DURCHS DRÖHNLAND
: Im Hard Rock Café würden sie rausgeschmissen werden...

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche

Licht aus, Kerzen raus — die Cowboy Junkies kommen. Sanft wird es sicher wieder werden, sehr sehr sanft. Balsamisch sanft. Eurhythmisch sanft. Kein rüpelhaftes Gitarrenriff, das Raubbau treibt an den natürlichen Kräften der Melodie, kein knüppelndes Schlagzeug, das den Biorhythmus des Publikums durcheinanderbringt. Statt dessen handverlesene Songs, die harmonischst ineinanderfließen. Biedere Müslis sind die Cowboy Junkies trotzdem nicht, eher schon Salon-Vegetarier mit Sinn für das Gesuchte und im Grunde Dandyhafte der puristischen Geste. Daß der Veranstaltungsort die Passionskirche ist, paßt außerdem schön zu der gern und viel zitierten Tatsache, daß das Quintett von der Ostküste sein erstes Album in einem zum Studio umgebauten Gotteshaus aufgenommen haben. Es gibt eben doch noch Koinzidenzen im Chaos. Post-Woodstock-Folk goes Idylle, aber mit Geschmack.

Am 5.6., 20 Uhr in der Passionskirche, Marheinekeplatz, Kreuzberg

Diese Bäuche bauschte das Bier, diese Frisuren kreierte der Spliss, diese Texte diktierte der Teufel: St. Vitus brauchen keinen Image-Berater. Überhaupt ist dies eine Band, die sie im Hard Rock Café rausschmeißen würden, weil ihre Spielart des Heavy noch von garantiert keiner Gentryfizierung beleckt ist. Sie nennen es Doom. Sie zelebrieren es bei Nacht. Die Legende: Im Mittelalter lebte ein Kind, das der König enthaupten ließ, weil es Gott mehr liebte als ihn. Im wahrsten Sinne des Wortes kopflos führte es einen ekstatischen Tanz auf, heute bekannt als Veitstanz. Soweit der Mythos. St. Vitus als dessen Gralshüter gewinnen daraus den niedertourigsten Heavy Metal, der je das Licht des Vollmonds erblickte. Riffs, die, einmal in den Raum geklotzt, kein Mensch je wieder hochheben kann — nicht einmal die als vielversprechender Doom-Nachwuchs gehandelten Cathedral, die das Vorprogramm für St. Vitus bestreiten. Da hilft nur beten.

Am 6.6., 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Und hier kommt die folkige, collegeradioerprobte, credibilitygesättigte Reinkarnation von Patti Smith: Sachiko aus Osaka. 1972 besuchte sie mit ihrem Ehemann, dem Dylan-Biographen Paul Williams, San Francisco und blieb dort hängen. Glaubt man den zahlreichen Ausschnitten aus City Mags und Szeneblättern, die ihre Promo-Legende pflastern, dann hat Mrs. S. seither jeden, aber auch wirklich jeden Club in der Bay Area bespielt. Science-fiction-Autor Philip K. Dick produzierte zu Beginn der Achtziger ihre erste US-Single, das Album Seize Fire folgte erst ein ganzes (Tour)-Jahrzehnt später. Jetzt ist Sachiko mit ihrer Band The Culture Shock unterwegs. Die Musik ist härter geworden, ohne ihre Folk-Wurzeln zu verleugnen. Alte Schule des Singer/Songwriter-Entertainments, die sich im direkten Kontakt mit dem Publikum am prachtvollsten entfaltet — was naturgemäß in kleineren Läden am besten gelingt. Insofern ideale Voraussetzungen beim Berliner Konzert.

Am 6.6., 22 Uhr im Franz-Club, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg

Pilzkopf-Pop will nicht sterben. Die Love Kittens aus Sussex/U.K. gründeten sich 1990, angeblich, »um die Mädchen auf uns aufmerksam zu machen«, in Wahrheit, um den unzähligen Sixties-Epigonen dieser Welt den Anspruch auf das wahre Erbe des Gitarrenbeat streitig zu machen. Weil die ebenfallls britischen Earwig im Grunde dasselbe wollen, wird es auf einen Battle-of-the- Bands-Abend mit viel Jingel-Jangel-Gitarren und Harmoniegesang hinauslaufen.

Am 6.6., 22 Uhr in der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Arme Charlatans. Niemand mag sie so recht mehr haben, jetzt, wo die Rave-o-lution gelaufen ist, und der Umbau zur ganz normalen Rockband mit Entwicklungsmöglichkeiten auch nicht die nötige Resonanz gebracht hat. Die Artisten unter der Zirkuskuppel, ratlos: Experimentierlust wird ihnen als Opportunismus ausgelegt, Überlebenswille als Feigheit. Dabei sind die Stücke auf Between 10th and 11th auch nicht wesentlich übler als die von der ersten LP Some Friendly (auch wenn kein Hit wie The Only One I know drauf ist). Bloß am Songmaterial kann es nicht liegen, daß alle die Band satt haben. Die (Musik-)betriebswissenschaftliche Wahrheit ist: Spielzeuge, mit denen man ein Spiel bis zum Überdruß getrieben hat, müssen am Ende kaputtgemacht werden. Vielleicht ein Grund, doch hinzugehen?

