Bewegungsmodell statt Verbandsstruktur

Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen arbeitet weiter mit ehrenamtlichem Koordinationsausschuß/ Diskussion über Professionalisierung stand im Vordergrund des Treffens  ■ Aus Stuttgart Edgar Neumann

„Wenn wir uns nicht endlich der Ursachenebene stellen, bleibt alles wie gehabt“, faßte kürzlich der Horizonte-Verleger Peter Spiegel in der taz die Realität weltweiter Umweltzerstörung zusammen und erklärte ein Scheitern des regierungsamtlichen Umweltgipfels in Rio de Janeiro zur Voraussetzung für eine konsequente Weltumweltpolitik.

Doch diejenigen, die hierzulande gegen die heraufziehende Ökokatastrophe und gegen das Gefälle zwischen Nord- und Südhalbkugel des Planeten politisch zu Felde ziehen, haben es auch nicht leicht, wenn sie über sich selbst beraten. So wurde beim diesjährigen Bundeskongreß der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen (BUKO) am vergangenen Wochenende in Stuttgart der Versuch eines organisatorischen Neuanfangs unternommen, nachdem der Zusammenschluß der Dritte-Welt-Gruppen seit einem Jahr ohne ein ständiges Vertretungsgremium mit politischem Mandat leben mußte.

Beim letzten Bundeskongreß in Köln hatte sich nach längeren vorausgegangenen KA-internen Querelen keine unter den rund 300 Mitgliedsgruppen für die Besetzung des sonst alljährlich zu wählenden Koordinationsauschusses (KA) des BUKO bereit gefunden. Nachdem daraufhin ein Kampagnen-Koordinationsausschuß als Interimslösung die BUKO-Vertretung wahrnahm, stand der 16. BUKO-Tagung nun eine Grundsatzdebatte über Selbstverständnis und eigene Struktur ins Haus.

Ein Teilnehmer des viertägigen Kongresses stellte gleich zu Anfang fest, es sei wie auch bei anderen sozialen Bewegungen „kein Geheimnis, daß sich der BUKO in der Krise befindet“. So stand zu Anfang ein von der Kölner Anti-EG-Gruppe vorgelegtes, strikt basisdemokratisches Modell dem bei einem BUKO- Seminar in der Nähe von Maria Laach entwickelten gleichnamigen Vorschlag gegenüber, der einen aus Einzelpersonen besetzten Vorstand vorsah.

Im Verlauf einer streckenweise sehr kontroversen Diskussion über gangbare Kompromisse und mögliche professionellere Strukturen machte das Plenum dann doch einen Fallrückzieher und einigte sich auf die Kompromißlinie, wieder zur Organisationsform mit einem von mehreren Mitgliedsgruppen zu besetzenden KA zurückzukehren. Im Unterschied zur bisherigen Arbeitsweise soll es aber künftig zweimal im Jahr zusätzlich einen „kleinen BUKO“ geben, der sich mit aktuellen politischen Fragen befassen soll.

„Wir haben Herrn Stoltenberg gestürzt“

Bei den Wahlen zum wiederbelebten KA fanden sich nach einem sonntäglichen Gerangel um die Quotierungsfrage schließlich doch entwicklungspolitische Gruppen aus Stuttgart, Karlsruhe, Berlin, München und Münster bereit, Aktive aus ihrer Mitte zu benennen, die die zentrale Arbeit sicherstellen. Neben hausgemachten Schwierigkeiten hatte sich der Bundeskongreß in zahlreichen Arbeitsgruppen und Vorträgen aber auch eine Reihe weitreichender weltpolitischer Themen vorgenommen, wie den Umweltgipfel in Rio, Aktionen gegen das G-7-Treffen Anfang Juli in München, die Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf die Entwicklungsländer sowie die Rüstungsexportproblematik.

Dieser letztgenannte Bereich stellt eines der stabilsten inhaltlichen Standbeine der entwicklungspolitischen Aktionsgruppen dar, was eine Sprecherin der zugehörigen ständigen Kampagne in ihrem Rechenschaftsbericht zu der beifallbedachten, selbstbewußten Bemerkung veranlaßte: „Wie Ihr alle wißt, haben wir Herrn Stoltenberg gestürzt. Wer der Nächste sein kann, haben wir uns noch nicht überlegt.“

Weitere Arbeitsschwerpunkte der Kampagnengruppe werden die im Juni in Paris geplante Militärausstellung Eurosatory und die Technologie-Messe ILA in Berlin mit einem 50prozentigen Rüstungsanteil sein. Einig war sich der Kongreß auch hinsichtlich der Unterstützung der Gegenaktionen zum Weltwirtschaftsgipfel in München. Sowohl Gegenkongreß, Demonstration und Aktionstage werden auf der Grundlage des vorliegenden Aufrufs vom BUKO unterstützt.

Mehr Dissens und Diskussionsbedarf sieht der Europaabgeordnete Wilfried Telkämper dagegen in der Frage des europäischen Binnenmarktes. Der über die Grünen gewählte Abgeordnete und Vizepräsident des Straßburger Parlaments forderte die Solidaritätsbewegung zu einer intensiveren Zusammenarbeit mit der Ökologie- und Friedensbewegung auf. Den durch klimatische Veränderungen hervorgerufenen Hungerkatastrophen in Ländern auf der Südhalbkugel müsse hierzulande politisch entgegengetreten werden (siehe nebenstehenden Kasten).

Für einen internationalistischen Schlußpunkt sorgte die salvadorianische FMLN-Vertreterin Ana Guadalupe Martinez, die einen dringenden Appell an die Solidaritätsbewegung richtete, in ihrer Unterstützung für die Befreiung El Salvadors nicht nachzulassen. Das Eingehen der FMLN auf die Friedensvereinbarung sei kein Verrat an der revolutionären Sache, sondern müsse im Ergebnis als Erfolg für die Linke gesehen werden, die sich inzwischen in vielen Bereichen in die gesellschaftliche Entwicklung einmischen könne.