Kosovo-Albaner demonstrieren Gelassenheit

Kosovo-Albaner wählen Parlament und Präsident der „Republik Kosovo“/ Serbischer Repressionsapparat hält sich vorläufig zurück, ist jedoch „einsatzbereit“/ Albanischer Volkswille setzt noch auf friedliche Formen des Widerstandes  ■ Aus Pristina Erich Rathfelder

Ibrahim Rugova ist ein schmächtiger Mann. Hinter den riesigen Gläsern seiner Hornbrille versteckt, redet er oftmals stockend über die Fragen, die für die Zukunft des Kosovo von so großer Bedeutung sind. Immerhin geht es in diesen Tagen für sein Land um nichts anderes als um die Frage „Krieg oder Frieden“. Der Schriftsteller, der Menschenrechtler, der Vorsitzende der „Demokratischen Liga des Kosovo“, der so gar nichts Charismatisches an sich hat, ist mit den Wahlen vom Sonntag zu einer der Schlüsselfiguren im politischen Spiel des Balkan geworden. Ibrahim Rugova wurde als konkurrenzloser Kandidat von voraussichtlich über 90 Prozent aller abgegebenen Stimmen zum neuen Präsidenten der unabhängigen „Republik Kosovo“ gewählt. Gleichzeitig wurden hundert Abgeordnete eines kosovo-albanischen Parlaments im Mehrheitswahlrecht bestimmt.

Und noch bedeutsamer ist, daß diese Wahlen gegen den ausdrücklichen Willen der serbischen Regierung quasi im Untergrund durchgeführt wurden. Denn der Kosovo ist nach serbischer Meinung unverzichtbares Herzland Serbiens, auch wenn die albanische „Minderheit“ dort die absolute Mehrheit stellt.

Der Jubel der Anhänger Rugovas, die sich am Sonntag abend in der inzwischen legendären Baracke der kosovo-albanischen Opposition im Zentrum der Hauptstadt des Kosovo, Pristina, versammelt haben, hält sich angesichts dieser Spannung denn auch in Grenzen. Denn mit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sind die Kosovo-Albaner zur offenen Konfrontation gegen Serbien übergegangen. Und wie die Konfrontation ausgeht, ist ungewiß.

In den Hotels warten guttrainierte Zivilisten

Auf den Straßen der Stadt patrouillieren schwerbewaffnete serbische Milizionäre, um das Hauptquartier der Armee stehen Panzerfahrzeuge zum Einsatz bereit. Zu den 15.000 im Land stationierten Soldaten und den 3.000 Polizisten haben sich in den letzten Tagen und Wochen noch einmal einige tausend in Kroatien und Bosnien „erprobte“ serbische Kämpfer gesellt. In den Gängen der Hotels verbergen wohltrainierte junge Zivilisten keineswegs, daß sie auf ihren Einsatz warten. Seit einigen Tagen schon sind die meisten serbischen Frauen und Kinder aus dem Kosovo evakuiert. Und dieser Umstand war sowohl in Kroatien wie auch in Bosnien-Herzegowina das untrügliche Zeichen für den Beginn einer serbischen Militäraktion. Doch am Wahltag ist es, von kleineren Zwischenfällen abgesehen, ruhig geblieben.

Ibrahim Rugova beweist gerade in dieser Situation, weshalb er zum führenden Politiker der Albaner im Kosovo aufgestiegen ist. Mit seiner ruhigen Stimme verbreitet er jene Gelassenheit, die angesichts der Spannung noch Raum für rationales Denken läßt.

Ohne viel Aufwand, ohne Werbung, doch mit großer Zielstrebigkeit und Effektivität sei die Wahl organisiert worden, sagt er. In hundert Wahlkreisen wurden Privatwohnungen oder auch öffentliche Gebäude zu Wahllokalen umfunktioniert. Allein schon die Durchführung der Wahl sei das Politikum. Als einer seiner Mitarbeiter in alter Manier den neuen Präsidenten hochleben lassen will, wehrt Rugova ab. Und er verweist darauf, daß es eine Wahl der ethnischen Selbstbehauptung war, nicht jedoch unbedingt eine der demokratischen Reife. Er hätte lieber einige Gegenkandidaten gehabt. Für die Albaner ginge es vordringlich darum, aller Welt zu zeigen, daß sie den Anspruch darauf erheben, den Staat Kosovo unabhängig von Serbien zu formen und zu verwalten. Mit den am nächsten Wochenende stattfindenden Wahlen zum Parlament der „Bundesrepublik Jugoslawien“ hätten die Albaner folglich nichts mehr zu tun.

Unter Beweis zu stellen, „wie wir uns selbst verwalten können“ — darum geht es auch Azem K. Das kleine Dorf, in dem er lebt und das inmitten grüner und blühender Wiesen auf dem legendären „Amselfeld“ gelegen ist, hat sich wie zu Festtagen herausgeputzt. Die ungekehrten Straßen sind von dem sonst üblichen Plastikmüll gereinigt worden, die Menschen stehen mit ihren feinen Kleidern in einer langen Schlange vor einem Privathaus, in das sie in kleinen Gruppen eingelassen werden.

