Willkommen im Untergrund der Realitätsangst!

■ Die Linke und die innere Sicherheit (Teil III): Seitdem sich auch die »guten« Männer vor der zunehmenden Gewalt der »bösen« Männer fürchten, wächst die Chance für eine Debatte über das Recht auf Sicherheit, hofft die Feministin Halina Bendkowski

Wenn über Kriminalitätsentwicklung und Sicherheit diskutiert wird, verabschiedet sich traditionell die Linke: Das Thema wird weitgehend der politischen Rechten überlassen; eigene Vorstellungen, wie sicher die Stadt zu sein hat, werden kaum formuliert. Der Verfassungsrichter Klaus Eschen hat im ersten Teil der Serie die Verlogenheit der Linken gegeißelt und gefordert, sie müßte die Polizei endlich als demokratische Institution anerkennen. Wolfgang Wieland, der innenpolitische Sprecher von Bündnis 90/ Grüne, widersprach Eschen: Gesellschaftliche Umbrüche mit zunehmender Kriminalität dürften nicht zu einem Problem der Polizeidichte reduziert werden. Außerdem sei die Gleichung, mehr Polizei — mehr Sicherheit, unzutreffend. Der nächste Beitrag erscheint am Samstag. LeserInnen sind herzlich zur Stellungnahme eingeladen.

(d. Red.)

Die Mitteilung, daß die Zufügung von Schmerz Angst erzeugt, dürfte jede/r/m zugänglich sein. Es mehren sich die Gespräche über die Gewalt, die eine/r/m zustoßen könnte und die Gedankenübungen, wie frau/man ihr begegnen könnte. Wie oft frau/man schon weggeguckt hat, weil man (Untersuchungen ergeben, daß auf Männer noch weniger Verlaß ist als auf Frauen) vor allem nicht »heldisch« genug war, dazwischenzugehen, wenn andere von meistens mehreren anderen im Berliner Verkehrssystem angepöbelt oder gar geschlagen worden sind, steigert nicht gerade das Zutrauen zu sich selbst und das Vertrauen in die anderen Mitmenschen.

Das Zufallsgespräch mit dem Mann in der Eisenbahn, dem man, damit es nicht zu einem Streit kommt, auf ein paar Sätze zustimmt, von denen man weiß, daß sie schließlich auf einen Mord hinauslaufen müssen, ist schon ein Stück Verrat. (Theodor Adorno)

Leider sind wir schon wieder viel weiter im Schrecken und viel zu mutlos in der zivilisierenden Schreckensabwehr. Seitdem sich zunehmend die »netten« Männer vor der zunehmenden Gewalt der »bösen« Männer fürchten, gibt es Chancen einer weniger ignoranten Debatte über das Recht auf Sicherheit. Die Zeiten, in denen man als Frau den netten Männern umständlich erklären mußte, wie unangenehm es ist, einer Männerhorde zu begegnen, die laut gröhlend demonstriert, daß ihr die Straße gehört, sind vorbei. Auch diese Männer empfinden und erfahren zunehmend ein Gefühl der Bedrohung, und wie wütend sie diese Hilflosigkeit macht, kommt den Klagen der Frauen gleich. Jegliche Schadenfreude auf seiten der Frauen erkaltet angesichts des ohnehin schon von den meisten Frauen verinnerlichten »Spaziergangverbots« am Abend auf einsamen Straßen oder gar durch Grünanlagen. Jeder einzelne Mann kommt einem da schon bedrohlich vor, wenn er nicht gezielt ausweicht. Wie realistisch die Furcht ist, ist dabei schon unerheblich, denn die Angst vor Übergriffen, aktiviert die Hysterie, die den Alpträumen der Realität geschuldet sind. Die metropolitane Anforderung, nicht arglos = provinziell durch Berlin zu flanieren oder mit der S- und U-Bahn unbedenklich das Weite aufzusuchen, ist eine in den Wind gesprochene Warnung. Und kann man es den Ärmeren, die es sich nicht leisten können, vorsichtshalber mit einem Taxi ihrer Angst auszuweichen, verdenken, daß sie kleinkariert auf die Hochmutsliberalen in den komfortablen Autos mit Heimgaragen oder gesicherten Parkplätzen reagieren? Mit dieser UnArt würdeloser Alltagsbehinderung haben sie nichts gemein. Es bleibt richtig, die bunten Medien für ihre sorglos voyeuristische Bedrohungsausbeutung zu geißeln, nur nützen tut es nichts, denn, wenn die Linken zum Problem der Gewalt schweigen, bestimmen die Rechten weiterhin die Debatte über Sicherheit mit Angeboten dumpfer Polizeireserven. Die Polizeivariante der Freiwilligen Polizeireserve dient im Abgeordnetenhaus regelmäßig als Reizthema für Law-and-Order-Debatten, die sich aller sozialen und rechtsstaatlichen Vernunft entziehen. Der einfache Ruf nach einfach mehr Polizei hat in Berlin zwar zur höchsten Polizeidichte geführt, aber nicht diejenigen ermuntert, den Notruf zu wählen, die in Not sind. Das zuweilen martialisch »bullenhafte« Auftreten und Zuschlagen der Polizei, wenn sie anstatt Konflikte zu deeskalieren, diese mannhaft uniformiert herbeiführt, ist nicht nur einer falschen Politik zuzuschreiben, sondern auch einer völlig unzureichenden Ausbildung, das ein vermummtes Mannschaftsdenken produziert und sich konsequenterweise durch Nichtkennzeichnung als anonymes Kollektiv erhalten will, um nicht individuell verantwortlich zu sein. Solch eine Mannschaftspolizei ist maßlos überfordert und befördert nicht die Zuversicht in einen Rechtsstaat, den in Anspruch zu nehmen doch laut Verfassung alle ein Recht haben! Ich erinnere an die laut Einsatzführer »routinemäßige« Begehung des Schwulenlokals »Tabasco«, in das Samstag nacht, am 21. März 92, achtzig Polizisten in Kampfanzügen hereingestürmt kamen, um, wie sich später herausstellte, zudem ohne »Razzia«-Befehl, eigentlich was zu wollen? Was trieb die Herren Polizisten eigenmächtig, sich wie die selbst ernannten Schwulenticker von der Straße aufzuführen?

