„Wie einer von Miami Vice“

Der solargebräunte Lothar Kaisers aus Göttingen gibt sich Betreiberinnen von „Beauty-Studios“ in Ostdeutschland als Partner aus/ Im Westen sitzen ihm die Gläubiger im Nacken  ■ AUS LEIPZIG NANA BRINK

Martina Schubert* erinnert sich genau an den 22.April vor einem Jahr. An diesem Tag ging für die gelernte Augenoptikerin ein Traum in Erfüllung. In dem Leipziger Stadtteil Schönefeld, inmitten trister uniformierter Fassaden, eröffnete die 28jährige ihr eigenes Schönheits- Studio — ein Traum ganz in zartgelb und weiß, mit großen Palmen, Spiegeln und blinkenden Neonlichterketten im Schaufenster.

40.000 Mark auf Kredit und vier Monate „Schufterei und Bauchschmerzen“ steckte sie in die Renovierung der Lagerräume einer ehemaligen Drogerie. Martina Schubert hatte ehrgeizige Pläne. Nicht „irgend so ein 08/15-Studio“ sollte es sein, sondern ein „Treffpunkt mit Niveau, wo nicht nur mit den großen Pinseln geklappert wird“. Außer der obligatorischen Sonnenbank, dem Kosmetikangebot und der Maniküre bot die frischgebackene Diätberaterin Abspeckkuren für „unsere kleinen Problemzonen“ an. Wochenlang ließ sie sich bei westdeutschen Firmen der Schönheitsindustrie an speziellen Geräten schulen. Für die Anschaffung der Hautstraffungs- und Entschlackungapparaturen fehlte ihr das Geld. Über eine Annonce schließlich fand sie einen „solventen“ westdeutschen Partner.

Aufschwung Ost in zarten Puderfarben

Das Konzept schlug ein. Die Damen, von der Schneiderin bis zur westdeutschen Geschäftsfrau, drängten sich auf den Baststühlen unter „meiner kleinen Palme“ und der künstlichen Sonne von Hawaii — Aufschwung Ost in zarten Puderfarben. Knapp einen Monat später mußte sich die Jungunternehmerin den Traum von der florierenden Schönheitsfarm erstmal abschminken: Der Gerichtsvollzieher stand plötzlich vor der Tür. Martina Schubert war fassungslos.

Innerhalb weniger Tage tauchte nicht nur der Gerichtsvollzieher wieder bei ihr auf, sie wurde auch überschüttet von Anrufen einer westdeutschen Immobilien-Verwaltungsgesellschaft und diversen Anwälten, die ihr Pfändungsforderungen unterbreiteten. Sehr schnell wurde Martina Schubert klar, daß nicht sie die Gesuchte war, sondern ihr westdeutscher Partner, den sie per Annonce kennengelernt hatte: Lothar Kaisers, Geschäftsführer der „Paradise GmbH“ aus Göttingen.

Mit der Marketingfirma hatte sie einen Franchise-Vertrag zur Einrichtung ihres Studios abgeschlossen. Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wußte: Der so händeringend Gesuchte ging ein paar Monate vor Geschäftseröffnung ihres Studios mit einer großen Schönheitsfarm in Göttingen pleite.

Seine Gläubiger hatten als Kaisers neue Adresse eine Anschrift in Leipzig erhalten — Martina Schuberts Beauty-Studio. Sie begann nun doch an der Solvenz ihres Partners, der angeblich jahrelange Erfahrung „in der einfachen und sicheren Existenzgründung von individuellen Beauty- Studios“ hatte, zu zweifeln: Alle Geräte, die ihr als neu angekündigt wurden, waren gebraucht; es existierten keine Unterlagen der Herstellerfirma; alle großartig angekündigten Umsatzzahlen des „smarten, überaus höflichen“ Geschäftsführers erwiesen sich buchstäblich als paradiesisch, die Leasingraten als unbezahlbar. Und: Herr Kaisers verschwand.

Martina Schubert nahm sich einen Anwalt, lagerte die geleasten Geräte sofort aus und kündigte schließlich den Vertrag im August 1991. Sie verschuldete sich nochmals und führt seitdem mit eigenen Geräten das Studio. Just als sie den Vertrag im August letzten Jahres aufkündigte, bekam sie einen Anruf aus Halle. Drei Monate vor der Eröffnung ihres Studios hatte dort ebenfalls ein Beauty- Studio aufgemacht. Westdeutscher Partner der Halleschen Studiobesitzerin Heike Koch: Lothar Kaisers aus Göttingen.

