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Alles beginnt mit einem Nagel

■ Piotr Olszowka sprach mit dem polnischen Maler und Regisseur Andrej Woron über seine Einladung zum Berliner Theatertreffen, die Zusammenarbeit mit Peter Zadek und die schönste aller Fabriketagen

Der polnische Maler und Regisseur Andrej Woron residiert mit seiner international zusammengesetzten Truppe, die sich 'Teatr Kreatur' (Kreaturentheater) nennt, im zweiten Stock einer Berliner Hinterhof- Fabriketage am Halleschen Ufer. Hier inszenierte er „Die Zimtläden“ nach einer Erzählung von Bruno Schulz sowie „Das Ende des Armenhauses“ nach Isaak Babel. In diesem Jahr ist seine letzte Inszenierung als erste Off-Theaterproduktion zum Theatertreffen eingeladen.

Piotr Olszowka: Andrej, Du hast es geschafft! Nach 29 Jahren ist das Teatr Kreatur als erstes Off-Theater überhaupt zum Berliner Theatertreffen eingeladen worden. Ist das für Dich ein Wendepunkt, ein Ereignis, das zum Nachdenken über Deinen bisherigen Weg Anstoß gibt?

Andrej Woron: Ich sehe das gar nicht so. Für uns ist es sicherlich wichtig, daß dieser „eiserne Vorhang“ des Desinteresses, der einen Teil des Theaterpublikums vom Besuch bei uns trennte, wenigstens für eine Zeit weggeschoben worden ist. Den Begriff „off“ mag ich nicht; eigentlich müßte man vom freien Theater sprechen. Mit der Freiheit sind andererseits sehr wertbezogene Assoziationen verbunden. Ich meine, daß jeder Künstler — und auch ein Theater ist ein, unabhängig von seiner Arbeitsweise, „kollektiver Künstler“ — für seine Kreativität Freiheit braucht: Ohne Freiheit kein Theater. Inzwischen sind wir ziemlich bekannt, nicht nur in Deutschland. Neulich liefen in München, Linz und Bern innerhalb von drei Tagen vier unserer Vorstellungen, alle komplett ausverkauft. Im Juni fahren wir nach Krakau, zum europäischen Kulturmonat...

Spannend ist, wie das Krakauer Publikum, das mit dem Cricot von Tadeusz Kantor bestens vertraut ist, Eure Vorstellungen aufnehmen wird...

Sicher ist es viel schwieriger, auf einer polnischen Bühne ein Theater wie das unsere zu zeigen, gerade deswegen, weil das polnische Publikum nicht nur mit Kantor, sondern auch mit vielen seiner Nachfolger, überhaupt mit der Kantorschen Tradition mitfühlt. Nach unseren Gastvorstellungen im letzten Jahr in Torun bin ich jedoch zuversichtlich, daß wir auch in Krakau auf Verständnis und ein positives Echo unserer Arbeit hoffen können.

Parallel und doch außerhalb des Theatertreffens findet am 28.Mai im Theater des Westens die mit Spannung erwartete Premiere des Blauen Engel statt. Du hast die Kostüme entworfen. Kannst Du etwas von Deiner Zusammenarbeit mit Peter Zadek erzählen?

