KOMMENTAR
: Ein Abgang, der überfällig war

■ Das Scheitern der Regierung Olszewski und die neueste Dolchstoßlegende in Polen

Ein Abgang, der überfällig war Das Scheitern der Regierung Olszewski und die neueste Dolchstoßlegende in Polen

Viele polnische Abgeordnete werden sich wohl noch in einigen Jahren fragen, was am Donnerstag im Sejm eigentlich geschah. Nach Ansicht der Anhänger der Regierung Olszewski, die sich mit ihrem Premier buchstäblich bis zum letzten Moment an die Macht klammerten, hat eine geheimnisvolle Verschwörung als Abgeordneter getarnter Stasi-Agenten die Regierung abberufen, um zu verhindern, daß diese deren Vergangenheit ausleuchtet. Für die Opposition dagegen hat die Regierung versucht, die Opposition an der Verabschiedung des Mißtrauensvotums zu hindern, indem sie sie mit der Stasi-Vergangenheit einzelner Abgeordneter zu erpressen versuchte. Abgeordnete der „Konföderation Unabhängiges Polen“ haben das sogar ganz offen von der Rednertribüne und in Interviews Innenminister Macierewicz vorgeworfen. Und Olszewski, der danach das Wort ergriff, schwieg zu diesem Vorwurf. Statt dessen deutet er fast unverhüllt an, seine Abwahl sei das Werk einer Stasi-Verschwörung.

Die neue polnische Dolchstoßlegende ist durchaus angetan, Polen noch einige Jahre lang zu verfolgen und das innenpolitische Klima noch weiter zu vergiften. Erpressung als Mittel der Politik ist damit ganz offiziell ins Parlamentsgeschäft eingeführt. Daß Olszewskis Regierung so weit gehen konnte, verdankt sie allerdings den beiden vorherigen Regierungen, die versucht haben, die unbequeme Stasi-Vergangenheit unter den Teppich zu kehren. Nun tobt sich der Geist, den Olszewski aus der Flasche ließ, umso heftiger aus.

Ganz gleich, welcher der beiden Thesen man den Vorzug gibt, der Regierung Olszewski ist es jedenfalls in ihrer kurzen Amtszeit gelungen, mehr innenpolitische Gräben als jede andere Regierung zuvor aufzureißen. Keine Regierung hat bisher ihre potentiellen und tatsächlichen Anhänger so schnell vergrault, keine hat es geschafft, gleichzeitig mit der eigenen Basis, dem politischen Gegner, dem Präsidenten, der Presse und der Wirtschaft in Konflikt zu geraten. Das ist nicht das Ergebnis einer Verschwörung aller gegen die Regierung, das ist das Ergebnis eigener Anstrengungen. Keine Regierung hat bisher ausländische Investoren so vor den Kopf gestoßen, keine Regierung hat die Außenpolitik dermaßen zu einer Funktion innenpolitischer Auseinandersetzungen gemacht. Sollte nun der bisher recht farblose und politisch wenig profilierte Bauernparteichef Pawlak tatsächlich Premier werden, ist er wahrlich nicht zu beneiden um die Aufgabe, all jene Gräben wieder zuzuschütten, die Olszewski und seine Anhänger in den letzten Tagen aufgerissen haben. Von den zahllosen Problemen, die die Regierung Olszewski unerledigt gelassen oder erst geschaffen hat, ganz abgesehen. Klaus Bachmann