Die SPD setzt ihre Hoffnungen auf Eberhard Diepgen

■ Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ditmar Staffelt ist gegen die »Einheitssoße« der Großen Koalition in den Bezirken/ Diepgen soll mehr Elan und Durchsetzungsvermögen entwickeln/ Leisetreterei gegenüber Bonn hat nichts gebracht/ Die PDS ist keine demokratische Partei

taz: Die SPD besteht darauf, in den Bezirken, wo sie stärkste Fraktion ist, auch den Bürgermeister zu stellen. Es ist ein undemokratisches Ausgrenzen, dieses Recht der PDS nicht zuzugestehen.

Ditmar Staffelt: Wir haben zusammen mit den Grünen versucht, das politische Bezirksamt durchzusetzen. Das ist nicht gelungen, weil die CDU dagegen war. Wir haben uns verständigt auf einen Kompromiß, daß die Bürgermeister in einer freien Koalition aus der Bezirksverordnetenversammlung heraus gewählt werden. Jeder, der Bürgermeister werden will, braucht eine Mehrheit. Daraus folgt, daß sich die SPD solche Bündnispartner sucht, mit denen sie glaubt, politisch eng zusammenarbeiten zu können. Da bieten sich die demokratischen Parteien an. Das sind nun mal CDU, Bündnis 90/Grüne und auch die FDP.

PDS soll Verantwortung übernehmen

Die PDS ist keine demokratische Partei?

Beim derzeitigen Entwicklungszustand nicht.

Wird durch die Ausgrenzung der PDS nicht ihre Rolle als Partei der unterdrückten Ostdeutschen verstärkt, während sie sonst Verantwortung übernehmen müßte und daran gemessen werden könnte?

Die PDS wird ja Verantwortung übernehmen; nicht als Bezirksbürgermeister, aber als Stadträte. Insofern wird sie nicht ausgegrenzt.

Vor einem Jahr hat die SPD die Position vertreten, daß die PDS ein Problem sei, was sich über kurz oder lang von selbst erledigt. Das war wohl falsch.

Die SPD muß berücksichtigen, daß die momentane wirtschaftliche Situation und die enttäuschten Hoffnungen dazu beigetragen haben, daß man die PDS als Partei des Ostens begriffen hat. Man darf allerdings auch nicht vergessen, daß gerade in Berlin ein nicht unerheblicher Teil ehemaliger SED-Mitglieder lebt. Wir müssen, auf der Grundlage unseres in Ost und West gleich starken Wahlergebnisses, eine Gesamtberliner Linie durchsetzen, die dann auch solche Wähler gewinnen wird. Entscheidend wird aber sein, ob die existentiellen Fragen in den nächsten Jahren gelöst werden können. Dann wird die PDS auch mit Sicherheit schwächer werden.

Gegen die Einheitssoße

Der Regierende Bürgermeister will die Große Koalition als Modell auch auf die Bezirke übertragen. Das Vorbild scheint nicht gerade anregend zu sein.

Ich bin dagegen, daß man eine Einheitssoße macht. Wir haben ja auch nicht auf der Bundesebene eine CDU/CSU/FDP-Regierung und in allen anderen Ländern, wo es irgend geht auch, sondern wir haben auch da einen bunten Teppich von Koalitionen, und das ist für Berlin ebenso notwendig. Daß das Erscheinungsbild des Senats nicht so wahnsinnig gut ist, hängt damit zusammen, daß ihm zu einem Teil Probleme angelastet werden, die er selbst nicht lösen kann. Das sind Probleme, die eindeutig in der Kompetenz des Bundes liegen. Zum anderen hängt es damit zusammen, daß es dem Senat bisher nicht gelungen ist, den Menschen so etwas wie eine Vorstellung zu vermitteln, wohin sich diese Stadt eigentlich entwickeln sollte und was die Menschen konkret in den nächsten Jahren erwarten dürfen. Hinzu kommt, daß viele natürlich unzufrieden sind, weil vieles nicht schnell genug geht.

Aber muß es nach den Kommunalwahlen nicht wie eine Bestätigung der Wähler gewirkt haben, als der Regierende Bürgermeister nur sagte ,Weiter so', und muß die SPD nicht fürchten, genauso haftbar gemacht zu werden für einen Regierenden Bürgermeister, der offensichtlich diesen Unmut nicht begreift und möglicherweise nicht die Kraft zur Änderung hat?