Peter Zadek ist ein Genie. Ich betrachte seine Einladung zur gemeinsamen Arbeit am Blauen Engel als ein großes persönliches und künstlerisches Glück. Während dieser Zeit härtester Arbeit — ich habe fast tausend Kostüme entworfen! — konnte ich sehr viel lernen und mußte immer wieder staunen, mit was für einem außergewöhnlichen Menschen und Künstler wir alle zu tun haben. Vor allem bewundere ich seine unglaubliche Geduld gegenüber den Menschen, sein Verständnis für den Menschen im Theater. Es ist wahr, daß Zadek impulsiv, ja aggressiv sein kann. Seine Wut richtet sich aber meistens gegen die Maschinerie des Theaters als Institution; er kommt mit der Tatsache nicht zurecht, daß es zwischen der schöpferischen Idee und deren Realisierung entfremdende Zwischenstufen gibt. Daß ein Kostüm, zum Verlieben gezeichnet, genäht zum Alptraum des Regisseurs wird. Einmal zeigte ich ihm einen Entwurf, der gefiel ihm, nur hat er mit fast paranoiden Zweifeln immer wieder gefragt: „Machst Du mir dieses Kostüm, so wie du es gezeichnet hast?“ Nicht nur bei diesem Kostüm, bei allen Kostümen ist es gelungen, meinen Entwurf zu realisieren, was ich der Maske und den Werkstätten des Theaters des Westens verdanke. In einem Moloch-Theater zittert man jedoch immer ob dieser möglichen Kluft zwischen Entwurf und Realisierung. In dieser Hinsicht bin ich in meinem Theater besser gestellt, ich bin nicht institutionstheatergeschädigt. Meine Entwürfe realisiere ich selbst bzw. bin die ganze Zeit dabei, wenn sie von meinen Mitarbeitern realisiert werden. Ähnlich ist es mit den Proben: Wir arbeiten manchmal die ganze Nacht durch, und dann kann ich ja am Tage schlafen. So etwas ist in einer solchen Institution wie im Theater des Westens nicht durchsetzbar. Diese ganze Armee von Menschen, Tarifverträge, Haushalt, Überstunden — alles nach Plan, es geht nicht anders. Deswegen sage ich nochmals — wir sind ein freies Theater.

Nicht allen gefällt Deine Arbeit für Zadek. Das Stadtmagazin 'Zitty‘ schrieb von Vampiren, die Dein Blut absaugen.

Blödsinn! Die eigentlichen Vampire sind diejenigen, die nie etwas von unserem Theater hielten. Jetzt aber, da wir die Anerkennung erreicht haben — die Teilnahme am Theatertreffen ist doch eine Anerkennung, und ich bin froh und stolz, daß wir sie erfahren haben —, erheben sie scheinheilig den Finger und erteilen gute Ratschläge. Eines möchte ich klarstellen: Für mich ist die Kunst keine egalitaristische Angelegenheit. Es gibt Menschen, die mehr talentiert und solche, die weniger talentiert sind. Und eben Künstler, die die Erfahrung eines Lebens und eine faszinierende Persönlichkeit zu bieten haben, und Künstler, die sich irgendwo am Anfang ihres Weges befinden. Wie könnte ich, ein Provinzler aus dem Dorf Stare Juchy, Peter Zadek absagen? Bin ich verrückt oder übergeschnappt, bloß weil über zwei meiner Produktionen eine Menge Gutes geschrieben wurde? Eine bessere Chance, Theater zu lernen, könnte ich mir nicht erträumen.

Zum Beispiel wie Zadek mit der Einmaligkeit der Situation arbeitet: Eines Tages arbeitete ich an Kostümen für eine Szene, und Zadek probte diese Szene mit den Schauspielern in provisorischen und persönlichen Kleidern. Es ging offenbar hervorragend, insbesondere was die einmalige Atmosphäre dieser Szene — eine jede Szene sollte einen eigenen Kairos aufnehmen, es gelingt jedoch eben nicht immer — anbetraf. Und dann hat er mich rufen lassen und sagte, ich solle die Schauspieler auf der Bühne fotografieren, so wie sie sind, weil er diesen Kairos nicht verlieren wollte, die Kostüme hätten ein Störung erzeugen können. Wie Du siehst, muß ich etwas von Jakob haben und gegen meinen Gott manchmal kämpfen.

Außer dem Gott hast Du aber noch Engel kennengelernt...

Meinst Du Ute Lemper? Sie ist eine hervorragende Schauspielerin. Zadek hat sie auf eine großartige Weise herausgefordert und sie ein freches und zerbrechliches Mädchen spielen lassen. Sie kann alles, und das ist für Zadek gerade noch genug. Das Paar Lemper/Wildgruber ist eine herausragende Konstellation, es gibt aber auch noch Ewa Mattes und Herrn Olszewski, Martin Wuttke und Wiebke Frost: sie alle sind unglaublich engagiert. Einmal haben wir inmitten der Probe eine Szene etwa 40 Minuten diskutiert und dabei übersehen, daß Wildgruber hinter der Kulisse stand und auf seinen Auftritt wartete. Als wir wiederaufgenommen haben — peng! —, war er sekundengenau da. Diese Selbstdisziplin bei wirklich großen Stars ist etwas Außergewöhnliches.