Zwar stand bei ihr nicht der Gerichtsvollzieher vor der Tür, dennoch sah sich die 22 Jahre alte Krankengymnastin, die auf Betreiben ihrer Eltern „den Sprung in die Selbstständigkeit“ wagte, am Rande des Ruins. Auch sie unterzeichnete einen Franchise-Vertrag mit Kaisers, der diesmal unter dem Firmennamen „Marketing Coporation GmbH“ operierte.

Als im Hochsommer die erwarteten Umsatzzahlen in fünfstelliger Höhe ausblieben, konnte sie die daran vertraglich festgelegten Leasingraten für ihre Geräte nicht mehr bezahlen. Ein Anwalt riet ihr, den Zahlungsforderungen nicht mehr nachzukommen und reichte schließlich eine Feststellungklage wegen „Sittenwidrigkeit“ und „Wuchers“ ein.

„Schön war der Mann — und schnell“

Heike Koch, die von ihren Schönheitsfarmen träumte wie „von dem Palmenstrand in Florida“, erscheinen die letzten Monate wie ein Crashkurs in Sachen Kleingedrucktes im deutsch-deutschen Wirtschaftsleben. „Man war halt doof“, sagt sie heute offenherzig. Das Studio betreibt sie jetzt weiter mit dem flauen Gefühl, daß ihr der „solvente Partner“ jederzeit die Bude ausräumen könnte. „Ich muß weitermachen, schließlich habe ich ja Schulden.“

Lothar Kaisers Geschäftsgebaren basierten auf einer gewissen Methodik, zumindest was die Fälle in Leipzig und Halle betrifft. Unter beiden Firmennamen („Paradise GmbH“ und „Marketing Coporation GmbH“) schaltete der Göttinger Geschäftsmann zu Beginn des Jahres 1991 in der sächsischen Lokalpresse Anzeigen, die schnelle Aufstiegschancen für einheimische Jungunternehmer versprachen. Grundvoraussetzung für eine „zukunftsträchtige“ Partnerschaft waren Gewerberäume, die die ostdeutschen Interessentinnen bereits angemietet haben sollten. Ohne genaue Branchenbezeichnung bot sich Kaisers als finanzkräftiger westdeutscher Partner „im Bereich Schönheit“ an. Schön war vor allem der Mann — und schnell.

Nach dem ersten Kontaktanruf fuhr der solargebräunte, attraktive Mittvierziger in einem großen BMW bei den Kochs in Halle vor. „Erst dachte ich, da steigt einer von Miami Vice aus“, erinnert sich die Tochter. Aus seiner schwarzledernen Aktentasche zog Lothar Kaisers einen Stapel Farbfotos: Solarien waren darauf abgebildet, Kosmetik-Studios und „Clubatmosphäre unter tropischer Wandbemalung, wie aus einem Bilderbuch, so wie wir uns das immer drüben vorgestellt haben“. Nach einem weiteren Gespräch — Heike Koch hatte bereits die geeigneten Räume in der Innenstadt von Halle gemietet — versprach Kaisers eine komplettes Beauty-Studio-Konzept nach dem klassischen Franchise- Modell. Der Franchise-Geber (Kaisers) besorgt die Einrichtung und Schulung an den Geräten, die Franchise-Nehmerin (Koch) übernimmt die Führung des Geschäftes. Mehr noch: Dienstleistungen, wie beispielsweise Betriebs- und Steuerberatung, Organisations-, Verkaufs- und Werbeberatung von Seiten des Franchise-Gebers werden ebenfalls vertraglich vereinbart.

