Patentlösung mit Spritzen?

■ Der Glaube an die technische Steuerbarkeit des Kinderwunsches ist ein Irrglaube

Die Konferenz in Rio hat dem Thema Bevölkerungswachstum erneut Konjunktur beschert. Ein Chor von Altbundeskanzler Schmidt bis Prinz Charles ruft nach drakonischen Maßnahmen zur Eindämmung der Wachstumsraten — im Dienste des Umweltschutzes. Militaristische Begriffe zur Ausmalung des neuen Feindbildes — der wachsenden Menschenzahl im Süden — machen Schlagzeilen: Bevölkerungsexplosion und -bombe, Sprengstoff Mensch, Milliardengeschwader, demographische Raketen... sollen uns das Fürchten lehren.

Politisch ist das griffig und überaus zeitgeistgemäß nach dem Motto: Wehret den Anfängen, verhindert einen Flüchtlingsansturm auf unsere Wohlstandsburg. Der Ruf nach Bevölkerungskontrolle war denjenigen schon immer ein Passepartout, die sich die Analyse eines komplexen Ursachenzusammenhangs ersparen wollten und nach einfachen, vorzugsweise technokratischen Lösungen für komplizierte Probleme suchen. Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte galt die Bevölkerungspolitik als Allheilmittel gegen Armut, Unterentwicklung, Frauenunterdrückung und, jetzt eben, gegen Ressourcenverknappung.

Als Vertreter des Nordens auch bei den Vorbereitungen zum UNCED-Gipfel die platte Rechnung aufmachten „Viel Fruchtbarkeit im Süden=viel Umweltzerstörung global“, da bekamen sie den Schwarzen Peter für den drohenden Ökokollaps postwendend aus dem Süden zurück: viel Konsum im Norden=viel Umweltzerstörung global. Schließlich pfeifen es inzwischen die Spatzen von den Dächern, daß das 20 Prozent Häuflein Erdbevölkerung im Norden das Vierfache von dem verbraucht und verdreckt, was ihm zusteht. Deshalb steht als papierner Nord-Süd-Kompromiß jetzt in der Agenda 21 der UN-Konferenz die Forderung nach Bevölkerungsprogrammen einträchtig neben der nach Änderung verschwenderischer „Konsummuster“.

Es geht bei der Debatte über Bevölkerung und Umwelt nicht um ein Für oder Wider Familienplanung, es geht um den Balken im Auge des Nordens. Denn aus der Frage: „Wo sitzen die ressourcengierigsten Umweltschädlinge auf diesem Planeten?“ werden politische Strategien des Umweltschutzes abgeleitet.

Bevölkerungspolitik zum Instrument des Umweltschutzes zu deklarieren, hat zweifellos Vorteile: Intervention von außen wird mit „globaler Verantwortung“ politisch legitimiert und liegt damit voll im Trend: Stichwort Golfkrieg oder Stichwort Ökoimperialismus, den der Norden in Rio festzuklopfen versucht — Blauhelme, Grünhelme, warum nicht Kondom- und Spiralhelme? Umweltschutzmaßnahmen, die ans Ein- und Hausgemachte gehen, erscheinen nachgeordnet. Die gesamte Rio-Konferenz ist allerdings für die Katz, wenn sie der profitgeilen ressourcenvergeudenden Produktion für den Norden und unserer Megawattgefräßigkeit und Schadstoffschleuderei keinen Riegel vorschiebt.

Ganz unabhängig von Naturzerstörung und -schutz ist Familienplanung ein Menschenrecht. Bei der Debatte um Familienplanung darf es nicht um ein Für oder Wider dieses Menschenrechts gehen, sondern um seine Einlösung. Die aber setzt Lebensverhältnisse voraus, in denen Entscheidungsspielräume möglich sind. Und schließt die Freiheit ein, eine kleine oder aber eine große Familie zu wählen.

In Sachen Geburtenkontrolle geht es Regierungen, UN-Organisationen, der Weltbank und ihren journalistischen Alliierten jedoch nicht um eben diese freie Entscheidung, sondern um die Akzeptanz moderner Verhütungsmittel und des Modells der Kleinfamilie auf Teufel komm raus. 1991 steckte die Weltbank fast 700 Millionen US-Dollar in Bevölkerungsprogramme, soviel wie zwischen 1970 und 1988.

