Drei Anmerkungen

■ betr.: "Sexpotenzen und Machtkämpfe" (Als "Wiedergutmachung" an Magnus Hirschfeld soll an der Berliner Humboldt-Universität ein "Institut für Geschlechter- unc Sexualforschungd" gegründet werden), taz vom 15.5.92

betr.: „Sexpotenzen und Machtkrämpfe“ (Als „Wiedergutmachung“ an Magnus Hirschfeld soll an der Berliner Humboldt-Universität ein „Institut für Geschlechter- und Sexualforschung“ gegründet werden) von Ute Scheub, taz vom 15.5.92

Der Artikel offenbart das Bemühen der Autorin, die komplizierten Aspekte des Themas den LeserInnen „griffig“, also in „Schwarz/weiß“- Klischees, zu vermitteln. Ob diese holzschnittartige Darstellung nun dem ungenügenden Verständnis der Materie durch die Autorin oder den Anforderungen des Mediums geschuldet ist, sei dahingestellt. Tatsache ist, daß dadurch der Autorin vorliegende Informationen nicht an die Leserschaft weitergegeben werden. Wiewohl eine differenzierte Art der Auseinandersetzung angesichts der Brisanz des Themas, das nun weiß Gott nicht nur hochschulinterne Implikationen hat, wünschenswert wäre, muß ich mich hier auf drei kurze Anmerkungen beschränken:

1.Es geht bei dem Streit um das Memorandum eben nicht um den kruden Widerspruch „Biologismus contra Konstruktivismus“, sondern um den Streit „Komplexität contra theoretische Einseitigkeit“, nicht um „biologische Ursachen versus soziale Ursachen“, sondern um die Zurückweisung der Institutionalisierung eines Konzeptes, in dem menschliches Verhalten als „gesellschaftlich konstruiert“ verstanden wird, zugunsten eines tatsächlich neuen, interdisziplinären Ansatzes, der menschliches Verhalten als bio- psycho-sozial bedingt ansieht und damit dem internatinalen Forschungsstand und der Komplexität des Themas eher gerecht wird. Dies kann inhaltlich hier aus Raumgründen nicht weiter ausgeführt werden, deshalb muß der — von der Autorin unterlassene — Hinweis genügen, daß eben nicht nur Mediziner und Biologen zu den Mitunterzeichnern des Briefes an den damaligen Rektor Fink gehörten, sondern auch Psychologen (Prof.Hans-Dieter Schmidt und Prof.Lothar Sprung) und ein philosophischer Entwicklungswissenschaftler (Prof.Karl- Friedrich Wessel). Auch ist der Streit vordergründig kein Ost-West- Konflikt: US-amerikanische Sexuologen, die sich einem interaktionalen Ansatz verpflichtet fühlen, nämlich Prof.Heino Meyer-Bahlburg, New York, und Prof.John Money, Baltimore, lehnen in, der Artikelschreiberin bekannten, schriftlichen Stellungnahmen diesen soziologischen Reduktionismus des Memorandums mit deutlichen Worten ab.

2.Den Vorwurf der „Machtpolitik“ müssen sich zunächst die AutorInnen des Memorandums gefallen lassen, die hofften, ihr hinter verschlossenen Türen entwickeltes Papier durch Ausnutzung der Position des damaligen Rektors quasi „von oben“ in der Universität durchzusetzen. Rüdiger Lautmann (Bremen) in einer Pause jenes merkwürdigen Hearings im Dezember zu mir: „Es geht darum, an der Humboldt-Universität einen Brückenkopf (sic!) kritischer Sexualwissenschaft, wie sie sich in der BRD entwickelt hat, zu etablieren.“ Nicht ohne Delikatesse dürfte dabei die Tatsache sein, daß im Anfang in der Gruppe die Hoffnung bestand, durch die PDS einen größeren Millionenbetrag für ein derart zu gründendes Institut zu erhalten. Daß der Artikel im Zusammenhang mit der Gründung eines wissenschaftlichen Instituts den „massiven Druck interessierter gesellschaftlicher Gruppen“ einfordert, wirkt lächerlich bis bedrückend.

3.Daß der Endokrinologe Günther Dörner umstritten ist, weiß er selbst wohl am besten, schließlich wurde vor dem Herbst 1989 von seinen Kritikern in Ost und West sogar das ZK der SED gegen ihn bemüht. Daß Dörner als Spezialwissenschaftler sich in interdisziplinäre Zusammenhänge begibt (zum Beispiel in das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Biopsychosoziale Einheit Mensch — Struktur & Dynamik der Humanontogenese“ an der Humboldt-Universität), daß er hier neue Einsichten gewinnt, die er zum Beispiel in einem Beitrag zum, der Autorin bekannten, Buch Interdisziplinäre Aspekte der Geschlechterverhältnisse in einer sich wandelnden Zeit (Kleine Verlag Bielefeld 1992) zum Ausdruck bringt, wird den LeserInnen ebenso verschwiegen wie die Tatsache, daß sich Sigusch in einem außergerichtlichen Verfahren veranlaßt sah, seine ungeheuerlichen Beschimpfungenn Dörners zu unterlassen. Auch dies war der Autorin bekannt, paßte aber wohl nicht in ihr Bild, ebensowenig wie die Tatsache, daß der als Spiritus rector des Memorandums bemühte Mediziner Magnus Hirschfeld selbst einer der Initiatoren der Hormonforschung zur sexuellen Orientierung war. Daß auch Hirschfeld hierbei Illusionen bezüglich der Monokausalität biologischer Ursprünge menschlichen Verhaltens hatte, ist mir bekannt und läßt mich um so nachdrücklicher ein wirklich neues, komplexes Herangehen an das Thema fordern. Dr.med.Hartmut A.G.Bosinski, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Sexualwissenschaft, Institut für Wissenschaftsphilosophie & Humanontogenetik der Humboldt-Universität Berlin