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QUERSPALTEGefährliche Zweierkiste

■ Mehr Verbrechen in Beziehungen als auf der Straße

Der gefährlichste Ort in Berlin ist die Zweierkiste. »Laut Kriminalstatistik geschehen in der Paarbeziehung mehr Verbrechen als auf der Straße«, erklärte Kriminalhauptkommissar Wolfgang Gehrke den verdutzten Teilnehmern des Volksuni-Kurses »No go areas — mörderische Ecken in Berlin«. Den Worten Gehrkes und des Krimiautoren und Soziologieprofessoren Horst Bosetzky (Pseudonym »-ky«) lauschten rund 50 Leute, von denen mindestens jeder zweite ein CS-Gas-Fläschchen in der Tasche trug. Warum sich so viele Leute ohne reale Gefahr in dunklen Straßen, Parks oder Bahnhöfen fürchten, versuchte Bosetzky zu erklären: In erster Linie sei die Zweierkiste daran schuld. Denn je enger eine Beziehung sei, desto größer würden die Konflikte und damit die Ängste voreinander. »Damit die Beziehung nicht zu Bruch geht, werden Ängste verdrängt und beispielsweise am dunklen Park festgemacht«, analysierte Bosetzky. Bloß Minderheiten und »fremdaussehenden« Personen gestand der weißbezopfte Alt-68er reale Ängste zu: »Als ich neulich durch Marzahn lief, war mir auch nicht ganz geheuer.«

Selbstkritisch räumte Bosetzky ein, als Krimiautor die irrealen Ängste der Bevölkerung mit aufzustacheln. Als Beleg zitierte er eine Passage aus seinem neuen Roman, in dem eine Frau in der S-Bahn ermordet wird. Unabhängig davon ergab eine Umfrage, daß jeder dritte Berliner nach Einbruch der Dunkelheit die Fahrt mit der S-Bahn meidet. »Hier besteht ein Teufelskreis«, erkannte der Soziologe. »Gilt ein Ort als berüchtigt, meiden ihn die Passanten, was wiederum kriminelle Elemente anlockt.« Während das Volksuni-Seminar es leider im dunkeln ließ, wie sich Gefahrensituationen in Zweierkisten abwenden lassen, gab Kriminalkommissar Gehrke Tips, wie man sich bei Überfällen auf der Straße verhält. So sollte man, anstatt den Helden zu spielen, lieber weglaufen oder notfalls sein Geld herausgeben. Statt Waffen zu tragen, empfahl Gehrke, Provokationen von vorneherein auszuweichen. Bestimmte Aufnäher und Frisuren könnten die Aufmerksamkeit von Gewalttätern erwecken. »Eine absolute Sicherheit gibt es aber weder im ruhigen Frohnau noch für die Unauffälligsten in Gropiusstadt«, gab der Polizist zu bedenken, »es sei denn, man fährt mit 'nem Panzer durch die Gegend.« Micha Schulze

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