Vom Holzwurmtod zum Giftgas

Holzschutzmittelprozeß: Chemie-Manager sollen mehrere 100.000 Menschen geschädigt haben  ■ Von Michael Blum

Frankfurt/Main (taz) — „Xylamon“ und „Xyladecor“ erhalten die Behaglichkeit holzvertäfelter Wohnräume — so versprach's die Werbung jahrelang. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Frankfurt haben die sogenannten Holzschutzmittel aber nicht nur den Holzwurm zur Strecke gebracht. Mehrere 100.000 Menschen sollen in den alten Bundesländern durch die aus dem behandelten Holz ausgasenden hochtoxischen Stoffe PCP und Lindan erkrankt sein. Die Leidensgeschichten reichen von Chlorakne und Rheuma, Schwindel und Fieber, über Verlust des Geruchssinns und Depressionen bis zu irreperablen Gesundheitsschäden. Viele Opfer wurden nicht nur körperlich sondern auch finanziell ruiniert, weil sie ihre verseuchten Häuser sanieren oder räumen mußten.

Der heute beginnende Frankfurter Holzschutzmittel-Prozeß wird deshalb auch eine Signalwirkung auf die Schadenersatzklagen in mehreren hundert Zivilverfahren haben.

Acht Jahre hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft ermittelt — herausgekommen ist eine 645 Seiten umfassende Anklageschrift. Am Ende des Verfahrens könnten für die beiden Geschäftsführer des Marktführers Desowag („Xylamon“ und „Xyladecor“) Haftstrafen von bis zu zehn Jahren stehen. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft mit Unterstützung des Bundeskriminalamtes gegen 40 Firmen-Manager ermittelt. Über 2.300 Anzeigen von Betroffenen gingen ein, 56 Fälle stehen ab heute zur Verhandlung. Im Sommer 1989 hatte die Staatsanwaltschaft noch 174 Fälle angeklagt — der Großteil davon ist inzwischen verjährt. Die auf sieben Fachgutachten von Toxikologen, Medizinern und Chemikern gestützte Anklage wurde allerdings von der 26. Strafkammer am Landgericht Frankfurt nicht zugelassen: Ein Zusammenhang zwischen Holzschutzmittel- Anwendung und Erkrankung sei nicht mit Sicherheit zu belegen. Anklage und Nebenkläger legten beim Oberlandesgericht Frankfurt erfolgreich Beschwerde ein. Im Dezember 1991 verpflichteten die Richter die Kollegen zur Eröffnung des Hauptverfahrens: In einem Strafverfahren müsse nicht mit naturwissenschaftlicher Exaktheit ein Kausalitätsnachweis geführt werden, es genüge eine strafrechtliche Kausalität.

Der Prozeß gegen Desowag (bis 1986 war der Chemie-Multi Bayer mit 37 Prozent beteiligt) wird tiefe Einblicke in die Profitinteressen von Firmenbossen offenbaren. Unter den Unterlagen sind auch solche, die als „streng vertraulich“ gekennzeichnet sind. Diese sollen belegen, daß firmenintern bereits in den 70er Jahren von gesundheitlichen Gefahren durch die giftigen Holzschutzmittel ausgegangen wurde. Während sich bei den Firmen Schreiben von erkrankten Menschen stapelten und immer mehr Fachexpertisen vor gesundheitlichen Risiken der in Innenräumen angewendeten und über Jahrzehnte ausgasenden toxischen Mitteln warnten, entschieden die Manager in Krisengesprächen mit PCP-Zulieferer Dynamit Nobel und Mitkonkurrent Sadolin GmbH aus Angst vor Profiteinbrüchen und Schadensersatzansprüchen auf eine unveränderte Rezeptur und aggressivere Vermarktung. Man ging gar in die Offensive. Geschädigte wurden überwacht und bespitzelt, um sie in damaligen Zivilverfahren als Psychopathen darstellen zu können. Auf Presseberichte über die Gefährlichkeit von Holzschutzmitteln wurden gemeinsame Strategien besprochen, und auch das Bundesgesundheitsamt scheint williger Partner der Chemiefirmen gewesen zu sein. Weil es laut firmeninternen Vermerken nicht nur Geld von den Konzernen bezogen haben soll, sondern nach Absprache mit den Unternehmen auch in die Unbedenklichkeitsfloskeln einstimmte, wird wegen „Körperverletzung im Amt“ ermittelt.

Als 1984 PCP-haltige Holzschutzmittel in der Bundesrepublik nicht mehr abzusetzen waren, verschob Desowag die Altbestände kurzerhand nach Indonesien. Um dortige Import- und Verwendungsverbote zu umgehen, wurden laut Anklage die Inhaltsstoffe umdeklariert, PCP- haltiges „Xyladecor“ wurde so offiziell PCP-frei.