Daß ausgerechnet diejenigen, die sich bisher einen Dreck um das Frauenrecht auf Überleben oder um ihre demokratischen Rechte kümmerten, dabei das Selbstbestimmungsrecht von Frauen im Munde führen, macht sie nicht gerade glaubwürdiger. Sie basteln an dem Mythos, daß Verhütungsmittel automatisch Mittel zur Emanzipation seien.

Unter extremen Bedingungen der Armut und des Patriarchats sind sie dies aber häufig nicht. Was hilft denn die Pille Frauen, die nur durch die Mutterschaft, in vielen Ländern durch die Geburt von Söhnen, soziale Anerkennung erlangen? Sie wären doch dumm, freiwillig auf Kinder als einzige Quelle sozialer Macht zu verzichten. Und eine Spirale hilft den Afrikanerinnen nicht, die durch Kinder deren Väter an sich binden wollen, ihren ehelichen Status besiegeln oder ihre Nutzungsrechte an Land sichern wollen. Gewiß, diese Frauen wollen eigentlich weniger Kinder, aber viele greifen nicht zu Kontrazeptiva, weil sie sehr wohl wissen, daß sie nicht die Lösung ihrer Probleme bringen.

Die internationalen Geberorganisationen weinen mit einem Auge Krokodilstränen um Müttersterblichkeit und Selbstbestimmung der Frauen und schauen mit dem anderen zu, weil die von ihnen verordneten Strukturanpassungsprogramme dazu führen, daß Gesundheitsetats zusammengestrichen werden und dadurch lebensgefährliche Infektionskrankheiten von Kindern und chronisch mangelernährten Müttern zunehmen. In Indien, und nicht nur dort, werden die Ausgaben für Familienplanung derzeit enorm gesteigert, die für das Gesundheitswesen gekürzt. Das bedeutet künftig noch mehr Geburtenkontrolle pur, weniger Informationen, weniger Nachsorge, keine Einbettung in kontinuierliche medizinische Versorgung.

Zur Senkung der Geburtenrate muß dies nicht notwendig führen, wie die 40jährige Chronik der Erfolglosigkeit indischer Bevölkerungspolitik zeigt, aber es bereitet den Weg für rücksichtsloseres Vorgehen gegen Körper und Willen von Frauen, für mehr verdeckten und offenen Zwang. Der ist auch vorprogrammiert, wo Bevölkerungspolitik zur Konditionalität für die Vergabe von Entwicklungshilfe und Krediten gemacht wird und Regierungen genötigt werden, demographische Plansolls einzuführen.

Nicht gegen das Recht auf Familienplanung ziehen Feministinnen aus Süd und Nord zu Felde, sondern gegen alle Formen nackter und subtiler Gewalt gegen Frauen. Deshalb protestieren sie, daß Frauen im Süden als Versuchskaninchen für neue Verhütungsmittel benutzt werden, daß ihnen durch Implantation und Injektion von Langzeitmitteln mehr Kontrolle genommen als gegeben wird, daß sie zu Sterilisationen zum Beispiel als Vorbedingung für Nahrungsmittelhilfe oder Jobvergabe gezwungen oder durch Ausnutzung ihrer Armut mit Prämien dafür geködert werden. Sie fordern exakt das, was den Herren Wojtyla und Saddam Hussein ein Graus ist: Kontrolle der Frauen über ihre eigene Sexualität und Fortpflanzung. Dazu gehören auch Aufklärung, der Zugang zu verträglichen und kulturell akzeptablen Kontrazeptiva und die freie Wahl zwischen mehreren Verhütungsmöglichkeiten. Aber eben nicht nur die.

Wo aber im blinden Glauben an die technische Steuerbarkeit des Kinderwunsches und in Ignoranz gegenüber der Lebensrealität im Süden in Spritzen und Hormonkapseln die Rettung für Umwelt und die Spezies Mensch gesehen wird, da liegt es nahe, die Uneinsichtigen zu ihrem und unser aller Glück zu zwingen. Wo unter Ausblendung aller anderen Faktoren allein in der Bevölkerungszahl der Hebel für das ökologische Gleichgewicht angesetzt wird, ist der Schritt zur zynischen Rettungsboot- Ethik des US-Wissenschaftlers Garret Hardins nicht weit. Das Boot ist voll. Wenn alle reinkommen, sinkt es. Hardin: „Die Freiheit der Vermehrung ist nicht tolerierbar.“ Das ist konsequent. Konsequent inhuman. Christa Wichterich