Azem K. gehört dem Wahlausschuß an. „Wir haben die Listen vorbereitet, da sind alle Einwohner mit ihren Paßnummern eingetragen“, erklärt er. „In einem anderen Haus sind Duplikate niedergelegt“, zwinkert er verschmitzt, „für alle Fälle, wenn die Polizei die anderen beschlagnahmen sollte.“ Doch nichts dergleichen geschieht hier. Die WählerInnen nehmen die beiden Wahlzettel für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen (in diesem Wahlkreis mit drei Direktkandidaten) entgegen und machen brav ihre Kreuze.

Die Wahl wird also ordnungsgemäß durchgeführt, davon sollen sich die ausländischen Beobachter überzeugen können. Alle Bewohner, auch Serben und Roma, Türken und Bulgaren, hätten das Recht teilzunehmen.

„Zwei serbische Frauen haben tatsächlich gewählt“, sagt Azem, „sie sind aber mit Albanern verheiratet.“ Sonst gäbe es keinen Serben mehr im Dorf, die anderen Minderheiten machten mit, nur die Roma tanzen teilweise aus der Reihe.

Seit am 5.Juli 1990 das alte kommunistische kosovo-albanische Parlament nach Beschluß des serbischen Parlaments aufgelöst, die kosovo-albanische Regierung abgeschafft und das Land praktisch unter Militärverwaltung gestellt wurde, haben die Albaner in vielen gesellschaftlichen Bereichen eine Parallelstruktur aufgebaut.

Denn mit der Entlassung von 100.000 Albanern aus dem Staatsdienst und der staatlichen Wirtschaft (von 230.000 Arbeitsplätzen und zwei Millionen EinwohnerInnen) mußte improvisiert werden. In Privaträumen werden albanische Kinder unterrichtet, in Hinterhäusern haben Ärzte notdürftige Kliniken entstehen lassen, ehemalige Journalisten bauten ein eigenes Informationsnetz auf. „Im Fernsehen werden ja lediglich die serbischen Nachrichten auf albanisch übersetzt, sonst ist alles serbisch.“ Mit viel Phantasie und Opferbereitschaft wird improvisiert, „denn Bezahlung gibt es nicht“.

In Mitrovica, der industriellen Hauptstadt Kosovos, ist dagegen vom einstigen geschäftigen Treiben nur mehr wenig zu sehen. Hier sind die ruß- und rauchausstoßenden Metallfabriken, das Batteriewerk und das Düngemittelwerk stillgelegt, bis an den Horizont zieht sich eine Landschaft aus Industrieruinen. „24.000 Arbeitsplätze sind hier verlorengegangen“, sagt ein Arbeiter, der in dem Bergwerk von Stari Trg gearbeitet hatte, vor zwei Jahren jedoch an dem legendären Hungerstreik der Arbeiter unter Tage teilnahm. Mit diesem hatten sie gegen die serbische Politik demonstrieren wollen. Sieben Jahre Gefängnis wegen „sezessionistischer Äußerungen“ hatte er schon vorher auf dem Buckel. „Sie haben die Industrie kaputtgehen lassen, weil sie ohne uns aufgeschmissen waren.“

Ob diese Industrien jemals wieder in Betrieb genommen werden können, zieht er selbst in Zweifel. „Die Maschinen und Geräte sind nach Serbien abtransportiert worden.“ Noch bitterer stößt ihm aber auf, daß manche Albaner, die mit ihrer Unterschrift die serbischen Gesetze anerkannten, im nahegelegenen Braunkohlebergwerk weiter arbeiten dürfen. „Die geben jetzt aber zehn Prozent ihres Lohnes an die Arbeitslosen ab.“

Immer mehr Albaner sind „kampfbereit“

„Wir haben bisher die Lage kontrolliert und trotz aller Repression keine Gewalt angewendet“, erklärt der Vorsitzende der demokratischen Liga des Kosovo von Mitrovica auf einer Versammlung der Wahlhelfer. Auf einem Videofilm sind Szenen zu sehen, auf denen Polizisten beschlagnahmte Urnen abtransportieren.

Und plötzlich schlägt die Stimmung um. „Wie lange noch sollen wir ruhig sein, wenn die andere Seite sich alles herausnehmen kann?“ fragt ein junger Mann. „Serbien ist jetzt in der Defensive, Europa muß uns helfen“, beschwört der Vorsitzende die ausländischen Journalisten, die sich hier eingefunden haben. Die Jugendlichen zucken die Achseln und bleiben ruhig. „Es gibt jetzt immer mehr Albaner, die auch zu den Waffen greifen wollen“, erklärt später ein ehemaliger Ingenieur. Doch Ibrahim Rugova hält unbeirrbar an seiner Strategie fest: friedlich, selbstbewußt und ruhig die Entwicklung zur Unabhängigkeit beschleunigen. Die Zeit, so betont er immer wieder, arbeite für die Albaner.

Wenn das Parlament am Ende dieser Woche zur konstituierenden Sitzung in Pristina zusammentrifft, hängt es von dem Vorgehen der serbischen Regierung ab, ob Rugovas Kurs erfolgreich bleibt. Die Alternative wäre Krieg und der Versuch serbischer Nationalisten, die Albaner aus Kosovo auszutreiben.