Hauen und Stechen um audiovisuellen Kiosk

■ "Wer ruiniert hier wen?" war die Frage, die über dem "4.Medienforum NRW" schwebte. Trotz Optimismus der ZDF- und ARD-Intendanten war klar: Der Markt wird die Konkurrenz der Systeme entscheiden.

Hauen und Stechen um audiovisuellen Kiosk „Wer ruiniert hier wen?“ war die Frage, die über dem „4.Medienforum NRW“ schwebte. Trotz Optimismus der ZDF- und ARD-Intendanten war klar: Der Markt wird die Konkurrenz der Systeme entscheiden.

AUS KÖLN HANS-HERMANN KOTTE

Deutschland zur Jahrtausendwende, das ist die Nation als Fernsehlandschaft. In der Glasfaser komprimiert oder über die Schüssel kommen 45 bis 50 verschiedene Fernsehprogramme ins Haus. Sie decken alle denkbaren Sparten speziellen Interesses ab und machen die Glotze zu einem „audiovisuellen Kiosk“. Sendungen können auch einzeln abgerufen und bezahlt werden: „Pay per View“. Das ZDF ist bereits Mitte der neunziger Jahre privatisiert worden, weil die Werbegelder nicht mehr reichten und das Programm im Vergleich mit den kommerziellen Kanälen einfach zu langweilig geworden war. Freundlicherweise konnten die Gebührenzahler ZDF-Vorzugsaktien erwerben. Als einzige „moralische Anstalt“ ist noch die ARD übrig, ein Zugeständnis an die föderale Struktur des großen Deutschland. Die sechs ARD- Landessender, die noch übrig sind, werden mit einem Werbeverbot belegt. Die Rundfunkgebühren sind auf 30 Mark angehoben worden und werden per Preisindex an die Teuerungsrate im Medienwesen angekoppelt. Der Umfang der TV-Werbung hat sich weit mehr als verdoppelt, weil die Industrie sich auf jeden Konsumententyp mit „zielgruppenkonformen Spots“ einstellen kann.

So oder ähnlich malten die Vertreter der obersten Etagen von ARD und ZDF und den kommerziellen TV- Sendern auf dem „4. Medienforum NRW“ in Köln die Fernsehzukunft als „Vision 2000“. Das von Sonntag bis Mittwoch dauernde Medienforum, zu dem rund 2.000 FachbesucherInnen und 100 JournalistInnen gekommen waren, befaßte sich aber auch mit anderen Themen als der Konkurrenz der Systeme. So etwa mit der nationalen und internationalen Filmfinanzierung, der technischen Entwicklung im lokalen Hörfunk, dem „Reality-TV“ und der Vermarktung von Sportrechten.

Die Kampfansage der kommerziellen Fernsehsender an die Öffentlich-Rechtlichen war klar und wurde ruhig und zurückgelehnt dargeboten— im Wissen, daß die Marktwirtschaft vieles von ganz allein erledigen wird. Vor dem Hintergrund des Erwerbs der Bundesligarechte für 700 Millionen Mark durch Sat.1 und den Verlust von 20 Prozent der Werbeeinnahmen bei der ARD hieß die Frage, die über allen Podien schwebte: „Wer ruiniert hier wen?“ Nachdem NRW-Ministerpräsident Rau (SPD) höchstpersönlich eine „entpolitisierte“ Festsetzung der Rundfunkgebühren und eine stärkere Kontrolle der kommerziellen Medienverflechtungen gefordert hatte, zeigten ARD-Chef Nowottny und ZDF-Intendant Stolte tapfer Optimismus. Mit der Besinnung auf die „Essentials“ des öffentlichen Rundfunkwesens und „first class“ statt „Fast food“ lasse sich die „beste Quote“ bei der „jeweiligen Zuschauerschaft“ noch gewinnen.

