»Granaten liegen einfach im Wald herum«

■ Drei mutmaßliche Waffenhändler seit gestern vor Gericht/ Aus GUS-Beständen sollten Hunderte von Splitterhandgranaten an einen verdeckten Kripo-Ermittler verkauft werden/ Seit Jahren größter in Berlin aufgeflogener Deal mit Waffen

Moabit. Wäre zu Prozeßbeginn nicht die Anklageschrift verlesen worden, man hätte fast glauben können, es ginge um ein illegales Geschäft mit Äpfeln und Birnen. Keine kritische Frage, kein unbequemer Vorhalt aus den Akten und kein lautes Wort fielen gestern in Saal 537 des Krimalgerichtes Moabit. Und dabei ging es um ein Geschäft mit dem Tod.

Angeklagt sind drei Männer zwischen 29 und 46 Jahren. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, am größten Waffendeal beteiligt gewesen zu sein, der in Berlin in den vergangenen Jahren aufgeflogen ist. 507 Splitterhandgranten des sowjetischen Typs F1 einschließlich gesondert verpackter Zünder sowie mindestens 148 mit Sprengstoff gefüllte Panzerhandgranten ohne Zünder und drei Kisten mit Infanteriemunition aus Beständen der GUS-Streitkräfte bei Jüterbog hätten die drei versucht zu verhökern. Ein Geschäftsmann aus der Schweiz soll der Kunde gewesen sein. Der Deal flog im Februar diesen Jahres bei der Übergabe im Bezirk Mitte auf. Denn der angebliche Geschäftsmann war in Wirklichkeit ein Kriminalhauptkommissar.

Mit ihrer unkritischen Prozeßführung machte die Vorsitzende Richterin der 14. Strafkammer, Marianne Moritz, es den Angeklagten gestern leicht, sich als schlichte Militariasammler und naive Kaufleute zu präsentieren, die nichts Böses im Schilde führten. Mit keinem Wort klang an, daß eine einzige der jeweils 550 Gramm schweren Handgranaten mit einem Wirkungsradius von 200 Metern genügt, um Dutzende von Menschen ins Jenseits zu befördern. Immerhin waren sowohl der 1979 von Ost- nach West-Berlin geflüchtete Hauptangeklagte Peter Sch. als auch der in Köpenick wohnende Mitangeklagte Thomas B. geständig. Peter Sch. gab sich als Inhaber eines kleinen Militariageschäftes in der Motzstraße aus, das nach der Wende zusehends zum Sammlertreffpunkt geworden sei: Angehörige der NVA, Stasi, Luftwaffe und DDR-Grenztruppen hätten PKWs voll mit Orden, Uniformen und militärischen Ausrüstungsgegenständen angekarrt und ihm zum Kaufe feilgeboten. Bald, so Peter Sch., habe er zwei Garagen, einen Dachboden und Keller sowie eine Laube anmieten müssen, um die Sachen unterbringen zu können. Bei einer Erkundungstour der GUS- Truppenübungsplätze habe er 1991 auf dem Militär-Müllplatz Altlager bei Jüterbog einen russischen Offizier namens Alexej kennengelernt. Dieser habe ihm über 500 Splitter- und Panzerhandgranaten zum Stückpreis von fünf Mark verkauft. »Granaten, Sprengstoff und Bomben«, so Peter Sch., »liegen im Wald für jedermann zugänglich rum.« Die Zahlung sei teils in Bargeld, teils durch gebrauchte Video- und Kassettenrecorder erfolgt, die Alexej mit nach Rußland nehmen wollte.

Vor Gericht suchte der Angeklagte gestern glauben zu machen, daß er die Granaten ursprünglich »entschärfen« und auf Militariabörsen anbieten wollte. Dazu sei es nur deshalb nicht gekommen, weil der Mitangeklagte Thomas B., ein früherer Freund aus Ost-Berlin, plötzlich einen Kaufinteressenten gefunden habe.

Thomas B., bis zu seiner Festnahme Geschäftsmann für Lebensmittel, bestätigte gestern, daß er Peter Sch. die Granaten zum Preis von jeweils 17 Mark abkaufen und an einen angeblich Schweizer Geschäftsmann für 24 Mark pro Stück weiterveräußern wollte. Der Kontakt sei durch einen früheren Bekannten namens »Willi«, der offensichtlich verdeckt für die Polizei arbeitete, zustande gekommen. Die Waffen seien für den Befreiungskrieg in Kroatien bestimmt, habe es geheißen. Der Schweizer, der sich später als Kripomann entpuppte, habe zunächst gefordert, ihm Schnellfeuergewehre zu besorgen, sich dann aber mit den Granaten zufriedengegeben. Der Kriminalhauptkommissar soll am kommenden Dienstag als Zeuge gehört werden. »Willi« dagegen taucht mit keinem Wort in den Akten auf. Der dritte Angeklagte, ein Franzose, der als Beruf Sekretär bei einer Pariser Immobilienfirma angab, verweigerte die Aussage. Die Staatsanwaltschaft vermutet, daß er sich als Söldner während des Krieges im Irak und in Kroatien verdingt hat. plu