mai erschienener diskriminierender Artikel nebst Karikatur in der Regionalzeitung 'Karlsruher Anzeigenblatt‘, kurz 'AZ‘ genannt. Die Postille hatte die Krankengeschichte des 80jährigen Rom A. Kwiek aufgegriffen. Seit etwa zehn Wochen wird Kwiek, der Mitglied einer großen, seit 35 Jahren in der Region Karlsruhe beheimateten Roma-Familie ist, auf der Intensivstation des Städtischen Klinikums behandelt. Und seit ebendieser Zeit ist eine wechselnde Zahl von Familienangehörigen im Klinikum anwesend, weil, wie der Sohn erklärt, „es unserer Kultur entspricht, unseren Vater nicht alleine zu lassen“.

Die Klinikleitung ist dem Wunsch der Familie entgegengekommen und hat einen zur Zeit nicht benötigten Unterrichtsraum als Aufenthalts- und Übernachtungsraum zur Verfügung gestellt. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten ist es, so Klinikdirektor Helmuth Mehmel, „problemlos gelaufen“. Man habe eine klare Abmachung bezüglich der Einhaltung von Ruhe und der Besucherzahlen auf der Krankenstation getroffen, die ohne Anlaß zu Klagen eingehalten worden sei. Der Klinikbetrieb werde in keiner Weise durch die Anwesenheit der Roma behindert. Dies bestätigte auch der Gesundheitsdezernent, Bürgermeister Ulrich Eidenmüller.

Ganz anders stellt sich der Fall dagegen in der mit über 220.000 Auflage in der mittelbadischen Region verteilten Anzeigenzeitung dar. Ein Autor des Blattes erkannte in der Anwesenheit der Familienmitglieder im Krankenhaus eine „Belagerung“ und stellte die rhetorische Frage: „Wann hat die Toleranz ein Ende?“

Vor dem Leser wird dann ein Szenario entfaltet, das alle gängigen Vorurteile über Roma kolportiert — angefangen mit der Denunziation des Anliegens der Familie, den schwerkranken alten Mann nicht alleine zu lassen als „telepathische Genesungstherapie“ bis zur Suggestion, die bisher angefallenen Krankenhauskosten in Höhe von 25.000 DM müßten letztendlich vom Steuerzahler aufgebracht werden.

Dabei hätte es der Artikelschreiber besser wissen müssen. Die Familie Kwiek ist nicht in finanziellen Nöten. Sie hat nie Anlaß zu der Vermutung gegeben, die Kosten des Krankenhausaufenthalts würden nicht aufgebracht werden. Was die Roma und auch der Klinikdirektor Mehmel als „besonders empörend“ und „in der Tradition des Unmenschlichen stehend“ empfinden, ist eine neben dem Artikel angebrachte Karikatur, die eine Roma-Familie inklusive Haustier um eine Feuerstelle im Krankenzimmer gruppiert. Darunter ist der Text: „Familienzusammenhalt“ zu lesen.

In Kürze wird sich deshalb auch der Zentralrat des Verbandes der Sinti und Roma mit dem Fall befassen. Für Matthias Weiß vom Landesverband der Sinti und Roma in Baden-Württemberg ist der Artikel „in seinem üblen Stil bislang einmalig“. Einen solchen Hetzartikel habe man in dieser reißerischen Form noch nicht erlebt. Dieter Balle

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