Daß manche es lieben, Schrecken und Angst zu verbreiten, ist eine Herrschaftsanmaßung, die, wenn sie auch noch subkulturell akzeptiert und auf ihre Weise kopiert wird, nicht der Verharmlosung preisgegeben werden sollte. Wenn wir uns nicht mafios, sozial und politisch unkontrollierbaren Gegenwehren überlassen wollen, müssen wir die Polizei in ihre demokratische Pflicht rufen. Wenn Autos gegeneinander stoßen, haben die FahrerInnen keine Skrupel, die Polizei zu holen, um ihre Versicherungsrechte geltend machen zu können. Wenn Menschen, allein im letzten Jahr 6.000 in der U- und S-Bahn, angegriffen werden, sollten wir uns ebenso aufgerufen fühlen, Sicherheitsbedürfnisse zu artikulieren. Niemand zieht in der U-Bahn die Notbremse, wenn er/sie mit ihren Attentätern alleingelassen, feststecken. Was wir brauchen, ist, wie in der New Yorker U-Bahn, ein in jeder Bahn befindliches Schutzpersonal. Alle U- und S-Bahnhöfe müßten die ganze Betriebszeit über Geschäftsbetrieb (internationale Imbisse, Einkaufsmöglichkeiten, Ausstellungen, Kaffee, Kuchen, Brötchen, Gemüse, Buchhandlungen, Beratungsstellen etc.) anbieten, damit wieder soziales Leben in die Verließe einzieht. Und vor allem brauchen wir mehr Licht, besonders in den Straßen, wo keine historischen Bauten angestrahlt werden, weil sich Männer/Frauen wie Kinder vor der Dunkelheit fürchten. Und zuletzt brauchen wir entschieden mehr Mut, die Sicherheitsdebatte nicht den Rechten zu überlassen; schließlich geht es um uns. Oder doch noch zu sehr um die anderen und die AusländerInnen, denen die Eingeborenen europaweit die Prügel dafür verabreichen, weil die nationale Politik sie zur Aggressionsabfuhr feilbietet? Es ist eine moralische und statistische Binsenweisheit, daß die Kleinen unter sich bleiben und bevorzugt den noch Wehrlosen auf den Kopf zu hauen pflegen. Wir können nicht so lange warten, bis sich das Menschenrechtsdenken und das Rechtsbewußtsein aller soweit entwickelt hat, um auf die Polizei zu verzichten, die wir bewußt und nicht naiv als »FreundInnen und HelferInnen in der Not« in ihre/r Rolle zu befördern haben. Hallo-oh-FDGO?!