Gemeinschaft Drogenabhängiger Staaten

Die ausufernde Drogenmafia tritt das Erbe der Sowjetmacht an/ 5 bis 7 Millionen Konsumenten in der GUS/ Allein in Kasachstan werden auf 4,5 Millionen Hektar Hanf und Opium angebaut/ West-Europa als Exportmarkt der Zukunft  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

In Sotschi, wo der Kaukasus ins Schwarze Meer fällt, besteigt ein Mann den Zug, legt einen Koffer ins Gepäcknetz und verschwindet im Gewühl. Nachdem zweimal die Sonne auf- und untergegangen ist, nimmt einer der begrüßungsfreudigen „Verwandten“, die bei der Ankunft in Moskau die Abteile stürmen, das gute Stück an sich — zwei Kilo Haschisch, eine wertvolle Ladung. Sie haben die Reise aus dem Morgenland überstanden — ganz allein? In Wirklichkeit hat die ganze Zeit ein Mitreisender die stündlich teurere Fracht aus dem Augenwinkel beobachtet, zur Absicherung gegen simple Gepäckdiebstähle. Hätten unterwegs allerdings die Behörden eingegriffen, so wäre er einfach unbeteiligt sitzengeblieben.

Neben dieser Beförderungsart ist die Feldpost der Armee ein beliebter Verteilungsweg für Drogen in Rußland. Besonders in den Baubataillonen, die ganz normale Wohnblocks bauen — eine nicht besonders geheimhaltungsbedürftige Tätigkeit, so daß ihre Post nicht überwacht wird. In ihnen arbeiten noch heute, sogar um Moskau, viele Soldaten aus den mittelasiatischen Staaten. Und der Umgang mit Drogen in den GUS- Ländern trägt durchaus ethnische Züge: 80 Prozent aller in der russischen Hauptstadt verhafteten Drogen-Dealer stammen aus Mittelasien oder Aserbaidschan.

In Kirgisien, Usbekistan, Kasachstan und Tadschikistan, vor allen in den Ausläufern des Pamir-Gebirges, tritt auch der unschuldigste Besucher Cannabis-Gras und roten Mohn mit Füßen. Kaum ein junger Mann, der dort bisweilen nicht kifft oder sein Opium-Pfeifchen raucht — zumal er sich nach dem Stoff nur zu bücken braucht. Und wenn im kirgisischen Bischkek die meisten kleinen Alltagsvergehen von Bekifften begangen werden, so verbindet sich für die Behörden in Moskau mit dem Drogenhandel Beschaffungskriminalität schwersten Kalibers.

Dabei kommen die drei großen Kartelle, die die Zwölfmillionenstadt kontrollieren, bisher verhältnismäßig friedlich miteinander aus — doch nicht mehr lange, fürchten viele. Die Drogen-Bosse, so heißt es nämlich, vertausendfachen jährlich jeden in dieses Geschäft gesteckten Rubel. Ein Wasserglas voll Marihuana-Halbfabrikat, in Bischkek für 1.500 Rubel zu haben, kostet in Moskau schon 6.000 und in Moldawien bis zu 20.000 Rubel. Die großen Haie bei diesem Deal sind kaum dingfest zu machen, denn sie beschränken ihre persönlichen Aktivitäten darauf, den kleinen Gaunern ein möglichst angenehmes soziales Umfeld zu schaffen: von der Kneipe bis zum Sanatorium, einschließlich der Sozialversicherung für die Kinder, falls Papi einmal verhaftet wird. Gleichzeitig stecken sie die Gewinne in fast normale Geschäfte. Von Geldwäsche braucht dabei nicht einmal die Rede zu sein, denn angesichts des frühkapitalistischen Booms in Rußland fragt niemand nach der Herkunft von Kapital.

In den letzten zwei bis drei Jahren hat der Drogenhandel in den Ländern der einstigen Sowjetunion scharfe Konturen angenommen, und es ist zu vermuten, daß er auch in den Parlamenten über eine starke Lobby verfügt. Valentin Roschtschin, Chef des Moskauer „Büros für den Kampf gegen das Narko-Business“, schätzt, daß die Zahl der Drogenabhängigen auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR von 1,5 Millionen Anfang 1991 auf jetzt 5,5 bis 7,5 Millionen gewachsen ist. Rußland, so meint Roschtschin, gehe jetzt einen traditionellen Weg der Erweiterung des Drogenmarktes — nur daß sich hier in wenigen Jahren vollziehe, was in Europa und den USA Jahrzehnte gedauert habe. Drogen seien bereits zur gültigen Wärung in der kriminellen Welt geworden, mit der sich Waffenkäufe genauso finanzieren lassen wie Kunstwerke.

