KOMMENTARE: Richtig intervenieren!
■ Eine militärische UNO-Intervention würde auf dem Balkan keine Probleme lösen
Es ist schon bedrückend, mitansehen zu müssen, daß seit kurzem vom Pentagon bis zu den Kommentarspalten der taz die militärische Intervention in Ex-Jugoslawien gefordert wird. Abgesehen von den unterschiedlichen Interessen und Intentionen verbindet dieses breite Spektrum der Befürworter einer solchen Maßnahme sicherlich der aufrichtige Wunsch, dem Töten und der Vertreibung von Hunderttausenden von Menschen in Europa ein Ende zu machen. Und sicherlich schwingt bei manchen Befürwortern dieser Position die große Sorge mit, daß mit der Begründung neuer Nationalstaaten im Südosten Europas das grundlegende Prinzip der Universalität der Menschenrechte Schaden erleidet. Dieses jedoch mit militärischen Mitteln gegenüber einer Kriegspartei wiederherstellen zu wollen, erscheint im Lichte der realen Verhältnisse in Ex-Jugoslawien gelinde gesagt kontraproduktiv.
Die holzschnittartige Argumentation ist Kennzeichen einer politischen Kampagne, die in einer gegebenen Gesellschaft die psychologischen und politischen Voraussetzungen für eine militärische Aktion erzeugen soll. Wenn in den USA nun seit Tagen der Vergleich Milosevic-Saddam Hussein strapaziert wird, ist diese Intention enthüllt. Das schlechthin Böse muß sich an einer Person oder einem System kristallisieren, um die Kampfbereitschaft in der eigenen Gesellschaft zu erzeugen. Daß in der so komplizierten Gemengelage des Balkans jedoch politische Vereinfachungen zu großen Explosionen und Verbrechen führen, mußten nicht nur die Türken, die Habsburger und die Nazis erfahren. Schon jetzt ist aus dem heutigen Konflikt ersichtlich, daß nicht nur eine Partei schuldig an den Kämpfen und deren Grausamkeit ist. Es ist zwar durchaus richtig zu behaupten, daß die Politik Milosevics und der jugoslawischen Volksarmee zwangsläufig in den Krieg führte, weil sie mit militärischer Gewalt Jugoslawien zusammenhalten wollten. Doch nach einem Jahr Krieg hat sich eine Dynamik entwickelt, die eine Situation entstehen ließ, in der nicht mehr nur eine Seite die Angreifer und die andere die Verteidiger sind. Das militärische Blatt hat sich gewendet, Kroaten und Muslimanen sind zum Gegenangriff übergegangen. Mord, Vergewaltigung, Geiselnahme und Austreibung finden auf allen Seiten statt. Eine Befriedungsstrategie setzt also die Kontrolle über alle militärischen Parteien voraus. Es scheint sich allerdings tatsächlich herauszustellen, daß die Führer der Konfliktparteien zu einer internen Lösung nicht mehr fähig sind. Und es erweist sich als Fehler, daß die internationale Gemeinschaft lediglich mit den nationalistischen Führern verhandelt hat, anstatt auch die Repräsentanten der zivilen Oppositionen zu berücksichtigen — vor allem in Bosnien wurde der „runde Tisch“ übergangen. Angesichts der Entwicklung ist sogar fraglich, ob selbst die nationalistischen Führer die Lage in den Kampfgebieten noch kontrollieren können.
Was Serbien betrifft, kann das beschlossene Wirtschaftsembargo das Regime tatsächlich erschüttern. Statt undifferenzierte Drohungen einer militärischen Intervention auszustoßen, wäre es jedoch angebrachter, die serbische Opposition als Verhandlungspartner anzuerkennen und somit beizutragen, dem Regime die Legitimität zu entziehen. Erst mit dem Sturz der Führung könnten Friedensverhandlungen Sinn machen. Eine solche Strategie setzt allerdings voraus, daß auch auf der Gegenseite auf die Kontrolle der militärischen Kräfte gedrängt wird. Erst dann könnte, so jedenfalls die Meinung führender Oppositionspolitiker in Belgrad, in einer konzertierten Aktion — sogar unter Inanspruchnahme bewaffneter Verbände der Vereinten Nationen — der unkontrollierten Soldateska aller Seiten der Garaus gemacht werden.
Niemandem, der wirklich an einem haltbaren und langfristigen Frieden interessiert ist, kann daran gelegen sein, die serbische Gesellschaft zum Paria Europas abzustempeln. Eine allein gegen Serbien gerichtete Militäraktion gäbe Raum für die Erfüllung der Träume der konkurrierenden Nationalismen, allen voran dem kroatischen. Damit aber wäre der Zündstoff für den nächsten Krieg oder für einen langanhaltenden Terrorismus gelegt. Die bedingungslose Niederlage Serbiens würde zudem die Chancen auf eine demokratische Entwicklung dieser Gesellschaft beschränken. Doch allein die Stärkung der demokratischen Kräfte in allen Gesellschaften Ex-Jugoslawiens bietet die Gewähr für die Konstitution von Staaten, die aufklärerische Ansprüche verwirklichen können. Man sollte also den Hammer beiseite legen und zur Filigranarbeit zurückkehren. Erich Rathfelder
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