Für Männer mit Fernglas

■ James Joyce' Monolog der Molly Bloom im Deutschen Theater

Was macht eine Frau, die stundenlang auf einen Mann gewartet hat, der betrunken nach Hause gekommen ist und nun im Ehebett tief und fest schläft? Selbst schlafen kann sie nicht. Reden mit ihm kann sie auch nicht. Sie hat nur sich als Gesprächspartner, also beginnt sie einen Dialog mit sich. Und im Lauf der verbleibenden Nacht blättert sie ihr Leben auf. Es ist das Leben einer Frau in mittleren Jahren, die sich ungeliebt, sexuell unbefriedigt und einsam fühlt. Die Erzählung der Molly Bloom beendet den Ulysses von James Joyce. Ohne Punkt und Komma geschrieben, vermittelt der Text schon vom Schriftbild her einen atemlosen Eindruck. Das Lesen fällt schwer, man muß sich ständig neu orientieren, dranbleiben, ganze Passagen noch einmal lesen, Seiten zurückschlagen.

Auf der Hauptbühne des Deutschen Theaters hat Friedo Solter mit Christine Schorn als Molly Bloom den Monolog in Szene gesetzt. Ein breites Bett, mit Decken beladen, unter denen nur die bestrumpften Füße des Gatten hervorlugen. Ein Stuhl, ein Wandschirm, behangen mit Hüten und Kleidern, den man zu einem Spiegel aufklappen kann, und ein schwarzbespanntes Siegertreppchen sind die einzigen Spielrequisiten.

Zu Beginn hockt sie mit untergeschlagenen Beinen auf dem Bett, aber es hält sie nicht da. Sie will ihrer Erregung Herr werden, läuft ruhelos im Zimmer auf und ab, immer wieder von dem Corpus delicti, dem Bett mit dem schlafenden Kerl, weg und doch wie magisch immer wieder von ihm angezogen. Sie zieht seinen Morgenmantel über ihren eigenen Unterrock, schlurft in dem viel zu großen Kleidungsstück einher, um es kurz darauf wieder abzuwerfen und erschöpft auf einen Stuhl zu sinken. Dann packt sie eine neue Erinnerung, und sie rennt wie eine Irre über die Siegertreppen. Was war das für ein Leben: damals, als sie jung und begehrt war, als ihr Mann sie liebte und sie auch anderen gefiel, als es noch jede Menge Sex gab, der ihr soviel Spaß gemacht hat.

Und jetzt? Jetzt muß man sich einen Boy kaufen, damit man was hat vom Dasein. Diese Seite der Figur spielt Christine Schorn mit großem Einsatz, und sie spielt sie vor allem mit dem Publikum. Sie versucht, den Text aufzubrechen, setzt die Gedankengänge voneinander ab, indem sie ihnen entsprechende Vorgänge zuordnet. Ihre Geschichte wird dadurch nachvollziehbar, und die Schwierigkeiten beim Lesen werden aufgehoben. Jede Aktion und jede Geste ist auf die Reaktion der Zuschauer gebaut. Die machen dann auch den Spaß mit größtem Vergnügen mit, fast klatschen sie sich auf die Schenkel dabei. Mehrere Männer im Parkett verfolgen wirklich durch Operngläser, wie diese Frau da oben ihr Inneres und Äußeres darlegt. Bei jeder drastischen Formulierung — und Joyce ist da nicht fein — geht ein Juchzen durch die Reihen.

Offensichtlich reichte dieser Aspekt der Regie auch aus, denn es geht immer so weiter. Und je länger es währt, um so mehr bekommt das Spiel mit den Leuten etwas Anbiederndes, sind die Worte nicht mehr zynisch, sondern eklig schleimig. Es steckte viel mehr im Text als nur die individuelle Tragikomik der Molly Bloom. Die Geschichte einer ganzen kleinbürgerlichen Schicht würde da seziert, mit all ihren Vorurteilen, ihrer spießigen Ignoranz anderen gegenüber und mit ihrer ganzen Gefährlichkeit. Aber nur an ganz wenigen Stellen wird es bei Christine Schorn wirklich spannend, so daß man es knistern hört. Etwa, wenn sie an ihrem Spiegel steht, die Augen irgendwo verloren (und nicht auf die dritte Reihe geheftet) und die Worte einfach aus ihrem Mund herausfließen, ganz schlicht und leise. Oder wenn sie über die herrlichen süßen Kuchen spricht, die ihr so wahnsinnig gut schmecken.

Da spürt man eine verborgene Sinnlichkeit, von der man sich wünscht, sie möge bleiben oder sich in einer Verrücktheit entladen, die über plumpen Naturalismus hinausgeht. Leider sind diese Momente rar und so kurz, daß man sich ihrer kaum erinnert. Sibylle Burkert

Molly Bloom im Deutschen Theater, nächste Vorstellungen am 12. und 30. Juni, 19.30 Uhr