Die Polizei und einige linke Verlogenheiten

■ Die Linke und die innere Sicherheit (Teil I einer vierteiligen Serie): Der Verfassungsrichter Klaus Eschen zur Weigerung der Linken, die Polizei als demokratische Institution anzuerkennen: Man will verbieten, aber nicht sagen, wer dies durchsetzen soll

Wenn über Kriminalitätsentwicklung und Sicherheit diskutiert wird, dann geschieht dies traditionell ohne die Linke: Dies Thema wird der politischen Rechten überlassen; eigene Vorstellungen, wie sicher die Stadt zu sein hat, werden kaum formuliert. Vier Beiträge sollen das Tabu beleuchten. Der nächste Beitrag erscheint am Montag. (d. Red.)

Während der Hausbesetzerzeiten, als nach dem Tod von Jürgen Rattay in der Potsdamer Straße Randale war, versuchten auch einige Zuhälter, eines der besetzten Häuser zu stürmen. Die bedrängten Besetzer, sofern sie nicht gerade auf der Straße Steine warfen, riefen die Polizei, die dann kam, sofern sie nicht gerade auf der Straße knüppelte, und schützte die Besetzer, die heilfroh waren, daß die Polizisten draußen bereit waren, sie vor den Zuhältern zu schützen.

Die Geschichte illustriert das problematische Verhältnis der Linken zur Polizei. Es gibt hierbei drei Grundverlogenheiten. Die erste besteht darin, daß in vielen Bereichen immer mehr Schutz in Form von Verboten gefordert wird: Schutz vor Vergewaltigung, Schutz vor Umweltverschmutzung, Schutz vor organisierter Kriminalität. Aber man sagt gleichzeitig nicht, wer diesen Schutz zu gewährleisten hat und mit welchen Strategien dieser Schutz staatlich zu garantieren ist. Wenn dies aber mit Hilfe der Polizei geschehen soll, dann muß die Linke auch sagen, wie diese Polizei aussehen soll, wenn sie sie nicht nehmen will, wie sie ist.

Die zweite Grundverlogenheit ist, daß die Polizei immer dann gut ist, wenn man selbst bedroht ist oder wenn es darum geht, eine Demonstration Rechtsradikaler zu verbieten. Dann ist die Polizei plötzlich Verbündeter. Das ist dann aber die gleiche Polizei, von der die Linke sagt: »Deutsche Polizisten schützen die Faschisten.« Sie diffamiert die Polizei als faschistoid oder zumindest als faschistenfreundlich, rechnet aber damit, daß sie ein Verbot gegen die Faschisten durchsetzt.

Die dritte Grundverlogenheit liegt darin, daß man ständig eine andere Polizei fordert, die man aber nur bekommen kann, wenn andere Leute in die Polizei gehen. Die Linke ist aber nicht dazu bereit. Viele Linke kommen mir deswegen so vor wie jemand, der gerne Fleisch ist, aber nicht bereit ist, ein Tier zu schlachten. Die Linke möchte gerne Sicherheit haben, aber sie möchte nichts mit der Polizei zu tun haben.

Die Linke definiert sich weitgehend weniger durch positive Perspektiven, Utopien und Planungen als negativ durch Feindbilder. Zu einem dieser Feindbilder eignet sich besonders die Polizei. Die Polizei ist gegenüber der mittelschichtorientierten Linken immer noch unterschichtbewertet. Die bürgerliche Linke kann Polizisten gegenüber die ganze linke Arroganz aus ihrem intellektuellen Überlegenheitsgefühl ausspielen. Sie kennt polizeiliches Handeln im wesentlichen aus eigener Erfahrung meist nur aus dem politischen Bereich, aus Demonstrationen oder Hausdurchsuchungen. Den überwiegenden Teil polizeilicher Arbeit, Kriminalitätsbekämpfung und Sicherheitsgewährung, kennt sie aus eigenem Erleben nur selten. Das führt dazu, daß sie sich ein Bild von der Polizei zurechtzimmern kann, so wie es ihr politisch paßt. Dabei hat die Linke offenbar noch nicht wahrgenommen, daß Polizei im Gegensatz zu ihrer historischen Funktion heute nicht mehr »Organ zur Sicherung einer herrschenden Klasse« ist. Sie hat auch von ihrem Selbstverständnis her nicht mehr die Aufgabe, Ruhe und Ordnung »im Namen eines Königs«, sondern Sicherheit für den einzelnen Bürger zu gewährleisten. Die Linke nimmt das nicht zur Kenntnis, weil es nicht in ihr Feindbild paßt. Die Polizei war mal Machtinstrument der »herrschenden Klasse«, aber nach 40 Jahren Grundgesetz ist das eine völlig neue Polizeigeneration.

Die Polizei ist eine weit demokratischere Organisation als andere Institutionen, wie etwa die Schule. Die Schule ist dagegen vom rechtlichen Standpunkt her ein Bereich mit archaischen Zuständen. Die Macht der Lehrer ist weit größer als die Macht eines Polizisten. Die Macht eines Lehrers, einen Schüler fertigzumachen, ist rechtlich überhaupt nicht zu kontrollieren. Die Polizei gehört traditionell zu den am meisten kontrollierten Institutionen.

Offenbar gibt es genug Linke, die immer noch das hergebrachte Feindbild der Polizei brauchen, um eine Selbstdefinition als Linker zu haben. Es ist doch unglaublich schwer, sich als profitierender Teilhaber in einer die Welt ausbeutenden und kaputtmachenden Gesellschaft noch als Linker zu definieren.

