INTERVIEW
: »Ich erhebe mich hier über mich«

■ Der FU-Präsident muß über den Einzelegoismen stehen, vertritt Präsident Gerlach/ Einsparungen setzen der FU zu

taz: Sie sind nach außen hin der unauffälligste FU-Präsident seit 1969. Ist Ihnen das eigentlich recht?

Johann W. Gerlach: Es gibt ja evident einen Abzug des öffentlichen Interesses von der FU zur Humboldt-Universität. Das ist so. Im übrigen, denke ich, hat die FU mit sich sehr viel zu tun, intern, um bessere Strukturen zu erreichen. In der FU ist in der politisch ruhigeren Zeit der achtziger Jahre strukturell nichts passiert. Man hat sich mit einer gleichmäßigen Verteilung gewisser Einsparungen und allgemeiner Befriedung über die Wahrheit gemogelt.

Was ist die Wahrheit?

Die Wahrheit ist, daß es zum Beispiel an der FU wenig Zusammengehörigkeitsgefühl gibt. Das ist vor allem ein Problem in vielen Geistes- und Sozialwissenschaften, die in vielen Einzelpersonen durchaus ihre Qualität haben, die aber kein größeres Ganzes bilden, wo wenig Gesamtverantwortung besteht. Das hat sich auch gezeigt bei den Befragungen der Studierenden zur Lehre: daß die Lehre, so wie sie geboten wird, offenbar sogar ganz ansprechend ist, daß aber eine Gesamtorientierung und -verantwortung fehlt. Wenn das so ist, dann ist das wie eine schleichende Erosion. Sie können das von heute auf morgen nicht ändern. Es gibt keinen Zeitgeist, der in diese Richtung bläst. Sie müssen, obwohl es fast aussichtslos erscheint, einfach langsam anfangen und sagen: es muß sich bessern.

Wie denn?

Das kann man, als Hoffnung zumindest, festmachen an der Frage der Verbesserung der Lehre. Wenn die Befragung der Studierenden läuft und die Fachbereiche zunehmend mitmachen und darüber bei offenkundigen Schwächen nicht Disziplinierung einsetzt, daran denke ich erst einmal gar nicht, sondern ein Prozeß entsteht, der Lehre wichtig nimmt. Das heißt, daß inneruniversitär auf dieses Kapitel plötzlich allgemeine Aufmerksamkeit kommt.

Haben Sie denn überhaupt Möglichkeiten, da noch mehr einzugreifen?

Natürlich gibt es beispielsweise die Möglichkeit, die Zuweisung von Finanzmitteln zu steuern. Ich kann auch, wenn es um die Freigabe von Professorenstellen geht, sagen: Wozu eigentlich? Bloß zu sagen, daß es gestern schon so war und deswegen morgen so bleiben muß, das geht nicht mehr.

Das rechne ich mir zugute: daß ich diese Infragestellungen verkörpere. Ich bin hier als Präsident unabhängig von dem Prof. Ferlach bei den Juristen, ich würde auch auf meine eigenen professoralen Interessen aus der Zeit von vorgestern keine Rücksicht nehmen. Insofern erhebe ich mich hier über mich. Das ist kraft Amtes notwendig.

Benachteiligt der Wissenschaftssenator die FU, um die Humboldt-Uni zu einer ersten Adresse in Berlin zu machen?

Also, das Ziel: erste Adresse, gar Eliteuniversität, und das in kürzester Zeit, das sind ja Träume, die sind unerfüllbar. Aber es ist so, daß sich im Bereich des Wissenschaftssenators ein ungeheuer ungedecktes Haushaltsloch auftut. Ich gehe davon aus, das wird eine Finanzkatastrophe. Daß wir im Westen keinen Ausbau betreiben sollen für den Aufbau im Osten, das ist eine banale Selbstverständlichkeit. Aber was uns an Einsparungen zugemutet wird, das können wir nicht wegstecken ohne Schädigungen bei Bibliotheken, Forschungsmitteln, Investitionen, bei der Bauerhaltung. Es wird nicht an Gebäuden ausgebessert, damit nicht die Bibliotheken zu viel Schaden nehmen. Wir leben langsam vom Verbrauch des Tafelsilbers, kann man sagen.

Ich denke, es wäre besser gewesen, daß man manche Dinge mehr streckt. Das ist mein Hauptvorwurf an den Senator: daß er die »Humboldt-Erhardt-Universität« nach vorne bringen wollte. Sie können aber nicht Fachbereiche mit überwiegend Fremden in bester Qualität innerhalb von zwei Jahren neu besetzen. Wo sollen die denn alle herkommen? Gleichzeitig sollte viel Geld gespart werden durch die Entlassung der Humboldtianer. Das war eine Absage an eine angemessene Kontinuität. Es wurde keine Übergangszeit von fünf bis zehn Jahren gewährt. Die Altersstruktur der Hochschullehrer hätte das ja erlaubt. In fünf bis zehn Jahren sind dort ohnehin alle Hochschullehrer weg, weil die in der DDR erst spät Professor wurden. Nein, es sollte ein Crashkurs veranstaltet werden. Aber auch bei der Entlassung der Humboldtianer wird der Senator keinen Erfolg haben. Sprich: die Einsparungen wird es nicht geben, nur neue Ausgaben. Zum Aufbau wird es nicht reichen, aber es reicht, um hier Bestehendes zu schädigen. Interview: Winfried Sträter