In diesem Jahr beginnt mit der Erweiterung des Drogensortiments eine neue Etappe. Denn eine starke Nachfrage nach synthetischen und schwereren pflanzlichen Drogen wie Heroin und Kokain hat eingesetzt. Amphetamine, die in „handwerklichen“ Familienbetrieben in Moskau, Sankt Petersburg und vor allem in den baltischen Staaten hergestellt werden, sind der letzte Schrei. Auf die Dauer wird diese Produktionsform wohl kaum ausreichen.

Vorerst steht die Nichtkonvertierbarkeit des Rubels der Verbreitung einschlägiger Süchte noch im Wege. In dem Maße jedoch, in dem sich der Wirtschaftsverband zwischen Rußland und den westlichen Staaten festigt, werden die Kolumbianer enger zusammenrücken müssen. Während sich den westlichen Herstellern im Osten ein neues Feld zum Absatz komplizierterer Drogen auftut, werden die unschlagbar billigen pflanzlichen Rauschmittel aus der GUS den europäsichen Markt überschwemmen. Allein in Kasachstan, so die Schätzungen, werden nicht weniger als 4,5 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Fläche für den einschlägigen Anbau genutzt.

Schon ein kurzer Blick zeigt, daß die verschieden GUS-Nachfolgestaaten den Kampf gegen den Drogenhandel mit flexiblen, differenzierten Methoden aufnehmen müßten, die lokale und kulturelle Traditionen berücksichtigen und in ein Modell des Wandels der jeweiligen Regionen integriert sein müßten. Doch in Rußland werden noch immer Handel und Konsum von Drogen strafrechtlich in einen Topf geworfen. Daß man vor allem bei der Nachfrage ansetzen müßte, wenn man der Ausbreitung des Phänomens wehren will, ist noch nicht ins Bewußtsein der Gesellschaft gedrungen. Mit Modellen zur sozialen Integration hatte man sich auf dem Wege zum vollendeten Kommunismus wenig beschäftigt; und wenn nun die Jugendarbeitslosigkeit rapide wächst und breite Schichten verarmen und sich um ihre Ideale und Hoffnungen betrogen fühlen, sind die Chancen für einen Neubeginn auf diesem Gebiet nicht gerade rosig.

Dabei fehlt es nicht einmal nur an einem Programm zum Kampf gegen das Drogengeschäft, sondern auch an Strukturen, die es ausführen könnten. Die „Überregionalen Gruppen zum Kampf gegen die Drogensucht“, vormals dem Innenministerium der UdSSR angegliedert, hatten einige Erfolge aufzuweisen — doch im Oktober letzten Jahres wurden sie durch einen Federstrich den jeweiligen Republiksregierungen unter- und somit kaltgestellt. „Dies hat unsere Arbeit auf den Stand von 1986 zurückgeworfen“, klagt der Anti-Drogen-Kämpfer Valentin Roschtschin.

Denn in Mittelasien ist das System der „Beteiligung“ der Regierenden an den Drogengewinnen im Laufe von Jahrhunderten ausgereift. So nimmt es nicht wunder, daß Usbekistan es mit der amtlichen Eingliederung der „Überregionalen Gruppe“ am eiligsten hatte. Bisher unternimmt nur die kirgisische Regierung, die ohnehin eine politische Sonderrolle spielt, eine ernsthafte Suche nach Verbündeten im Kampf gegen die Drogenmafia. Ein überregionaler Zusammenschluß aller Bemühungen in diese Richtung müßte jedoch den ersten Schritt bilden. Aber wie denkbar ist er zwischen untereinander Krieg führenden Seiten wie Armenien und Aserbaidschan, Georgien und Süd-Ossetien, Moldawien und Pridnjestrowien?

Während der einheitliche Rechtsraum innerhalb der GUS zunehmend als Fiktion erscheint, bleibt allein der „einheitliche Verbrechensraum“ gewahrt. Ein Griff der Drogenbosse auch nach der politischen Macht scheint nur eine Frage der Zeit. Nicht einmal Rußland oder die baltischen Vorreiter der einzelstaatlichen Souveränität vermögen auch nur halbwegs ihre Grenzen zu bewachen. Die Drogenunion statt der Sowjetunion ist als Schattenimperium schon Realität.