Ich habe in vielfältigen Begegnungen mit Polizisten festgestellt, daß dort sehr unterschiedliche Auffassungen existieren, die nicht selten mit Linken sympathisieren. Aber für einen Polizisten bedeutet ein Schritt aus der Reihe unter Umständen den Verlust der Existenz. Für einen Lehrer bedeutet ein Marsch aus der Reihe seiner Kollegen oft, daß er sich als Exote profilieren und dabei noch beruflichen Nutzen ziehen kann. Das ist eben der Unterschied.

Aber Polizisten sind Menschen, die ihr berufliches Leben in Grenzsituationen verbringen und nicht nur auf Demonstrationen gehen. Sondern die werden zu Sterbenden gerufen, arbeiten in einer Atmosphäre, die oft höchst erregt ist, voller Schrecken und Entsetzen. Dabei müssen Polizisten eine kühlen Kopf bewahren. Sie müssen Verletzte bergen oder müssen Todesnachrichten den Hinterbliebenen bringen. Oder müssen zu verzweifelten Menschen gehen, deren Wohnung zerstört und ausgeraubt wurde. Das ist der Polizistenalltag. Das ist ein Alltag, von dem die meisten Linken keine Ahnung haben. Wenn ich mir die Flucht aus der Verantwortung vieler Linker anschaue, wie wenig sie vielfach in der Lage sind, solche Drucksituationen zu ertragen, dann frage ich mich, mit welchem Recht sie diese Distanz zu dieser wichtigen Institution eigentlich rechtfertigen und die Überheblichkeit, mit der sie Polizeibeamten gegenüberstehen.

Von der Linken wird Kriminalität seit 1968 vor allem aus der Sicht der Verteidigung gesehen als Antwort einer Gegnerschaft, die man zu Justiz und Strafvollzug allgemein hatte. Das Bild war geprägt vom Verständnis für den Täter. Die Justiz war als konservativ, der Strafvollzug als unmenschlich angesehen. Und zwar mit Recht. Nicht umsonst wurde er mühsam und weitgehend reformiert. Der heutige Strafvollzug ist mit dem vor dreißig Jahren nicht mehr zu vergleichen. Aber die Sicht der Linken auf die Justiz und auf die Kriminalitätsbekämpfung ist wenig verändert — ein konserviertes Feindbild. Was außen vor blieb, war eine Vernachlässigung der Opfersicht. Man hatte immer mehr Verständnis mit dem jungendlichen Täter, der einer alten Frau die Handtasche raubt. Das Opfer, wenn es sich nicht um eine Vergewaltigung handelte, rückte weniger ins Blickfeld. Das führte dazu, daß man die gesamte Kriminalität aus dieser Sicht sah und außer acht ließ, daß die Gesellschaft berechtigt oder unberechtigt, rational oder irrational ein Schutzbedürfnis hat, mit dem sich die Linke überhaupt nicht auseinandersetzte. Da kommt hinzu, daß von vielen Bereichen der Kriminalität die Linken und ihre Familien wenig oder gar nicht berührt werden.

Wenn ihnen etwas geklaut wurde, war es ein Radio, möglicherweise mal ein Auto oder ein Autoradio. Dabei hat die Linke das Privileg, daß wir an Dingen, die uns geklaut werden, nur dann hängen, wenn wir sehr starke emotionale Bindungen dazu hatten. Der überwiegende Teil des »Konsumscheiß« ist doch ersetzbar; meist sind wir auch versichert. Wir machen uns gar keinen Begriff davon, wie in anderen Schichten solche Beeinträchtigungen und Schädigungen bewertet werden. In vielen Kreisen bedeutet ein Wohnungseinbruch tatsächlich den Entzug der Lebensqualität. Einer alten Frau, der die Handtasche geklaut wird, wird zugleich die Straße weggenommen, weil sie sich nicht mehr dorthin traut — wenn sie sich nicht sogar einen Oberschenkelhalsbruch zuzieht und nie wieder auf die Beine kommt. In unser Arroganz setzen wir uns über die libidinösen Beziehungen anderer Schichten zu den erarbeiteten Gegenständen hinweg. Wir erkennen nicht, daß dies im Bereich politischer Propaganda auch politische Brisanz bekommt. Wir können es für lächerlich halten, daß jemand sein Auto mehr liebt als seine Kinder, aber es ist ein politisches Faktum.

Die Rechten haben der Gesellschaft nichts anderes zu bieten als die Illusion der Befreiung von Ängsten. Dies aber kann man dann besonders gut machen, wenn man vorher die Gefahr dramatisch dargestellt hat. Das tut man, indem man eine Stadt oder eine Gesellschaft für besonders unsicher erklärt. Demgegenüber besteht die Strategie der Linken oft darin, diese Unsicherheit zu bagatellisieren oder auch zu relativieren, auf soziale Ursachen zurückzuführen. Die Rechten setzen dagegen auf den autoritären und starken Staat, einer harten Polizei. Zwar sagen die Linken mit Recht, daß die Polizei nicht das gesellschaftliche Instrument ist, um Kriminalitätsprobleme zu lösen. Die müssen vielmehr dort bekämpft werden, wo sie entstehen, nämlich in den Bereichen sozialer Ungerechtigkeiten und Perspektivlosigkeit. Dabei ist jedoch wenig hilfreich, wenn man die Polizei diffamiert und damit den Rechten argumentativ in die Hände spielt. Man muß die Argumentation überhaupt von der Polizei lösen und gleichzeitig deutlich machen, daß eine Gesellschaft ohne eine fachkundige, sachgerecht ausgebildete und dann auch in der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols entschlossene Polizei nicht auskommt.

Klaus Eschen ist Anwalt und Notar, ehemaliger Bundesvorsitzender des Republikanischen Anwälte- und Anwältinnen-Vereins sowie Mitglied des Berliner Verfassungsgerichtshofes.