Plant Tudjman Krieg gegen Serbien?

Kroatien will die von serbischen Verbänden besetzten Gebiete selbst „befreien“/ An der Adriaküste haben bereits „Säuberungen“ begonnen/ Neu-Jugoslawien will Waffenruhe in Sarajevo  ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler

Mit deutlichen Worten hat sich der Oberkommandierende der kroatischen Marine und Luftstreitkräfte, Aveto Letica, an die UNO gewandt. Falls es — so der General in einem am Dienstag bekanntgewordenen Brief — den UNO-Blauhelmen nicht gelinge, die „Verwirklichung des Planes der verbrannten Erde“ der jugoslawischen Volksarmee zu stoppen, werde Kroatien die Befreiung in den derzeit von serbischen Verbänden besetzten Gebieten auf eigene Faust durchführen. Dann „werde ich gezwungen sein, einen Befehl zum Angriff zu geben“. Wie ernst es die kroatische Generalität mit militärischen Aktionen meint, zeigen zahlreiche Interviews hoher Militärs und Politiker in der Zagreber Presse.

Zu ihnen zählt nicht zuletzt Kroatiens Präsident Franjo Tudjman selbst: „Keinen Millimeter kroatischen Bodens werden wir aufgeben“, brüllte der Präsident am Sonntag vor Zehntausenden ZagreberInnen in die Mikrophone, „wir werden die serbojugoslawischen Aggressoren schlagen!“ Die Aufnahme des jungen Balkanstaates in die UNO nutzte Tudjman zu einer pompösen Feier zur „endgültigen Verwirklichung des tausendjährigen kroatischen Traumes nach einem eigenen Staat“. Welches Territorium dieser Staat umfassen soll — ob auch Teile Bosniens wie zu Zeiten des vormittelalterlichen Kroatenkönigs Tomislav —, ließ der Historiker Tudjman geflissentlich offen. Keinen Zweifel ließ er dagegen an einer anderen Entscheidung: Im letzten Herbst habe Kroatien nur nach den Blauhelmen gerufen, weil es militärisch der „serbojugoslawischen“ Armee unterlegen gewesen sei. Nun habe sich militärisch das Blatt aber gewendet, ein Gegenangriff sei für Kroatien und seine „soliden Streitkräfte“ zu gewinnen. Regierungsnahe Zagreber Zeitungen sprechen deshalb bereits von einem „zweiten serbisch-kroatischen Krieg“, den diesmal Kroatien eröffnen werde, sollte Belgrad seine Feindseligkeiten nicht endlich einstellen. Glaubt man dem Militärberater des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevićs, Miroslav Lazanski, so verfügen die kroatischen Streitkräfte bereits über 350 Panzer, einem Dutzend MIG-Jagdbomber und 200.000 Mann unter Waffen.

Erste Anzeichen eines „kroatischen Gegenangriffs“ kann man seit dem Wochenende beobachten. In einer „Aktion Säuberung“ durchkämmen kroatische Kampfverbände, sogenannte „Tiger-Einheiten“, den 380 km langen dalmatinischen Küstenstreifen zwischen Zadar und Dubrovnik und „säubern“ täglich etwa 25 km von „feindlichen Kräften“. So die offizielle Sprachregelung. Außerdem werden dabei an der Grenze zum bosnischen Hinterland neue Stellungen mit Panzereinheiten aufgebaut, von denen aus man schweres Geschütz weit auf serbische Stellungen in Bosnien, aber auch auf Ziele in Montenegro, sprich Neu-Jugoslawien, abfeuern könnte.

Wenngleich bisher unklar ist, ob Kroatien von Dalmatien aus den Angriff auf Serbien plant, sicher ist: auch die augenblickliche Zagreber Militäraktion verstößt gegen die Friedensabkommen, die mit der EG und UNO getroffen worden sind. Danach verpflichten sich alle Konfliktparteien, die Kampfaktionen nicht auszudehnen. Nachdem sich bereits Belgrad an diese Abmachungen nicht gehalten und den Krieg in Bosnien eröffnet hat, schert man sich nun auch in Zagreb immer weniger um die Friedensschlüsse unter ausländischer Vermittlung. Zumal sich Meinungsumfragen zufolge die Mehrheit der Kroaten für militärische Aktionen gegen Serbien aussprechen, 85% eine Abspaltung der ostkroatischen Serbenenklaven nicht hinnehmen wollen und fast 20% gegen einen Militärschlag gegen Belgrad keine Einwände haben.

Unterdessen hat sich die Präsidentschaft der aus Serbien und Montenegro bestehenden Föderativen Republik Jugoslawiens angesichts drohender westlicher Sanktionen am Dienstag zur Beendigung des „schmutzigen Krieges“ in Bosnien bereit erklärt. In einem Appell, der sich ausdrücklich auch an die serbischen Milizen richtete, forderte sie die Konfliktparteien auf, den Waffenstillstand einzuhalten und „geduldig“ nach einer politischen Lösung der Krise zu suchen. Demgegenüber bezeichnete der stellvertretende Ministerpräsident Serbiens, Nikola Sainović, ein mögliches Ölembargo als eine „direkte politische Drohung gegen das serbische Volk“.