Montenegro setzt sich von Serbien ab

■ Der montenegrinische Präsident deutet mögliches Ausscheren aus dem Staatenbund an

Belgrad (taz) — Das staatliche Gebilde Neu-Jugoslawien wird brüchig: Gestern erklärte der montenegrinische Präsident Momir Bulatovic erstmals, seine Regierung und er könnten sich vorstellen aus dem Staatenbund mit Serbien auszuscheren. Die Gründe: Man fühle sich für den Krieg in Bosnien nicht verantwortlich, man könne die internationalen Wirtschaftssanktionen auf Dauer nicht tragen und außerdem habe auch Montenegro eine lange staatliche Tradition.

Bulatovic, ein politischer Ziehsohn des serbischen (und neu-jugoslawischen) Präsidenten Milosevic, deutete in den letzten Wochen schon mehrmals an, „mehr Rücksicht auf sein Volk“ nehmen zu wollen. Denn die Mehrheit der 600.000 Montenegriner sah bereits in der Ausrufung Neu-Jugoslawiens am 27. April eine „Totgeburt“. Die Ängste der Montenegriner sind vielfältig. Schon mehrmals in der Geschichte wurde ihnen ihre Eigenstaatlichkeit durch serbische Könige und Herrscher genommen, auch bei der Gründung Jugoslawiens 1917 war nur eine knappe Mehrheit der Montenegriner für den Staat der Südslawen. Als im letzten Jahr der balkanische Vielvölkerstaat zusammenbrach, hielt man deshalb Belgrad die Stange, da man in Serbien eine Schutzmacht gegen den Nationalismus der Albaner und muslimischen Bosnier sah, die zum einen als zahlenmäßig große Minderheiten im Land leben und deren Mutterstaaten Montenegro geographisch in die Zange nehmen.

In Sarajevo konnten 800 Soldaten der rest-jugoslawischen Armee unter UN-Beteiligung ohne Zwischenfälle die Marschall-Tito-Kaserne räumen und in einen Vorort Sarajevos ziehen. Sie gehören zu den letzten Angehörigen der ehemaligen Bundesarmee, die sich noch in Bosnien befinden. Der Eingang zur Kaserne war von bosnischen Truppen vermint worden, da sich Bosnier und Armee nicht über den Verbleib der dort gelagerten schweren Waffen einigen konnten. Die Bosnier räumten gestern mittag die Minen. In der Nacht zuvor war Sarajevo wieder von Artillerie beschossen worden. Roland Hofwiler