Die Intendanten gaben sich aber auch überaus defensiv. Stolte: „Die Krise kommt Mitte der neunziger Jahre. Die Opulenz der Programme, die Finanzierung von zwei öffentlich-rechtlichen Systemen wird dann nicht mehr durchzuhalten sein.“ Als Gegenstrategie empfahl der ZDF- Mann zunächst einen Verzicht auf bestimmte Stars und Sportereignisse. ARD-Frontmann Nowottny sah als „letzte Notbremse“ eine „eigene kostenlose Programmzeitschrift“ voraus. Eine Privatisierung des ZDF brachten nicht nur Nowottny und Stolte ins Spiel. Auch der Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig, Udo Reiter, konnte sich diese durchaus vorstellen.

Rettungsanker: Fusionen und Arbeitsteilung

Einig waren sich Medienpolitiker und Anstaltshierarchen darüber, daß sich die ARD strukturell reformieren müsse. Nur wie das zu geschehen habe, wußte so genau niemand. Es folgten die üblichen Lippenbekenntnisse: Gestoppt werden müsse die teure Expansion des Programms, so sei an einen Verzicht der Satellitenausstrahlung der Dritten Programme und eine Integration von Eins Plus und 3sat zu denken. Projekte der Politik, wie der nationale Hörfunk, dürften die Gebührenerhöhungen nicht weiter quasi unwirksam machen. Die ARD-Anstalten sollten „Profit-Center“ auslagern und sich mehr Aufgaben aufteilen. Nicht jede Anstalt müsse alles machen. Der Intendant des Saarländischen Rundfunks, Manfred Buchwald, forderte mehr Kooperation und die Zusammenlegung von möglichst vielen der etwa 60 ARD-Radioprogramme. Sein Kollege Hartwig Kelm vom Hessischen Rundfunk ging noch weiter und schlug Fusionen vor.

Ein Werbeverbot für die Öffentlich-Rechtlichen zur klaren Trennung der Sphären brachte nur der medienpolitische Sprecher der FDP- Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Otto, ins Spiel: „Das wäre eine saubere Arbeitsteilung. Die Öffentlich- Rechtlichen müssen doch nicht bei allem mithalten.“ Die dann nötige Gebührenerhöhung von sieben Mark hielt er wegen des Vorteils der Werbefreiheit für verträglich, stand damit aber ziemlich allein.

Von Bertelsmann-Vorstandsmitglied Manfred Lahnstein und RTLplus-Chef Helmut Thoma mußten sich ARD und ZDF vorhalten lassen, ein Programm „für die ältere Generation“ zu produzieren. Bei den Zuschauern unter 49 Jahren seien die Öffentlich-Rechtlichen bereits überholt worden. Lahnstein sprach von einer „Osmose zwischen Zielgruppe und Programm“ und erklärte das „Zeitalter der Außenpluralität“ für „endgültig angebrochen“. Es gäbe keine „Domänen der Öffentlich- Rechtlichen“ mehr. „Auf das Freizeitbudget der Menschen hat niemand einen privilegierten Zugriff.“ Einen inhaltlichen Druck der werbenden Wirtschaft auf das Programm wies Lahnstein ebenso weit von sich, wie der Vertreter des Axel Springer Verlages eine strategische Allianz zwischen Sat.1 und den Springer-Blättern leugnete.

Nur einer gab sich auf dem Medienforum weder larmoyant noch übermäßig agil: der Intendant des österreichischen Noch-Monopolsenders ORF, Gerd Bacher. Zum wiederholten Male attackierte er das „duale System“; es sei „Etikettenschwindel“, weil public broadcasting und Privat-TV „höchstens die Technik gemeinsam“ hätten. Ansonsten hätten die Systeme so viel miteinander zu tun wie die 'Bild‘-Zeitung und die 'Süddeutsche Zeitung‘. „Privat, das heißt so viel wie diskret — und wer muß da nicht an RTLplus denken“. Bacher hat gut reden. Er ist nur noch zwei Jahre im Amt, und sein ORF ist noch gut zehn Jahre von den „dualen“ Verhältnissen entfernt.