Jazz, gegen die Werktätigen

■ Jazz made in DDR: Uschi Brüning und Ernst-Ludwig Petrowsky / Über Stasi, mecklenburgische Dickschädel und politische Botschaften

Eine ungewöhnliche Kombination: Uschi Brüning, seit den 70ern führende Jazz-Sängerin in der DDR, und Ernst-Ludwig Petrowsky, dienstälteste, zentrale Jazz-Persönlichkeit in der DDR, Saxophonist und Komponist, waren zum Dacapo-Konzert in Bremen. Die Sängerin und Vokalistin und der Saxophonist sprachen nach dem Konzert mit der taz über die DDR, den Jazz und über das wirkliche Leben.

taz: Sagen Sie eigentlich „Dschäß“ oder Jazz?

Ernst-Ludwig Petrowsky: Beides. Wenn der Richtige gegenübersitzt, der dauernd Dschäß sagt, dann sagen wir Jazz: wenn sich einer so mit dem Englischen spreizt!

Sie waren offiziell anästhesierend tätig: Die DDR-Musikwissenschaft verlautbarte in den 50er Jahren: Jazz sei „ein Kanal, durch den das barbarisierende Gift des Amerikanismus eindringt und die Gehirne der Werktätigen zu betäuben droht“.

Petrowsky: In der Zeit! Später haben einige gewußt, daß das falsch ist, und haben sich dafür verantwortlich gezeigt. Zuletzt gab es ja sogar Subventionen für Proben und Tourneen.

In den 80ern.

Petrowsky: Ja, und Ende der 70er. Es gab schließlich die „Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst“, wir Jazzer kriegten alle Fach-Ausweise, und daraufhin wollten alle Jazzer werden. Alles, was 'ne Geige oder Blockflöte halten konnte.

Und Sie haben prompt von Rentner-Mentalität gesprochen!

Uschi Brüning: Die DDR war stark anerkennungebedürftig und hat schließlich den Jazz gefördert, weil er im westlichen Ausland Aufmerksamkeit errang, und damit das nicht aus dem Ruder lief, hat das Komitee die Oberherrschaft übernommen.

Petrowsky: Wir wurden ja für Auslands-Reisen auch immer gebeten, daß hinter dem Band-Namen „DDR“ zu stehen hatte, das stand in den Verträgen: engen Kontakt vermeiden, aber ganz locker geben. Erst fuhr einer mit bei den ersten Reisen. Die Künstler-Agentur, wie wir jetzt wissen, war eine Außenstelle von Schalk- Golodkowski und der Stasi gleichzeitig, weil Schalck die Gebühren empfing, aber die Stasi mehr bei den Veranstaltern ein- und ausging. Die Stasi war immer schon da bei den Veranstaltern im Westen. Wer interessant genug schien, auf den wurden hochkarätigere Spitzel angesetzt, als man das auf Musiker je machte. Es ist in der Jazz-Szene noch kein Spitzel aufgeflogen.

Die Stasi und die Zensur konnten ja auch den Jazz und die improvisierte Musik schlecht dingfest machen, unterstreichen, durchstreichen, es gab keinen Text...

Brüning: Die Musik war ja schwer verständlich. Da konnte man alles hinein interpretieren.

Petrowsky: Bei einer der ersten Auslands-Produktionen hatten wir auch einen Herrn zuviel mit, den nannten wir den Sandsack.

Die Literaten wurden sehr gegängelt, aber in die Musik haben sie sich nie eingemischt? Daß es weniger schräg würde, mehr zum Mitpfeifen?

Petrowsky: Nie. Nichtmal in der Anfangsphase.

Ein ökonomisches Dilemma: Sie wollten's gern schräg, aber mußten, um Geld zu verdienen, die tanzlustigen Menschen erfreuen...

Petrowsky: Im Swing wollte man das noch verbinden. Das Publikum spürte aber den Beschiß, die wollten Schlager original, und wir durften schließlich überall zur einmal spielen. In den 60ern wurde dann der Jazz so langsamhoffähig. Wir durften ins Ausland fahren, und die DDR-Obrigkeit kriegte anonyme Anrufe: Laßt die nicht raus, die haben schon einen Job bei Achim Kühn!

Der war 1966 von einer Wien- Konzertreise nicht zurückgekehrt. Hat sich die „Vaterfigur des DDR-Jazz“ sowas auch überlegt?

Dafür kann ich nichts! Das liegt an meiner mecklenburgischen Dickköpfigkeit, trotz schlechter Erfahrung immer wieder beim Jazz geblieben zu sein. Das hat auch mit Heimatgefühlsduselei zu tun: Ich hatte meine Eltern da und meine Gegend. Ich hab den Genossen immer geraderaus meine Meinung gesagt, die haben mich auch von der Bühne runtergeholt, ich hab mit dem Wortspiel Freejazz und Freiheit solchen Erfolg gehabt, daß sie fanden, ich soll das Saxophon nehmen und das Maul halten...

Musikalisch war alles an Amerika orientiert.

Petrowsky: Ja, der Cool-Jazz, und der Versuch, der Miles-Davis- Band ein bißchen abzulauschen. In dieses verwegenen Gewand haben wir manchen DDR-Schlager gesteckt, „Cindy oh Cindy“, klang fantastisch! Hauptsache die erkennen den Text, haben wir ge

Ernst-Ludwig Petrowsky: auch ein unentdecktes Talk-Show-TalentFotos: Falk Heller

dacht, aber die Beschwerden waren massiv. Da gab es bierausschenkende Wirte, die Hand erstarrte ihnen am Bierhahn.

Woher kamen in der abgeschotteten DDR die musikalischen Anregungen?