Herr Diepgen setzt vor allem darauf, daß der Senat schon eine Vielzahl von Projekten eingeleitet hat, sie aber in ihrer Realisierung noch nicht sichtbar sind. Und deshalb ist es auch eine Frage der Zeit. Die Stadt wird sich in zwei Jahren sichtbar anders darstellen als heute. Ich hoffe auch, daß die wirtschaftliche Lage der Stadt sich bis dahin verbessert hat. Ich wünschte mir dennoch, daß er vor allem mehr Elan und mehr Durchsetzungsvermögen an den Tage legte, in dem Sinne, daß die Menschen auch sehen, es handelt sich hier um einen optimistischen, dynamischen Regierenden Bürgermeister. Das ist im Moment nicht in der Form sichtbar, wie wir uns das wünschen.

Die schlechte Stimmung in der Stadt nutzt keiner Partei

Die SPD kann ihre Hoffnungen doch nicht auf den Regierenden Bürgermeister gründen?

Doch. In erster Linie geht es nun mal um die Stadt. Es nutzt keiner Partei, wenn die schlechte Stimmung in der Stadt aufrechterhalten bleibt. Wir müssen den Menschen in der Stadt, in West wie in Ost, einen Weg aufzeigen, wie sie ihre Zukunft organisieren können und ihnen die existentiellen Ängste nehmen. Dynamischer, starker Bürgermeister heißt ja nicht, daß man sich in einer Koalition deckeln läßt, sondern das heißt, daß dann auch sozialdemokratisch geprägte Senatsbeschlüsse von diesem Senat offensiv mit vertreten werden.

Aber schlapper Bürgermeister heißt für die SPD auch, mitgefangen — mitgehangen.

Das ist eine Gefahr, die wir natürlich auch sehen.

Eigentlich müßte es einen bundesweiten Aufschrei geben

In der Frage der Umverteilung von Bundesbehörden ist es ein merkwürdiges Bild, das der Regierende Bürgermeister abgibt: erst die Kröte schlucken und und jetzt plötzlich anzufangen, daran herumzumäkeln und das Ganze revidieren zu wollen.

Ich habe das ganze Verfahren auch nicht so recht verstanden. Meines Erachtens hätte sehr genau geprüft werden müssen, ob Berlin einem solchen Beschluß seine Zustimmung geben kann. Das Problem ist ja nicht, daß Berlin nicht abgeben will. Das Entscheidende ist, — und da müßte es eigentlich einen nationalen Aufschrei geben — daß ausschließlich Berlin abgibt, und zwar in die neuen Bundesländer und nach Bonn. Die großen westdeutschen Flächenländer — Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachsen, Nordrhein- Westfalen — haben fast gar nichts abgegeben, und Hessen nur scheinbar über das Bundesarbeitsgericht, für das es die Europäische Zentralbank eingekauft hat. Diese Vorgehensweise ist typisch für das Verhalten der westdeutschen Politik — und das parteiunabhängig. Wenn es ans Eingemachte, an die eigenen Interessen geht, ist die Bereitschaft, den östlichen Ländern Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, selten genug vorhanden. Und das muß Berlin aufgreifen, wenn es richtig ist, daß Berlin der Schnittpunkt des Einigungsprozesses ist.

Die Leisetreterei hat nichts gebracht

Kritisieren Sie, daß der Senat aus dem ganzen Diskussionsprozeß ausgeblendet worden ist?

Die Entscheidung stand so kurzfristig an, daß sie nicht zureichend innerhalb des Senats unter Berücksichtigung aller Aspekte diskutiert wurde. Aber wichtiger ist die Frage, ob diese Form der Leisetreterei gegenüber den westlichen Bundesländern und gegenüber der Bundesregierung letztendlich richtig ist. Wir haben damit bisher nichts gewonnen. Wir haben weder einen Pfennig mehr Bundeshilfe bekommen, noch haben wir längere Fristeinräumung für den Abbau der Berlinförderung bekommen. Es ist sozusagen alles nach Bonner Takt gelaufen. Deshalb hilft uns nur eine offensive Position gegenüber dem Bund. Denn wir müssen ja der Berliner Bevölkerung gegenüber Rechenschaft ablegen. Das Interview führten Gerd Nowakowski und Dieter Rulff