Du hast die Arbeit an deinem nächsten Stück nicht aufgegeben...

Nicht für einen Tag. Parallel zu der Arbeit am Theater des Westens konnte ich die ganze Zeit mit Martin Pohl — er hat schon bei den früheren Produktionen Die Zimtläden und Das Ende des Armenhauses Dramaturgie gemacht — an dem Szenario des nächsten Stücks arbeiten.

Es handelt sich um den dritten Teil einer jüdischen Trilogie...

So möchte ich das nicht sehen. Die Grundlage liefert zwar jedes Mal ein jüdischer Autor, aber die Trilogie läßt sich aus den drei Stücken schlecht komponieren. Mein erstes Stück handelt von einer technischen, das zweite von der bolschewistischen Revolution: beide sind pessimistisch und in gewissem Sinne realistisch. Das dritte Stück ist ein Märchen und soll optimistisch sein.

Man kann es trotzdem so sehen, daß du immer wieder vom Ende einer Welt erzählst, wobei es zweitrangig ist, welche immanenten Inhalte die Stücke tragen. Was zählt, ist ein Diskurs des Vergangenen, der aus dem Müll, aus den Erinnerungsfetzen zusammengeflickt wird. Ihr wart doch — im Begleitprogramm zu den Jüdischen Lebenswelten— fast einziges „Ausstellungsstück“ zum Thema Ostjudentum.

Meine Faszination von dieser Welt stammt noch aus der Kindheit. Die Bräuche, Speisen, die Splitter der jüdischen Kultur waren in meiner Lebenswelt immer vorhanden. Mit dieser Erinnerung an Gerüche und Geschmäcke, an eine eigenartige Aura, die diese Menschen hinterlassen haben, lebe ich bis heute.

Deine Kunst — nicht nur auf der Bühne — ist sinnlich, gefühlvoll. Andererseits schaffst du in Deinen Werken intellektuelle Synthesen, wie in Deiner Vision des Kollapses der Sowjetunion, die Du als Finale der Babel-Inszenierung hervorzauberst. Übrigens habe ich neulich gesen, daß in Rußland wieder Leihsärge und Bestattungen in Säcken praktiziert werden. (Der Verleih von Särgen ist die Einkunftsquelle der Odessaer Juden in der Babel-Erzählung vom „Ende des Armenhauses“, Anm. d. Red.) Was macht das Woron-Theater aus, der Kopf oder das Herz?

Dzidek Starczynowski meint, daß das Theater bei Woron mit einem Nagel beginnt: elementare handwerkliche Tätigkeiten am Bühnenbild. Parallel dazu läuft die Auseinandersetzung mit der Idee im Kopf. Das ist ein Feedback, jedes Requisit, das ich entworfen habe, lebt in meinem Bewußtsein und stimuliert die weitere Entwicklung des Plots, der Intrige. Meistens ist eine Lektüre der Ausgangspunkt für diese wechselseitigen Verstrickungen, am stärksten bei Bruno Schulz, dessen Zimtläden schon an sich duften und mit allen Farben spielen. Seit einiger Zeit bekomme ich immer wieder Angebote, hier und dort etwas zu inszenieren. Wie könnte ich aber meine Truppe aufgeben, meine Fabriketage, diese Unberechenbarkeit und gleichzeitig meine Omnipotenz: Hier kann ich meinen eigenen Weg gehen, mein Ensemble weiterentwickeln und integrieren — jede Premiere baut das Theater weiter auf. Ich möchte es nicht aufgeben, ich liebe Kreuzberg, diesen Saal, diese Arbeitsatmosphäre. Bisher konnten wir uns selbst Maßstäbe setzen. Jetzt, infolge dieser Einladung zum Theatertreffen, wird der Stab sehr hoch und nicht von uns, sondern von der professionellen Theaterwelt gesetzt — das ist eine Verpflichtung und eine Last. Deswegen freue ich mich, daß wir auch, angemessen zu dieser Pflicht, uns um gute Qualität weiterzubemühen, nicht nur die nächste Produktion finanziert bekommen, sondern wahrscheinlich einen „grant“ für eine bestimmte Zeit erhalten, vielleicht für drei Jahre. Das wäre für uns eine qualitative Verbesserung, dann wären wir ein Theater und nicht mehr bloß eine Reihe von Produktionen.

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