Petrowsky: Aus dem Osten. Und wir hatten zu dem europäischen Umfeld eine stärkere Beziehung als zu den amerikanischen Ursprüngen, schon geografisch! Wir hatten ja nie in einem amerikanischen Soldatenclub eine Band hören können.

In Warschau soll es ja 1973 bei dem großen osteuropäischen Jazz-Festival massenhaft blaue Jeans und olivgrüne Parkas gegeben haben...

Das war ein unglaubliches Ventil! Die Jazz-Fangemeinde setzte sich ja zusammen aus den Musikinteressierten und aus denen, die glaubten, dem politischen Umfeld entkommen zu können. Wir hatten manchmal Massenerfolge wie heute Rockbands, hunderte standen manchmal draußen, wir konnten spielen, was wir wollten...

Solange die Kaffeemaschine hier Krach macht, stell ich mal das Band ab.

Petrowsky: Dann springt das Mikrofon in der Kaffeemaschine ein, kennen wir! Deshalb sind wir vor dem Mikrofon auch immer so ganz ohne Aufregung, weil wir das so gewohnt sind in Jahrzehnten, wir haben gewußt, da läuft immer ein Band!

Wann haben Sie beiden sich beruflich zusammengetan?

Brüning: Anfang '80. Da haben wir schon zusammengelebt: Die Schlagersängerin und der Freejazz-Chaot.

Was sagte das Publikum zur Liäson der beiden bekannten Namen?

Brüning: Hat's angenommen. Im Westen weiß man das ohnehin nicht so genau.

Wie kommt die Schlagersängerin dazu, Jazz zu vokalisieren?

Brüning: Wenn man jahrelang fremde Lieder und Texte singt, fragt man sich, was machste hier eigentlich. Und: Wie sonst hätten wir uns nähern sollen?

Petrowsky: Sie hat ein großes, von ihr selbst unterschätztes Talent für Intervallsprünge, für Tonalitäten, die nicht durch Klavierakkorde vorbereitet werden. Ich hab immer gesagt: Okay, ich liebe Dich, aber ich kann auch einen hochbegabten Kollegen zitieren, Conny Bauer, der sagte, wir haben keine Sängerin, die intelligent genug ist, improvisierte Musik zu machen, und gleichzeitig auch das Talent dazu hat — außer der Brüning!

Bevor das Komitee für Unterhaltungskunst Sie entdeckt hat: Kamen die Leute wegen der Musik, oder kamen sie, weil solche Musik Weltgewinn war, gegen den Staat?

Mann, lachend

Petrowsky: Beides. Ich weiß nicht, welcher Teil größer war. Achim Kühne hat, als er im Westen blieb, im Interview gesagt: Er hat den Free Jazz aus musikalischer Konsequenz und Logik gemacht. Das hat uns drüben geschützt.

Und Ihre eigenen Absichten? Sie waren doch ein Politikum auf der Bühne!

Brüning: Ich hab nie bewußt Musik gemacht gegen den Staat, auch wenn ich eine Anti-Haltung hatte.

Aber gerade diese Musik hat Ihnen so gefallen?

Brüning: Na weil sie so schön kompliziert ist...

.. wie das wirkliche Leben...

Brüning: Ja, mit Ecken und Kanten. Aber ich hab nicht auf die Fahnen geschrieben „gegen Erich“, nie.

Petrowsky: Uschi, Du hast jetzt die Chance, medienwirkksam zu erklären: Du hast immer nur gegen Erich, Mielke, gegen Stalin, gegen die Ungerechigkeit der Welt gesungen! Meine Wahrheit liegt in der Essanz des Jazz; der ist so ehrlich und so spontan und so wahr und das alles gleichzeitig — diese Wahrheiten bedingen natürlich einen Dissenz zu einem Staat wie das die DDR war oder diese Ostblockstaaten. — Die russische Seite, die hatten eine solch bgeisterte Beziehung zum Jazz, im Untergrund wurde da gespielt. Das fehlt in einer so glatten Welt, im Rechtsstaaat. Und das öffnet Tür und Tor allen möglichen Vortäuschern, die mit allen Tricks der marktwirtschaftlichen Managerdie Arbeit ausüben: das Durchschlagen des Werbe-Levels in jeder Art von Kunst.

Machen Sie denn heute andere Musik als damals? Sie leben doch jetzt in einem ganz anderen Ostberlin als noch vor drei Jahren.

Brüning: Der Wegfall der Mauer hat keine Veränderung in unserer Musik gebracht.

Petrowsky: Nicht so hörbar, aber eine fließende Änderung ist im Gange. Das hängt mit unsrer Entwicklung zusammen und mit den Texten der Umwelt, mit Werbung und Leitartikeln. Früher hatte man ein klareres Feindbild!

Jetzt ist Marktwirtschaft angesagt. Jetzt kommen wir wieder auf die Rentenfrage.

Petrowsky: Ja: Jetzt ist der Werbemakler gefragt, der sich hinter dem Jazzmusiker zu verstecken hat.

Wie weiter?

Brüning: Wir haben jetzt eine CD gemacht, bei FMP, Free Music Production, „Features of Usel“, die soll, so bald es geht, erscheinen.

Petrowsky: Usel, Das ist nicht die Koseform von Ursula, sondern ein fiktives Element, wie der Dusel im Leben.

Brüning: Und vom 8. bis 10. Juli gibt es in Eisenach ein Festival der DDR-Musik, „Spurensuche“,

da wird alles zusammengetragen, was noch lebt...

Petrowsky: Gab es in der DDR Jazz? Wir haben uns ja immer gegen „DDR-Jazz“ gewehrt, wir fühlten uns ja gut mit den westlichen und östlichen Kollgen, die ähnlich dachten, fühlten, spielten. Fragen: Susanne Paas