■ NEULICH ...: ... beim Hundelehrgang: Leinenlos am Osterdeich!
Einmal Hund sein! Jedenfalls am Osterdeich, wo noch der Freigeist als Waldi wedelt und Purzelbäume über Stöckchen schlägt. Nein, sagt die feine alte Promenaden-Dame, sowas, in Bielefeld gibt's sowas aber nicht. In Bielefeld muß man als Hund an die Leine. In Bremen nicht, also: Leinen los! Und wow: Es wuselt die Weser-Ente und ladet zum Bade; es lockt die weite Wiese mit Würstchen aller Rassen. Und was wäre das für ein Dackelhalter, der seinem treuen Freund nicht das bißchen Anarchie gönnte!
Oh, da kennt man kleine Dackelhalterinnen schlecht, die Wert auf einen Hund mit Stil legen. Tine hieß der kleine Rauhhaarige und mußte dauernd sitzen. Das heißt, er mußte sitzen üben, um keine faulen Fische zu fressen. Die er schon gefressen hatte, aber egal: jetzt hieß es eben üben, keine zu fressen. Und solange man sitzt, frißt man ganz klar keine faulen Fische. Schließlich kannte das kleine Mädchen den toten Fisch schon persönlich von letzter Woche, als er noch ganz zu Anfang tot war, eklig genug; aber jetzt war er ja schon ganz alt tot und gar nicht mehr auszudenken, wie eklig.
Überhaupt kannte sie alle Hunde, begrüßte Hasso von den Nachbarn, winkte Wichtel von weitem und erzählte vom schönen Dario. Oh, den kenn' ich, rief ich stolz, ein Collie! Nein: braun, korrigierte sie, und ich gab klein bei. Schließlich hatte sie insgesamt drei, wie sie mir schnell mal aufzählte: einen, der bald stirbt, dann Tine, und dann noch einen.
Apropos Tine: wo war der Hund? Au, weit weg, etwa 10 Meter Luftlinie. Also entschieden zu weit für einen disziplinierten Dackel. Ein fürsorgliches Donnerwetter entlud sich über dem abtrünnigen Hund. Tja, so ist das mit Tieren, dozierte sie quasi bedauernd und rang dramatisch die Arme: Nettsein nützt ja nichts. Also muß man streng werden! Denn gehorcht werden muß! Und so marschierten wir zügig hinter ihrem Dackel her, der klug schweigend die Richtung angab und sich ab und zu ein wenig hinsetzte, um sein Frauchen zu schonen.
Wir gelangten trockenen Fußes über die Häufchenwiese und auf den Deich, wo sich die Straße wie eine Art Super- Learning-Lektion hinzog. Der Dackel stand still und wartete vor der roten Fußgängerampel. Jetzt aber: wie steht ein Hund mit Stil an einer Fußgängerampel? Richtig: Er sitzt. Die Gefahr, wenn man beim Warten sitzt, ist nämlich — erstaunlicherweise — geringer. Sitz! Sitz!!! — schrillte die Kleine, und: Platz! Platz!!! Aber wacker standhaft blieb der Dackel und erwartete ruhig Grün.
In letzter Verzweiflung wurde nun niedergekniet und des Hundes Hinterteil heruntergedrückt. Endlich setzte sich Tine auf ihre vier Buchstaben. Sofort sprang die Ampel um. Kommando zurück, Kommando jetzt: bei Fuß. Wie von selbst betrat der Dackel die Fahrbahn — verfehlte aber um Haaresbreite den Zebrastreifen. Doch nicht quer!!! — brüllte in höchster disziplinarischer Not das Frauchen. Seine gesamte pädagogische Glaubwürdigkeit stand schließlich auf dem Spiel.
Der Dackel aber wackelte weiter neben dem Streifen, erreichte wohlbehalten die andere Straßenseite, setzte sich drüben hin und nahm einsichtig die Leine in Empfang, an welche er sogleich gelegt und kurz genommen wurde. Dann wurde er nach Hause abgeführt.
Einmal blickte sie sich noch um, weil sie mich ja etwas rüde stehengelassen hatte und auch kleine Frauchen schon sehr sozial sind. Sie hob wie entschuldigend die Schultern und rief: Einmal müssen sie's ja lernen!! Eilig suchte ich das Weite und dachte noch lange über die Erziehungsmethoden von kleinen Mädchen nach. Claudia Kohlhase
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