„Ganz Kuwait ist ein großes Gefängnis“

Asiatische Hausangestellte fliehen vor unerträglichen Arbeitsbedingungen und sexueller Gewalt/ Kuwaits Emir lehnt jegliche Entschädigung ab/ Ihre Familien in den Heimatländern sind zum Überleben auf ihre Lohnüberweisungen angewiesen  ■ Von Ingrid Schneider

Endlich konnten sie das Land verlassen. Seit Anfang des Jahres hatten Hunderte von Frauen aus den Philippinen, Indien, Sri Lanka und Bangladesh, die als Hausangestellte in Kuwait gearbeitet hatten, in ihren Botschaften Zuflucht gesucht. Sie waren von ihren Arbeitgebern geschlagen, vergewaltigt, mißhandelt oder monatelang um ihren Lohn geprellt worden. Teilweise hätten sich die Mißhandlungen bei der Polizei fortgesetzt, wo die Frauen Schutz gesucht hatten, sagen die Frauen.

Anfang Mai landeten knapp 500 Filipinas mit einer Maschine der Kuwait Airways auf dem Flughafen in Manila, viele krank, mit geschwollenen Gesichtern, einige schwanger.

„Auch wenn ich überhaupt kein Geld habe, bin ich doch glücklich, nach Hause zu kommen und am Leben geblieben zu sein“, sagt eine 22jährige Hausangestellte, die schwer sexuell mißhandelt worden war. Eine 27jährige Filipina schildert, wie ihre Hausherrin in Kuwait- City ihr beim Arbeitsantritt ein Messer an den Hals gehalten und sie gezwungen hat, Blutlachen vom Boden aufzuwischen. Das Blut im Kinderzimmer stammte von ihrer Vorgängerin, die vermißt wird und offenbar ermordet wurde.

Ausreise ja — aber

Menschenrechts-, Frauengruppen und einige Mitglieder des US-Kongresses setzten sich für ihre Freilassung ein. Erst nach über zweimonatigen Verhandlungen vereinbarte Kuwait schließlich mit der Aquino-Regierung, die Frauen auf Kosten Kuwaits auszufliegen. Allerdings stellte der Emir von Kuwait die Bedingung, daß die Frauen alle Mißhandlungs- und Vergewaltigungsklagen fallen ließen und ihre Lohnansprüche aufgäben. Die kuwaitischen Behörden stellten den Frauen befristete Ausreisevisa und Ersatzpässe aus, da viele Arbeitgeber sich weigerten, die Pässe ihrer Bediensteten herauszugeben. Auch für die über 200 Botschaftsflüchtlinge aus Indien und die Dutzenden aus Sri Lanka und Bangladesh lief die Ausreise an.

Während ihres wochenlangen Wartens in den Botschaften waren häufig wütende ArbeitgeberInnen aufgetaucht, die sogar handgreiflich die Herausgabe ihrer Angestellten verlangten. Die 700.000 BürgerInnen des Öl-Emirats greifen seit langem auf ArbeitsemigrantInnen zurück, um sich ihrem Lebensstil des luxuriösen Müßiggangs hingeben zu können. Vor der irakischen Besatzung lebten über 1,5 Millionen ausländische Arbeitskräfte im Land, nach Schätzungen sind es heute „nur“ noch ein halbe Million.

Für die Herkunftsländer der Hausangestellten wiederum sind die Gehaltsrücküberweisungen der ArbeitsmigrantInnen eine wichtige Einnahmequelle. Als „neue Heldinnen der Nation“ feierte die philippinische Präsidentin Aquino die Frauen, die für die Überlebenssicherung ihrer Familien und gegen harte Devisen für den Schuldendienst ihrer Nation im Ausland arbeiten. Von einer „Feminisierung der Migration“ spricht die philippinische Frauen- Dachorganisation „Gabriela“.

Allein in den Golfstaaten verdingen sich an die 100.000 philippinische Hausangestellte. Insgesamt machten 1990 die Rücküberweisungen aller philippinischen ArbeitsmigrantInnen eine Milliarde Dollar aus. Die MigrantInnen sind zudem verpflichtet, bis zu drei Prozent Einkommenssteuer „für nationale Zwecke und Ideale“ zu zahlen.

In Kuwait fehlt den Hausangestellten jeglicher arbeitsrechtlicher Schutz und soziale Absicherung. Sie werden meist von — inzwischen illegal operierenden — Agenturen angeworben, denen sie für einen zwei- bis fünfjährigen Arbeitskontrakt zwischen 400 und 3.000 US-Dollar zahlen. Bei einem durchschnittlichen Monatsgehalt von 125 Dollar müssen die Frauen dafür oft über ein Jahr arbeiten. Teilweise stecken die Agenturen zusätzlich bis zu 40 Prozent des Monatsgehalts als Provision ein.

In den Privathaushalten wird von den Hausangestellten erwartet, daß sie 24 Stunden täglich für jede Art von Dienstleistung zur Verfügung stehen. Die meisten Frauen leben total isoliert und eingesperrt. Gegen die Willkür können sie sich kaum zur Wehr setzen. Laut Arbeitsvertrag sind sie sogar dazu verpflichtet, ihre Arbeitgeber zu entschädigen, wenn sie den Kontrakt brechen. Wer die 1.500 Dollar Vermittlungsgebühr, die ihr Arbeitgeber zahlte, nicht aufbringen kann, sitzt in der Falle. „Ganz Kuwait ist ein großes Gefängnis“, sagte eine Filipina, der es gelang zu fliehen.

Ungewisse Zukunft

Frauen, die nun in ihre Heimat zurückkehren, meinten, daß sich seit Kriegsende ihre Situation dramatisch verschärft. Mehrere Botschaften haben offizielle Beschwerden bei der kuwaitischen Regierung eingelegt. Diese weist jedoch alle Anschuldigungen zurück. Viele Berichte über Mißhandlungen seien erfunden und dienten nur dem Zweck, daß Frauen aus ihren Kontraktverträgen freikämen, wird behauptet. Als Reaktion auf die Kritik stoppte Kuwait seit Mai die Visavergabe für asiatische Frauen.

Eine Hausangestellte, die in der philippinischen Botschaft in Kuwait- City Zuflucht fand, blieb zurück: die 28jährige Helen Demetillar liegt mit Gehirnerschütterung und Hüft- und Beinbruch im Krankenhaus. Sie berichtete gegenüber „USA today“, sie sei vergewaltigt und dann aus einem Fenster im dritten Stock geworfen worden. Nach einer baldigen Operation wollen Diplomaten um ihre Ausreise verhandeln.

Die Zukunft der ausgeflogenen Hausangestellten ist ungewiß. Die katastrophale wirtschaftliche Situation in ihrem Land wird sie wahrscheinlich bald wieder dazu zwingen, zu den Vermittlungsagenturen zurückzukehren und eine ähnliche Arbeit im Ausland anzunehmen. Vielleicht wird es das nächste Mal in Europa oder den USA sein — als Dienstmädchen, Prostituierte oder im Heiratshandel.