Auf einem Schmierzettel schrieb Kaisers bei seinem zweiten Besuch den Kochs auf, welche Umsatzzahlen sich erreichen ließen. Die prognostizierte Umsatzspanne läßt Branchenkenner, die zwar in den neuen Bundesländern wenig Konkurrenz, aber einen finanziell eingeschränkten Kundenkreis ausmachen, heute mit dem Kopf schütteln. Eine zweihundertprozentige Steigerung innerhalb eines Jahres: Von 10.000 Mark im Februar 1991 auf 30.000 Mark im Februar 1992; selbst im August, bekannt als Durststrecke für Bräunungsstudios, sollten über 20.000 Mark in der Kasse klingeln. Der Vertrag schließlich, den Kaisers präsentierte, ließ Heike Koch das erste Mal zucken — allerdings nicht nachhaltig genug. Sie unterschrieb. Gestaffelte — an den handschriftlich notierten Prognosen orientierte — Umsatzbeteiligung der „Marketing Coporation“ bis zu 12.400 Mark im Monat, 3.000, bis zuletzt 8.000 Mark monatlich Leasinggebühren für die Geräte plus 500 Mark pro Monat für den Namen „Beauty-Studio“. Eine „einmalige Autorisierungsgebühr“ von 20.000 Mark für die „Bereitstellung des Know-hows, der Ausstattung und des Systemkonzepts“ mußte in 36 Monatsraten gezahlt werden. Der „individuellen“ Geschäftsführung, wie mündlich versprochen, waren enge — allerdings kleingedruckte — Grenzen gesetzt: „Die Führung des Betriebes erfolgt ausschließlich nach den Vorgaben des Systemgebers, dies betrifft insbesondere die Punkte Preispolitik, Preis/Leistungsverhältnis, Investitionen, Öffnungszeiten sowie alle mit dem Betrieb des Beauty-Studios einhergehenden und zu treffenden Entscheidungen“. Heike Koch schüttelt heute den Kopf über soviel eigene Naivität: „Schon allein bei den monatlichen Leasingraten, die immer teurer wurden, hätte ich doch Verdacht schöpfen müssen!“ Aber der Traum vom Sonnenstudio war größer.

„Sie kriegen ein Vorzeige-Studio!"

Bei Martina Schubert in Leipzig variierte Kaisers seine Methode. „Sie kriegen ein Vorzeige-Studio“, versprach er der anfangs mißtrauischen Geschäftspartnerin. Sie lehnte den ersten Vertrag ab und weigerte sich beispielsweise, für den „nicht patentierten“ Namen zu zahlen. Überdies erschienen ihr die Leasingraten dubios, und: „Da stand ja nur von meinen Pflichten.“

Allerdings unterzeichnete auch sie. „Herr Kaisers war sehr kompromißbereit. Ich hatte den Eindruck, der wollte hier in Leipzig über mich den Einstieg in die Branche bekommen.“ Seine Kompromißbereitschaft ließ sich Kaisers fürstlich entlohnen. 120.000 Mark seien die Geräte wert, erklärte er und forderte 50 Prozent Umsatzbeteiligung, drei Jahre lang.

Bald nach Vertragsabschluß begann der Ärger. Die Geräte — Sonnenbanken, Lymphdrainage- und Tiefenwärme-Apparaturen speziell zur Behandlung von Fettgewebe allesamt angeblich fabrikneu — waren offensichtlich gebraucht. Ebenso die übrige Einrichtung wie Theke, Baststühle, Waschmaschine und Beleuchtung. Zu den Geräten fehlten in Halle wie in Leipzig jegliche Unterlagen der Herstellerfirma. Auch der von Kaisers angegebene Wert lag um ein Vielfaches über den Marktpreisen: Der für diese Geräte bekannte Hersteller, die Firma „Duo Techniko“ in Moers, errechnete auf Anfrage einen Neu-Wert von knapp 30.000 Mark...

Während Martina Schubert ihr „neues“ Studio sofort auslagerte und einen Rechtsanwalt einschaltete, arbeitete Heike Koch erstmal weiter — bis August 1991. Während dieser Zeit wandelte sich der charmante Geschäftspartner spürbar: „Er überprüfte uns ständig, kontrollierte die Bücher, beschuldigte uns, schlampig zu arbeiten.“ Nachdem sie die vertraglich festgesetzen Zahlungen nicht mehr leisten konnte, bat sie — leichtgläubig — um Korrektur der Raten. Statt den Rechtsweg einzuschalten, setzte Kaisers sie zunehmend unter Druck, forderte sofort 50.000 Mark, drohte mit Beschlagnahmung der Räume und Einzug von ihrem Konto.

Mit Entsetzen las die eingeschüchterte Jungunternehmerin eines Tages in einer Halleschen Zeitung eine Annonce: Nachmieter für Beauty-Studio gesucht — darunter ihre Adresse. Schließlich erteilte Heike Koch auf Anraten ihres Anwalts Lothar Kaisers Hausverbot. Als dieser nicht reagierte, holte sie die Polizei: „Ich wußte mir nicht mehr zu helfen.“ Seitdem hat sie nichts mehr von Kaisers gehört, ebensowenig wie Martina Schubert, die inzwischen eine Schadenersatzklage gegen Kaisers angestrengt hat. Es wäre nicht das erste Mal, daß sich der Schönling der„Paradise GmbH“ in Luft auflöst.

