KOMMENTAR
: Menschenrechte Herzenssache

■ Klaus Kinkels verpatzter Einstieg als Außenminister

Menschenrechte — Herzenssache Klaus Kinkels verpatzter Einstieg als Außenminister

Niemals seit Ende des Zweiten Weltkriegs war die Chance größer, die liberalen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte zur Grundlage bundesdeutscher Außenpolitik zu machen. Wenn in dieser Umbruchssituation dann noch der verdiente, aber von den Zwängen und Rücksichten der Entspannungspolitik geprägte Genscher sein Amt an einen selbstbewußt-mutigen Nachfolger übergibt, der bislang noch immer eigene, liberale Zeichen zu setzen vermochte, besteht Grund zum Optimismus. Der ist seit gestern verflogen. Ausgerechnet mit der Wiederaufnahme deutscher Waffenlieferungen, von denen nicht ausgeschlossen ist, daß sie in der Türkei zur Bekämpfung der Kurden eingesetzt werden, verdient sich Klaus Kinkel seine ersten außenpolitischen Meriten. Damit jedoch ist der Charme liberaler Unberechenbarkeit, sprich Prinzipientreue, erstmal verflogen. Kinkel übt sich, nicht einmal virtuos, in der Akzeptanz des Sachzwangs.

Wir erinnern uns: Auf dem Höhepunkt des türkischen Bombardements kurdischer Dörfer erschien es selbst dem bundesdeutschen Parlament nicht länger opportun, die Militärs in Ankara mit Waffen aus NVA-Beständen zu munitionieren. Das damalige Außenministerium beugte sich — eher gezwungenermaßen denn überzeugt — dem parlamentarischen Druck, derweil die Geschäfte noch eine Weile illegal weiterliefen. Der Skandal war perfekt, das deutsch-türkische Verhältnis merklich getrübt. Jetzt bringt Kinkel die Sache wieder ins Lot. Der Bedeutungszuwachs der Türkei — seit dem Ende des sowjetischen Imperiums auf dem Weg zur südöstlichen Ordnungsmacht — will honoriert werden. Die Fortschreibung deutsch-türkischer Verstimmung liegt weder im Interesse Europas, das die beitrittswillige Türkei in der Vergangenheit oft genug brüskierte, noch dem der Nato. Letztere hat nach der deutsch-französischen Verteidigungsliaison von La Rochelle und den folgenden Warnsignalen aus Washington ohnehin Anspruch auf einen Beweis deutscher Bündnistreue. Den liefert Kinkel jetzt, indem er die Nato-intern vereinbarte Waffenhilfe an Ankara wieder aufnimmt und das Interesse an einem berechenbaren Partner im Südosten des Bündnisses bedient. Verpflichtungen, zumal in der Außenpolitik, sind bindend — Menschenrechte bleiben Herzenssache.

Da fällt einem doch glatt der zweite Newcomer im Bonner Kabinett, Volker Rühe, ein. Dessen Amtsübernahme auf der Harthöhe war nicht von Vorschußlorbeeren, eher von unguten Gefühlen begleitet. Doch während Kinkel sich im außenpolitischen bussiness as usual übt, läßt Rühe den Jäger 90 abstürzen und stellt auch bestehende Rüstungsverträge zur Disposition. Daß man jetzt schon Rühe loben muß — ärger hätte Kinkels Einstieg kaum ausfallen können. Vielleicht hätte er doch als Justizminister erst seine RAF-Versöhnungsinitiative zu Ende bringen sollen. Matthias Geis