Hannoveraner sind gegen Expo-Fieber immun

Mit der Bürgerbefragung beginnt in Hannover eine bisher einmalige Abstimmung über ein Großprojekt/ Dem Werbefeldzug von oben steht das Mißtrauen von unten gegenüber/ Kaum jemand glaubt an ein „Ja“ der Bevölkerung für die Weltausstellung  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Die grün gerasterten Doppelkarten — genau 424.876 an der Zahl — brachte die Stadtverwaltung gestern als „Massendrucksache“ auf den Weg. Spätestens nach fünf Tagen, so versichert die Post, sollen alle erwachsenen Hannoveraner eine Stimmkarte im Briefkasten finden, auch jene 35.000 Einwohner ohne deutschen Paß, die seit mindestens drei Jahren hier leben. „Ich bin dagegen, daß im Jahr 2000 in Hannover eine Weltausstellung stattfinden wird“ — bis zum 10. Juni können die BürgerInnen „ja“ oder „nein“ ankreuzen und, natürlich portofrei, an die Stadt zurücksenden. Der Vorgang ist bisher einmalig: noch nie hat eine bundesrepublikanische Stadt vor der endgültigen Entscheidung über ein Projekt dieser Größenordnung die „Bürger“ nach ihrer Meinung „befragt“. Doch ein Wahlkampffieber ist in den letzten Wochen ausgeblieben. „Der Funke springt nicht über“, klagt der Leiter des Statistischen Amtes, Hubert Harfst, der die Befragung organisiert hat. Er fürchtet, daß viele Karten im Papierkorb statt im Briefkasten landen. „Schon mal 100 Bürger, aber auch oft nur 25 Leute“ hat Oberstadtdirektor Jobst Fiedler bei den Veranstaltungen gezählt, auf denen er um ein Votum für die Expo 2000 geworben hat. Der Expo-Fan und Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg, der keine der Bürgerversammlungen zur Weltausstellung ausgelassen hat, klagte öffentlich über „ein generell geringes Interesse an solchen Veranstaltungen“.

In der Bürgerbefragung sollen die Hannoveraner nicht über den Unsinn oder Sinn von Weltausstellungen im allgemeinen, sondern über die Vor- oder Nachteile für ihre Stadt abstimmen. Erwartet würden von der Expo „mehr Arbeitsplätze, höhere Einkommen, neue Nahverkehrslinien und mehr Wohnungsbau“, befürchtet würden „steigende Mieten, zusätzliche Umweltbelastungen, steigende Lebenshaltungskosten und große finanzielle Belastungen für die Stadt“, heißt es in dem Text auf der Doppelkarte, auf den sich die hannoverschen Grün-Alternativen von der GABL und die Stadtrats-SPD in ihren Koalitionsverhandlungen geinigt hatten. Der GABL ist die Bürgerbefragung zu verdanken und auch, daß der Rat sich deren Ergebnis nunmehr am 18. Juni zu eigen machen will, falls 50 Prozent der Karten zurückkommen.

Aber trotz des rot-grünen Rathausbündnisses kann von einer Neutralität der Stadt keine Rede sein. Auf geschätzte zwei Millionen DM summieren sich die Ausgaben der Stadt für eine Pro-Expo-Kampagne. Alle 500.000 hannoverschen Haushalte erhielten eine 14seitige Expo-Zeitung, allein 490.000 DM kostete die Anzeigenkampagne mit dem Slogan: „Das Beste an der Expo wird Hannover“. Von Unternehmerverbänden, dem Handwerk und dem DGB gemeinsam finanzierte Plakate versprachen den Hannoveranern „mehr Wohnungen“ und schlicht „mehr Lebensfreude“ durch die Expo. Von den 110.000 DM, mit denen die Stadt ursprünglich Informationsmaterial Expo-kritischer Gruppen bezuschussen wollte, sind bisher allerdings ganze 5.044 DM bewilligt.

Geholfen hat der Stadtverwaltung derlei Parteilichkeit allerdings wenig. Herbert Schmalstieg registrierte bei seinen Werbeauftritten für die Ausstellung auch allgemein Ängste und Verdrossenheit über Staat und Politik. Allerdings hatte der Oberbürgermeister diesen Ängsten auch wenig entgegenzusetzen. „Auch ohne die Expo wird das Leben in der Stadt nicht billiger“, gab er etwa in der 'Hannoverschen Allgemeinen Zeitung‘ zum besten, die ansonsten über Wochen voll war mit Pro-Expo- Artikeln. Kaum besser als die Worte des Bürgermeisters ist auch die vage Versicherung des Oberstadtdirektors Fiedler, durch die Ausstellung verursachte „finazielle Zusatzbelastungen durch bestimmte Maßnahmen für Sozialhilfeempfänger erträglich zu gestalten“.

Hannover erlebt schon jetzt einen Bauboom, der vor allem darauf zurückgeht, daß die Stadt durch die deutsche Vereinigung in eine neue Mittellage geraten ist. Selbst die Makler der Landeshauptstadt konstatierten jüngst einen Bedarf an 15.000 zusätzlichen Wohnungen und Mietsteigerungen von über 10 Prozent in den letzten zwei Jahren. Die Wirkungen der Expo auf Mieten und Immobilienmarkt sind die Schwachstelle der Expo-Befürworter, obwohl diese immer von 5.000 bis 7.000 zusätzlichen Wohnungen durch die Weltausstellung sprechen. Klare Worte fand jüngst der Landesvorsitzende des niedersächsischen Haus- und Grundbesitzervereins, Friedrich-Wilhelm Warnecke: „Die von der Weltausstellung ausgehenden positiven Impulse ermöglichen Mietpreise, die bereits nach kurzer Zeit zur Kostendeckung führen“, verkündete er unverhohlen.

Seit Bundesfinanzminister Theo Waigel der Expo aus Bonn den Geldhahn abgedreht hat, geben auch die eingefleischten Expo-Freunde der Ausstellung nur noch eine Chance, wenn das Votum klar für das Projekt ausfällt. Doch daran glaubt im Ernst in Hannover kaum jemand mehr.