Als Lothar Kaisers zu Beginn 1991 seine Geschäfte in den Osten verlagerte, war er im Westen dem Anschein nach am Ende. Im Sommer 1989 mietete er als Geschäftsführer der „Paradise GmbH“ in Göttingens bester Citylage am Wochenmarkt 400 Quadratmeter Gewerberaum an und richtete eine „Schönheitsfarm“ ein — mit Solarium, Fitneßstudio, Kosmetiksalon, Friseurladen und einem Café. Einer seiner Partner war der bekannte Kosmetikkonzern „Wella“, der wiederum auf Franchise-Basis besagtes Friseurstudio einrichtete.

Des Kaisers unschöne Schönheitsfarm

Kaisers könnte schon bald in finanzielle Schwierigkeiten geraten sein, denn er suchte nach zahlungskräftigen Pächtern für Teile seiner Räumlichkeiten. Er fand sie kurzfristig in dem Betreiber des Homoclubs „Why not“, der angeblich 100.000 Mark Abstandssumme für die Einrichtung auf den Tisch blättern mußte. „Eine horrende Summe“, wie eine Göttinger Maklerin findet: „Da es für solch einen Privatclub schwierig ist, Räume zu finden, zahlen die alles.“ Bei dieser Maklerin erkundigte sich Kaisers auch nach neuen Räumlichkeiten. Als sie von seiner prekären Situation erfuhr, strich sie ihn aus ihrer Kartei. In Göttinger Maklerkreisen sprach sich „der Fall Kaisers“ schnell herum.

Nach einem Jahr, im Sommer 1990, konnte Kaisers die Miete nicht mehr bezahlen — und verschwand mitsamt der Einrichtung. Als die „Immobilien Management GmbH“ (IMG) aus Karlsruhe, die das Göttinger Objekt verwaltet, im Frühjahr 1991 eine Räumungsklage erreichte, fand sie ein leeres Studio vor. IMG- Geschäftsführer Wolfgang Luft fahndete vergeblich nach dem „Paradise“-Mann, der mit einer sechsstelligen Summe bei seinem Gläubiger in der Kreide stand. „Es ist offensichtlich, daß sich Herr Kaisers abgesetzt hat. Er hat versucht, seine Adresse zu vertuschen.“

Schließlich erfuhr Luft nach hartnäckigem Nachfragen über Kaisers Anwalt eine Leipziger Adresse. An jene Adresse in Leipzig — Kaisers angeblich neue Geschäftsadresse — wandte sich auch an das Unternehmen „Wella“, dem Kaisers die fälligen Leasingraten schuldig blieb. Der Kreis schloß sich: Plötzlich konnte sich Martina Schubert erklären, warum ihre Geräte gebraucht waren.

Inzwischen sind die von Martina Schubert ausgelagerten Geräte versteigert worden. IMG strich auf Grundlage des Vermieterpfandrechts die Verkaufssumme ein. „Ein Bruchteil dessen, was er uns schuldet“, erklärt Wolfgang Luft. „Wella“ hat bereits bei der Kriminalpolizei Strafanzeige erstattet. Der windige Geschäftemacher betreibt mittlerweile ein neues Geschäft. Unter dem Namen „Marketing Corporation GmbH“ (die ja angeblich schon seit Anfang 1991 existieren soll) macht er weiterhin unsaubere Deals mit der Schönheit und dem Osten Deutschlands.

Obwohl Heike Koch, die von Kaisers ständig Interessenten für neue Studios ins Haus geschickt bekam, jene warnte, eröffneten im vergangenen Jahr mit Kaisers „Hilfe“ zwei Beauty-Studios in Erfurt. Zwei der Besitzerinnen, aus ihrem Traum erwacht, versuchen ebenfalls, des Kaisers schmuddlige Kleider loszuwerden.

Letzter Schock für Martina Schubert: Mittlerweile ist auch das Göttinger Finanzamt bei seiner Suche nach Lothar Kaisers bei ihr vorstellig geworden. Steuerschulden in „erheblichem“ Umfang sollten eingetrieben werden.

Von Lothar Kaisers fehlt jede Spur.

*Name von der Redaktion geändert