Die Feste rauschen an den Thüringern vorbei

Gern feiern die Einheimischen/ Daß sie vor lauter Vergnügen das Organisieren verlernt haben, das glauben nur die Wessis/ Gottfried Müller, Thüringer Parlamentspräsident, verteilt Maulschellen ans Bundespresseamt  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

In Thüringen wird schon von Alters her unaufhörlich gefeiert. Die Sängerkriege auf der Wartburg, die Burschenschaftstreffen, die Gründung der ersten deutschen Republik in Weimar sowie deren Beerdigung nicht weit davon in Buchenwald. Dann die unaufhörliche Festwut der nächsten Totalitären. Volksfeste total. Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterfest, Fest zum 1., zum 8.Mai, zum 7.Oktober, zum 7.November, Rennsteigfestspiele, Arbeiterfestspiele, Betriebsfestspiele. Vorbei das Feiern? Mitnichten. Vogelthüringen hat die Stafette aufgenommen. Es wird fleißig weitergefetet. Unaufhörlich rauchen in dem heimgesuchten Ländchen die Bratwurstroste. Sudentendeutsche und andere Volkstanzmaiden werfen, hechelnd vor Stolz, die strammen Waden in die Luft. Altbundesdeutsche und so reaktionäre wie reiche Autorenverbände besetzen zeitweilig die Wartburg, führen tagelang Thüringer Klöße samt Kalbsbrust ein, sowie Geschwafel über angebliche Literatur aus.

Und nicht zu vergessen, das Internationale Musikfest in Weimar. Zum dritten Mal findet es heuer statt. Mit riesigem Aufwand und noch mehr Geld. Selbstergriffene Promis aus der halben Welt. Literaten eilen besonders emsig herbei. Der Vorleser der Nation — Westfal, Graf Kocko, Rainer Kunze, Ralf Giordano, Günther de Bruyn und jener andere Günther mit der Trommel aus Blech. So mancher Autor wähnte nach seiner Lesung sogar Bewegung vernommen zu haben in jener Fürstengruft, in der die Altmeister ruhen. „Sie ham sisch wieder ä mal sehr hastisch rumgedreht“, informierte der Friedhofsgärtner erst kürzlich die Presse. Das Petersburger Theater, das Bayerische Symphonieorchester, allerlei andere goldene Kehlchen und Händchen, auch in diesem Jahr. Ein einziges Manko hat dieses Fest seit Anbeginn. An den Einheimischen geht es weitgehend vorbei. Die Preise sind zu hoch, das Angebot so verwirrend undifferenziert, daß keiner so recht weiß, welche der 50 Veranstaltungen er sich leisten soll.

In diesem Jahr endlich einmal einheimische Interpreten. Die nämlich gibt es auch in Thüringen. Sie wurden bisher nur vergessen. Auch der Oberbürgermeister müht sich redlich um seine Bürgerschaft und jenes Fest. Doch was soll der Ärmste machen, wenn die diesjährige Intendantin, nun schon zum dritten Mal, Karen Steff- Wolfsjäger heißt. Hauptberuflich jagt die Wolfsjägerin in Bad Kissingen Wonneschauer über die Buckel der Gebrechlichen, wenn aus den Kulturpavillons heitere Weisen den Genesungsvorgang beschleunigen. Denn hier fungiert sie als Intendantin eines Sommerfestes. Um sie in diesem Jahr endlich einmal zu entlasten, vielleicht auch die internationale Kunst, wurden ihr, sparen und nochmal sparen, zwei weitere Intendanten zur Seite gestellt. Der eine, Johannes Groß vom 'Capital‘. Der Dritte im Bunde, Fritz Wengrich, Intendant des Nationaltheaters in Weimar.

Nicht weit von Weimar, in der Landeshauptstadt Erfurt, schon wieder eine Fete — das Europafest. Veranstalter ist das Bundespresseamt. Das übliche Remmi-demmi. Gewaltige Bauten überall, leibhaftige deutsche Weindörfer, Freßgefilde, Konzertbauten, Promis. Verantwortlich für die Ausführungen einzig und allein westliche Agenturen. Die Schirmherren: Jacques Delors persönlich und der Landesvater Bernhard Vogel. Doch das war dann schon alles, was Thüringen als politische Landschaft betrifft. Das gesamte Thüringer Landesparlament wurde ausgeklinkt, ganz offen als nicht existent betrachtet und demzufolge auch im Programm, das eine Vielzahl von politischen Veranstaltungen aufweist, nicht berücksichtigt. Grund genug für den Parlamentspräsidendten Dr. Gottfried Müller, eine der wenigen Integrationsfiuguren des Landes, an Regierungssprecher Vogel in Bonn einen geharnischten Brief zu schicken. Müller bestritt schlankweg, daß es sich bei dem Skandal um ein Versehen handele, da solche Ignoranz aus Bonn auch bei anderer Gelegenheit in Thüringen registriert würde. Aus Bonner Perspektive würde gerade noch die Existenz der Landesregierung ausgemacht, die des Landesparlaments jedoch nicht. Dies geschehe, so Müller, obwohl in der gegenwärtigen Umbruchsituation, wegen ihrer größeren Basisnähe, gerade die Landtagsabgeordneten von den Bürgerinnen und Bürgern in sehr direkter Weise für die poltische Entwicklung verantwortlich gemacht würden.

Die Sorgen der Thüringer Menschen würden durch die Gedankenlosigkeit der Veranstalter noch geschürt. Bekämen sie doch sehr anschaulich vor Augen geführt, was in einem künftigen Europa der Superstrukturen auf sie zukommt. Eine übermächtige, zentrale Bürokratie und immer mehr geschwächte Parlamente, die, wie man sieht, im konzeptionellen Bewußtsein bestimmter Beamter schon gar keine Rolle mehr spielen. Und noch eines hat den tüchtigen Mann auf dem Parlamentsthron schwer geärgert.Die erneute Benachteiligung der Ossis und die Auftragsvergabe durchweg an westliche Agenturen.

Kräftige Maulschellen von Thüringens Parlamentspräsidenten für das Europafest. Den Leuten, obwohl zur Zeit weiß Gott wenig Bock auf solche Jubelfeste, war dieser wachsame Müller, wie schon oft, ein Fest.