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„Nicht freiwillig die Verlierer sein“

Wie Landesfürst Schröder und Audi-Chef Piech in Japan die Probleme der VW-Arbeiter aufspüren  ■ Aus Tokio Georg Blume

Was macht ein deutscher Landesfürst in Tokio? Inmitten einer einfachen Büroarbeiterkneipe, mehr Holzschuppen als Haus, hat sich Gerhard Schröder einen Schemel zurechtgerückt und schaut sich erstmal um. Der niedersächsische Ministerpräsident freut sich an der unerwarteten Geselligkeit der für ihn noch so fremden Umgebung. Als wolle er für einen Moment Goethes Faust nachfühlen — „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein“ —, spricht Schröder ohne Zwänge: „Mein Japan-Bild ist positiv. Hinter der Kraft der Konzerne und der Unmenschlichkeit der Großstädte steckt in allen Ecken große Menschlichkeit. Die Japaner gehen höflich miteinander um, und das ist nicht nur eine Formsache. Sogar dem Wirt hier macht die Arbeit Spaß.“

Ganze zehn Tage lang hat Schröder zusammen mit dem angehenden VW-Chef Ferdinand Piech die Wirtschaftssupermacht im fernen Osten begutachtet. „Bestandspflege“ nennt er den Zweck seiner weiten Reise, denn er hat in Japan vernehmlich diejenigen Unternehmen abgeklappert, die in Niedersachsen Tochterunternehmen führen und dem Bundesland insgesamt 6.000 Arbeitsplätze sichern. Damit diese Firmen auch dort bleiben, hat Schröder ihnen Unterstützung zugesichert. Nicht neue Projekte wollte der Landesfürst akquirieren, er setzt bei Toyota, Toshiba und Co. auf eine „langfristige Zusammenarbeit“. Solche Töne, welche eine direkte Aufforderung aussparen, kommen in Japan gut an.

Der Reise wirklicher Anstoß beschränkte sich freilich nicht aufs Fortweben perfekter Höflichkeiten. Die Zukunft Norddeutschlands hatte das Gespann Schröder und Piech im Auge, als sie in Tokio der Frage nachgingen, wie VW und damit die Autoindustrie in Niedersachsen vor der japanischen Herausforderung bestehen könne. Dabei sahen sie sich mit dem stärksten Konkurrenten konfrontiert: Alle Spitzen des Toyota-Konzerns, darunter Gründersohn Shoichiro Toyoda, hatten sich versammelt, um Schröder und Piech die Hände zu schütteln.

„Sie haben Bahnhof gemacht“, schmunzelt Schröder und ist voller Lob für seinen Begleiter aus Wolfsburg, der seine Interessen „auf so angenehme Art“ vermittelt hätte. Richtig ist daran, daß sich Piech schon heute wohltuend von der ungeschminkten Arroganz absetzt, mit welcher der noch amtierende VW- Chef Carl Hahn stets in Japan aufzufallen wußte. Piech gilt als Japan-Fan und hat sich sogar zu Hause in Deutschland ein japanisches Zimmer einrichten lassen. Annäherend dreißig Mal reiste der jetzige Audi- Chef zuvor nach Japan. Als künftiger VW-Konzernlenker soll er die Allianz mit Toyota vorantreiben.

Da nämlich liegt die Crux der Geschichte: Toyota ist eben nicht nur Feind, sondern auch Freund. In Hannover stellen VW und Toyota gemeinsam einen Pick-up-Wagen her. In Japan sollen Toyota-Händler nun auch Volkswagen verkaufen. Der Ministerpräsident findet das gut: „Allein sind die Japaner die Buh- Männer“, meint Schröder. „Wenn sie deshalb nach Allianzen suchen, wäre es verrückt, das Angebot auszuschlagen.“

Doch wie weit reichen solche Allianzen, und wie ehrlich sind sie von seiten des Stärkeren gemeint? „Als die VW-Leute bei der Betriebsbesichtigung ihre Kladde zückten“, hat Schröder im neuesten Autowerk von Toyota in Tahara beobachtet, „wollten die Toyota-Leute lieber weitergehen.“ Die Rivalitäten gibt es also noch. Was der Ministerpräsident aber selbst in Tahara sah, führte ihm die ganze Dimension des Problems vor Augen: In dieser vermutlich modernsten Autowerkstatt der Welt können nur 411 Arbeiter an einem Tag 240 Wagen der Luxusklasse Majesta und Aristo zusammenbauen. Sogar das erst am vergangenen Montag eröffnete Mercedes-Werk in Rastatt kann mit diesem Automationsgrad nicht mithalten. Es konnte dem Landeschef deshalb kaum mehr unerklärlich erscheinen, daß Mercedes-Boß Werner Niefer in Stuttgart just zum Schröder-Besuch bei Toyota einen Abbau von 20.000 ankündigte. „Ähnliche Probleme“, weiß Schröder, „gibt es auch bei VW.“

Was also hat der SPD-Politiker Schröder einem VW-Arbeiter in Wolfsburg nach seiner Rückkehr aus Japan zu berichten? „Ich weiß es noch nicht“, gesteht Schröder offen zu. Tatsächlich sind Ausmaße und soziale Folgen des globalen Verdrängungswettbewerbs in der Autoindustrie auch von Experten nicht zuverlässig einzuschätzen. Der Ministerpräsident aber setzt hinzu: „Mit Piech bin ich der Meinung, daß die japanische Herausforderung in der Arbeitsorganisation liegt. 80 Prozent unseres Wettbewerbsnachteils gegenüber Japan liegt im Management und nur 20 Prozent bei den Arbeitskosten. Ich kann dem VW- Arbeiter also sagen, daß die Bewegungen nicht bei ihm, sondern im Management beginnen werden. Darüber hinaus aber muß er wissen, daß nicht alles geschützt werden kann. Die Form der Arbeit, zum Beispiel durch die Ausgliederung in Zulieferbetriebe, wird sich wandeln.“

Niedersachsens tiefliegende Probleme, das zeigt der Tokio-Besuch dem Landespolitiker, lassen sich nicht mehr nur beim Blick vor die eigene Haustür erkennen, auch wenn die Lösungen genau dort beginnen. Es wird deshalb nicht leichter fallen, die Ergebnisse einer Japan-Reise den Wählern zu Hause zu vermitteln. Dafür ist Schröder nun gefragt. Es mag dabei seiner ungehobelten Art entsprechen, die Wirklichkeit zu suchen und sich an ihr zu stoßen. Immerhin ist er als erster deutscher Landesfürst seit der Einheit nach Japan gekommen. „Weil wir uns nicht freiwillig“, meint Schröder, „in den Kreis der Verlierer begeben dürfen.“

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