„Das Volk besiegt das Folketing“

■ Referendum in Dänemark: Eine Mehrheit stimmte gegen die Maastrichter Verträge/ Öffentlichkeit befürchtet Macht- und Souveränitätsverlust/ Wachsende Angst vor Ausländerstrom aus anderen EG-Ländern

Kopenhagen/Berlin (taz) — Lang war die Auszählungsnacht in Kopenhagen. Nach der Volksabstimmung zu den Maastrichter Verträgen, die den Ausbau der EG zur politischen Union, Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) beinhalten, fiel erstmal die Technik aus. So konnte das Abstimmungsergebnis nicht wie geplant drei Minuten nach Schließung der Wahllokale um 20.03 Uhr veröffentlicht, sondern mußte mehr als drei Stunden lang per Hand ausgezählt werden. Gegen 24.00 Uhr stand endlich das Resultat fest: Eine Mehrheit der DänInnen (50,7 Prozent) ist gegen die Maastrichter Verträge. Lediglich 49,3 Prozent stimmten mit „ja“. Beteiligt hatten sich an dem Referendum, das das dänische Grundgesetz vorschreibt, 82,9 Prozent der Bevölkerung.

Nach ersten Wahlanalysen soll der Großteil der Nein-Stimmen von Frauen stammen. Doch auch unter den in der Fischerei Beschäftigten und Landwirten, so die Wahlforscher, sei eine überdurchschnittliche Ablehnungsquote zu verzeichnen. Sie waren es auch, die ihrem Ruf, die ItalienerInnen des Nordens zu sein, nach der Wahl alle Ehre machten.

Kopenhagens Nacht wurde kurzerhand zum Tage gemacht — Straßenfeste verbreiteten die Freude der SiegerInnen. „Die Dänen haben sich gegen den eurokratischen Brüsseler Zentralismus ausgesprochen“, freute sich der Sprecher des „Nein“- Bündnisses „Dänemark92“, Torben Gross. Um ihn herum tanzten und sangen die Menschen: „Das Volk besiegt das Folketing“.

Durch die dänische Ablehnung der Verträge ist die Terminplanung für eine weitere europäische Einigung erstmal durcheinandergebracht. Entweder muß das Vertragswerk neu verhandelt werden, wogegen es allerdings Widerstand in Brüssel gibt, oder Dänemark erhält einen Sonderstatus. „Es ist eine schallende Ohrfeige für die Regierung. Jetzt müssen wir nachdenken — und Europa.“ Außenminister Uffe Ellemann-Jensen machte nach der Auszählung keinen Hehl aus seiner Enttäuschung. Maastricht in der geplanten Form ist — zunächst einmal — mißglückte EG-Geschichte.

Daß die DänInnen nicht so wollen wie ihre Parteien, ist mehr als deutlich geworden. 130 von 180 ParlamentarierInnen hatten noch einige Wochen zuvor den Verträgen zugestimmt. „Die Parteien müssen sich Gedanken darüber machen, wie weit sie sich vom Volk entfernt haben“, kommentierte selbstkritisch der konservative Ministerpräsident Poul Schlüter. Zurücktreten will er allerdings nicht: „Wir müssen retten, was zu retten ist.“

Schon bei den Verhandlungen zu Maastricht hatte die Regierung in Kopenhagen einige Sonderbestimmungen durchgesetzt, um die EG- Kritiker zu beruhigen. Schon 1986 beim Referendum über die Einheitliche Europäische Akte waren rund 44 Prozent gegen mehr EG-Kompetenzen. So wurde Dänemark trotz der in Maastricht verankerten Freiheit des Handels und der Niederlassungsfreiheit zugesichert, es könne den Verkauf von Grundstücken weiter reglementieren. Ein Zugeständnis an die Befürchtung, die Bürger des großen Nachbarn Deutschland würden in der Europäischen Union Dänemarks Küstengrundstücke als Wochenenddomizile aufkaufen.

Als weiteres Gespenst geht in der dänischen Öffentlichkeit die Vorstellung um, in einer EG-Union von zwanzig oder dreißig Mitgliedsstaaten könnte der Einfluß des kleinen Dänemarks merklich sinken. So befürchtet man unter anderem den Statusverlust der dänischen Sprache. Aber neben der Angst vor Macht- und Souveränitätsverlusten hat wohl bei der Abstimmung auch die wachsende Fremdenfeindlichkeit eine wichtige Rolle gespielt. Immer wieder hatten im Vorfeld Maastrichts GegnerInnen davor gewarnt, daß in einer politischen Union zunehmend AusländerInnen aus anderen EG- Ländern nach Dänemark strömen würden.

Da halfen auch die massiven Schreckenskampagnen gegen die Nein-SagerInnen nicht viel, die mit steigender Arbeitslosigkeit und Einbrüchen beim Außenhandel drohten. Vielleicht waren es ja gerade sie, die ausreichend viele ein trotziges Nein in die Wahlurnen werfen ließ. BZ/wr