Politik der Rauchzeichen

Brasiliens Amazonas-Urwald brennt angeblich weniger schnell ab  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Rio de Janeiro (taz) — Der brasilianische Regenwald verschwindet heute weniger schnell als vor wenigen Jahren. Das jedenfalls meldet die brasilianische Raumfahrtbehörde INPE. Gerade noch rechtzeitig zum UN-Gipfel in Rio de Janeiro freut sich das sogenannte Nationalinstitut für Raumfahrtforschung in Sao Paulo öffentlich über einen drastischen Rückgang der Waldzerstörung. Waren im Jahr 1985 noch rund 30.000 Quadratkilometer Wald Brandrodern und Holzfällern zum Opfer gefallen, so gingen von September 1990 bis August 1991 angeblich „nur“ noch 11.300 Quadratkilometer Regenwald in Rauch auf.

Für einen Mann jedoch kommen solche guten Nachrichten zu spät. Brasiliens international bekannter Umweltminister Jose Lutzenberger ist vor zwei Monaten von Präsident Collor gefeuert worden, weil es angeblich in der Regenwaldpolitik nicht vorwärts ging. Damals hatte die gleiche INPE für die Regierung die Regenwaldzerstörung im Jahr 1991 auf 21.000 Quadratkilometer beziffert. Hat die Regierung damals geflunkert, um den unbequemen Minister loszuwerden? Oder versucht sie jetzt kurz vor UN-Umweltkonferenz, mit getürkten Zahlen eine gute Figur zu machen?

Vielleicht beides. Die Auswertung der Satellitenbilder, die angeblich beiden Zahlen zugrunde liegt, ist mit Vorsicht zu genießen. „Eigentlich ist es unmöglich, mit dem Satelliten genau auseinanderzuhalten, was mit dem Wald passiert ist“, erklärt der Forstwirtschaftler Efraim Rodriguez der taz. Er hat selbst mit kleinräumigen Satellitenstudien gearbeitet. Häufig seien die neu geschlagenen Lichtungen viel zu klein, als daß man sie wirklich auf den Satellitenbildern erkennen könne. Zu bedenken gibt Rodriguez auch, daß das INPE für ihre Messung die Zeit von August bis zum folgenden August zugrundegelegt hat: „Im August ist die Zeit der großen Brände.“ Eine Verschiebung um nur eine Woche beeinflußt die so gewonnenen Jahreszahlen ganz erheblich. Rodriguez warnt: „Das Interesse, diese Zahlen zu verändern, ist sehr groß.“

Gesetzt aber den Fall, die passend zum Erd-Gipfel vorgelegten guten neuen Zahlen würden tatsächlich die Realität widerspiegeln, handelt es sich trotzdem nicht um einen Erfolg brasilianischer Politik. „Verantwortlich für den Rückgang in den vergangenen Jahren war vor allem die Wirtschaftsrezession“, so Virgilio Viana, Forstwirtschaftsprofessor an der Universität von Sao Paulo. „Gerade die Bauindustrie mit ihrem hohen Holzbedarf ist in der Krise.“ An der grundlegenden Struktur für die Waldzerstörung habe auch die Streichung der Steuervorteile nichts geändert. Denn das betreffende Dekret wurde erst im Juni 1991 verabschiedet. Wenn die Wirtschaft wieder anspringe, so Viana, gehe die Holzerei weiter.

Ein Zehntel der fünf Millionen Quadratkilomer brasilianischen Regenwaldes im Amazonasbecken ist inzwischen zerstört. Elementare Ursache ist die extrem ungleiche Verteilung des Grundbesitzes. 500 mächtige Landlords verfügen über große Teile der landwirtschaftlichen Ackerflächen, während Millionen landloser Bauern nur die Flucht in den Regenwald oder die Slums der Großstädte bleibt. Entlang der neuen Straßen werden viele landlose Kleinbauern geradezu in das Amazonasgebiet gezwungen — mit verheerenden Folgen für den Urwald.

Andererseits beteiligen sich die Großgrundbesitzer selbst massiv an den Abholzungen. Auch nach den Zahlen, die INPE vorgelegt hat, wird gut die Hälfte des Regenwaldes in den beiden Bundesstaaten Mato Grosso und Para vernichtet. Dort haben die Großgrundbesitzer besonders deutlich das Sagen.

Viele in Brasilien sind sicher, daß mit den Zahlen zur Regenwaldzerstörung auch Politik gemacht wird. Doch Leute wie Viana trauern dem geschiedenen Umweltminister deshalb trotzdem nicht nach. Lutzenberger habe in seinem Amt weniger bewegt, als man gehofft habe. Wenn jemand im Ausland den Stopp der Hilfe für Brasilien fordere, gehe die Entlassung schon in Ordnung. Der Mann hätte zwar Charisma, aber als Leiter des Ministeriums sei er einfach am falschen Platz gewesen. Man hört Viana die Enttäuschung an: „Wenn Lutzenberger sein ganzes Ministerium für korrupt erklärt, es vorher aber zwei Jahre leitet, warum hat er dann nicht aufgeräumt?“