Am 7.6., 20 Uhr, Huxley's Neue Welt

Wechsel ins Hardcore-Lager. Seaweed eilt der Ruf voraus, die letzten fünf Jahre Ami-Punk auf den aktuellen Punkt zu bringen — was natürlich als branchenübliche Übertreibung zu identifizieren, abzuhaken und unverzüglich zu vergessen ist. Hat man diese drei Schritte befolgt, hat man es dann auf einmal tatsächlich mit einem der besten Grunge-Produkte der letzten Zeit zu tun. Nur das Beste aus der Gitarrenbraterei: Das biedert sich nirgends an, ist schnell, laut, breit, furzig und doch hochmelodiös. Erstaunlich, daß so was heute noch bei einem Nicht-Major-Label (Sup Pop) unter Vertrag ist. Smells like Nirvana, nur ohne den Beigeschmack von Hype.

Am 8.6., Huxley's Jr., Hasenheide 108—114, Kreuzberg

Richard Barone war mal Kopf der Bongos, einer von Kritikern geliebten, aber kommerziell durchschlagend erfolglosen Post-New-Wave-Pop-Combo aus Hoboken. Seit er alleine ist, versucht er sich am Aufstieg in die Gewichtsklasse eines Scott Walker, Nick Drake oder Lou Reed. Mit wechselndem, aber insgesamt wachsendem Erfolg. Cool Blue Halo, das mit Cello, Vibraphon und Piano aufgenommene (Live-)Debüt, war der vielversprechende Auftakt, der Nachfolger Primal Dream ein Rückfall in Richtung Mainstream. Auf Tour ist Barone jetzt mit dem gerade erschienenen dritten Streich Clouds Over Eden: 11 nahezu klassische Stories von Songs sollen, ähnlich wie Lou Reeds New York, eine Art Zustandsbeschreibung des Lebens in den großen Städten liefern. Wie nicht anders zu erwarten, hat es seine Härten und ist ungesund, was von Richard B. mit gedämpften Klangfarben und einer pastos aufgetragenen Produktion illustriert wird. Live soll der sensible Mann, dessen Dichter-Gesicht seit kurzem ein Dreitagebart ziert, etwas weniger geschmäcklerisch zu Werke gehen.

Am 8.6., 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz 5, Schöneberg

Barone sollte sich mal ein Beispiel an Luka Bloom nehmen. Der traut sich nämlich schon seit Jahren ganz allein mit seiner Gitarre auf die Bühne — und erzielt auch hübsche Resultate. Vielleicht liegt das daran, daß er es versteht, das unscheinbare Instrument unter dem Ansturm seiner Finger wie ein halbes Orchester klingen zu lassen. Trotzdem verkaspert der in New York lebende Exil-Ire (und Bruder von Christy Moore) sich nicht in Leo-Kottke-artigen Fingereien oder sonstigem Kunsthandwerk. Seine Songs erzählen schlichte Geschichten auf ökonomische Weise, mit perkussiver (Schlag-)gitarre und einem Gesang, der die Brücke schlägt vom traditionellen Talking Blues zu rap-artigen Sounds. Der Radio-Hit I Need Love, im Original von LL Cool J, ist sogar die meines Wissens erste Folkie-Adaption eines HipHop-Songs.

Am 9.6., 20.30 Uhr im Loft

Den Gypsy Kings kommt das Verdienst zu, die Postmoderne auf direktem Wege in die archaische Welt des Flamenco eingeführt zu haben. Von Liebhabern dieser traditionellen Musik werden sie deshalb meist gehaßt wie die Pest. Indes, Puristen, mal Hand aufs Herz: dieser einmalige Approach der Gypsy Kings, dieser filigrane Leiloleilo-Zauber, dieses wahrhaft verwegene Oszillieren zwischen Spiel-Zigan-spiel-Seligkeit und knallharter Ibiza-Disco — ist es in den Sommermonaten, wo das Denken ohnehin schwächer wird, nicht zu ertragen, ja bisweilen, insbesondere kurz vor Urlaubsantritt, sogar zu genießen? Wir meinen: ja. Der vorherige Ankauf und Verzehr einer Flasche Aldi-Sangria wird allerdings dringend empfohlen.

9.6., 19 Uhr, Freilichtbühne Wuhlheide.

Unpeinliche deutschsprachige Volksliedadaptionen, die gibt es nicht, schon gar nicht zur Zeit? Gibt es wohl, wobei »deutschsprachig« vielleicht etwas zuviel gesagt ist: »A Hecht is koa Karpfa, a Zida koa Harpfa, a Harpfa koa Zida, siaß is ned bida« — aus Österreich, genauer gesagt aus Linz kommt dieses Duo, das sich Attwenger nennt, nach eigenen Angaben ein Synonym für Oberösterreichisch singen, beim Singen den Mund aufmachen und vorführen, »wie man mit der Goaß ackert« (was immer das heißen mag). Gespielt werden Polkas, Landler, Gstanzeln und sogenannte Schleiniger, alles handfeste, überlieferte Wirtshausstile, die mit reduziertem Instrumentarium und — wie das Cover der ersten LP (inzwischen ist eine zweite draußen) vermerkt — »beiderseitigem Gesang« dargeboten werden. Kein 1-2-1-2-Humptata, sondern Alpensoul mit Funky- und Punk-Einflüssen.

11.6., 20.30 Uhr, Insel Thomas Groß