Todsünde des linksliberalen Nestbeschmutzers

■ FU-Präsident Johann W. Gerlach seit einem Jahr im Amt/ Kritik aus allen Lagern an dem linksliberalen Juraprofessor wegen »autoritärem Führungsstil« / Angestrebte Leistungsbewertung in der Lehre bringt die Professoren auf

Berlin. Darf ein Universitätspräsident, wenn er eine Sitzung des Akademischen Senats (AS) leitet, ein Mitglied desselben einen »Lümmel« nennen? Sowohl politische Gegner als auch Weggefährten des amtierenden Präsidenten der Freien Universität, Johann W. Gerlach, fanden, das darf er nicht. Gerlach hatte auf einer Senatssitzung den Senator und ehemaligen FU-Vizepräsidenten Prof. Jürgen Brückner mit »Sie Lümmel!« angefaucht. Die Einschätzung, daß Brückner in der Tat ein Lümmel sei, wird — über Parteigrenzen hinweg — von Senatoren und FU-Mitgliedern, die diesen Mann kennengelernt haben, geteilt. Nur: Als Präsident und Leiter einer Senatssitzung hätte Gerlach den umstrittenen Medizinprofessor nicht so heißen dürfen. Der Vorfall war in den Augen der FU-Senatoren einer von vielen Stilbrüchen, die sich Johann W. Gerlach innerhalb eines Jahres an der Spitze der FU geleistet hat und die das Bild seiner Präsidentschaft bereits nachhaltig verdunkeln. Politische und persönliche Freunde haben sich seit Sommer letzten Jahres, als Gerlach gewählt wurde, von ihm distanziert, sie werfen ihm einen autoritären Führungsstil vor und daß er zu sehr »den Präsidenten raushängen läßt«. Manche, die ihm vor einem Jahr in den FU-Chefsessel geholfen haben, empfinden ihn dort mittlerweile als »Katastrophe«.

Derartige Urteile speisen sich nicht nur aus schlechten Erfahrungen mit dem politisch unerfahrenen Jura- Professor. Sie reflektieren ebenso sehr die hohen Erwartungen, die nach den quälenden Jahren mit dem jetzigen Innensenator Heckelmann in Gerlach gesetzt wurden. Heckelmann hatte mit seinen rabiaten Methoden, sich zum FU-Präsidenten wählen zu lassen und so lange im Amt zu bleiben, bis ihm seine CDU-Parteifreunde 1991 den Weg zur noch höheren Karriere ebneten, den Präsidentenstuhl der FU bundesweit in Verruf gebracht. Gerlach hingegen: ein reputierlicher Linksliberaler mit einer feinen Diktion, ein Mann, dem politische Fähigkeiten nachgesagt wurden. Die Rechten in Dahlem hofften, daß dieser Mann ihrer Universität endlich wieder ein besseres Image in der Öffentlichkeit und einen besseren Ruf in akademischen Kreisen verschaffen würde. Die Linken erwarteten von einem Präsidenten ihrer Couleur die Rückkehr zu einem demokratischeren Führungsstil. So wurde Gerlach von einer breiten, parteiübergreifenden Mehrheit ins Amt gewählt. Und irgendwie haben nun alle das Gefühl, daß die Hoffnungen getrogen haben.

Die Studenten(-vertreter): Für den AStA erfüllt Gerlach längst nicht mehr den Anspruch, ein »linker« Präsident zu sein. Sein Führungsstil unterscheide sich kaum von dem Heckelmanns. Gerlachs Initiative, die Lehre evaluieren zu lassen, wird im AStA zwar prinzipiell begrüßt, doch sein Vorgehen abgelehnt: daß er die Aktion ganz in die Hände seiner Verwaltungsfachleute gelegt hat, ohne Studentenvertreter zu Rate zu ziehen. Noch mehr verübelt ihm der AStA die Wahl seiner Vizepräsidenten. Um die FU-Rechten einzubinden, hatte sich Gerlach eine Vize- Riege mit konservativer Schlagseite wählen lassen. Nur der Politologe Väth gilt als »linker« Vizepräsident — »ein rosa Kaninchen im schwarzen Stall«, so der Kommentar aus dem AStA-Öffentlichkeitsreferat.

Schwer tun sich auch die FU- Frauen mit Gerlach. »Er ist lernfähig«, attestiert ihm Christine Färber, die Frauenbeauftragte. Auch habe er ganz allgemein durchaus Frauenförderung auf seine Fahnen geschrieben. Im politischen Alltag jedoch ist nach ihrer Ansicht wenig davon zu spüren. Das peinlichste Schauspiel lieferte sich der linksliberale Präsident im AS, als er sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte, daß FU- Verträge sprachlich geschlechtsneutral abgefaßt werden. Geschlagen gab er sich erst, als auch die Konservativen im AS ihn in dieser Frage links überholten und sich die Forderung nach der Berücksichtigung des Weiblichen in der FU-Amtssprache zu eigen machten.

Am meisten scheint Gerlach seine professoralen Kollegen verprellt zu haben. Unerträglich empfinden Professoren aus allen politischen Lagern seinen Führungsstil und sein Gebaren im AS. »Er schneidet Leuten das Wort ab, er kommentiert, was sie sagen, redet mehr selbst als alle Senatsmitglieder zusammen und mahnt dann auch noch die Senatoren, sich kurz zu fassen«, empört sich ein AS- Mitglied. Der »Lümmel« war nur einer unter vielen Ausfällen, mit denen Gerlach diejenigen, die ihn vor einem Jahr noch hoffnungsfroh gewählt haben so irritiert hat, daß er seinen politischen Rückhalt zu verlieren droht. Sechs Seiten lang ist ein Beschwerdebrief, den ihm ein linker Germanistik-Professor vor einigen Wochen geschickt hat und der nun, nachdem Gerlach überhaupt nicht auf ihn reagiert hat, bei den Dekanen kursiert. An den Fachbereichen braut sich gegen Gerlach etwas zusammen. Stellen hat er eigenmächtig verschoben, hat etwa dem Otto- Suhr-Institut Mitarbeiterstellen abgezogen, um sich eine SED-Forschungsstelle einzurichten — vor allem hat er für einen linksliberalen Präsidenten die Todsünde begangen, bei derartigen Entscheidungen die Fachbereiche und die zuständigen Gremien zu übergehen. »Mit seinem autoritären Führungsstil verprellt er sich seine Basis«, urteilt ein keineswegs linker FU-Senator, »und er merkt nicht, daß er in die Isolation gerät, weil er sich selbst so toll findet.« Der professorale Unmut über Gerlach ist allerdings nicht zuletzt eine Reaktion darauf, daß er sich nicht in erster Linie um Imagepflege und eine massive Interessenvertretung der FU bei der Neuordnung der Hochschullandschaft kümmert, sondern um die Verbesserung der Lehre. Warum ausgerechnet dieses Anliegen den Juraprofessor so sehr umtreibt, ist seinen Standeskollegen ein Rätsel. Und daß er auch noch Nestbeschmutzung betreibt, öffentlich über Mängel in der FU-Lehre redet, obwohl er mit Verweis auf den bundesweiten Vergleich (da wird die FU-Lehre hochgelobt) genausogut Werbung machen könnte für seine Universität. Noch unangenehmer: Gerlach ist dabei, heilige Kühe der Professoren zu schlachten, indem er Vergünstigungen wie Forschungssemester und Tutorenstellen abhängig machen will von der Leistung des Professors. Muß sich ein deutscher Professor, egal ob rechts oder links, das bieten lassen, daß seine Leistung bewertet, seine Fehlleistung möglicherweise gar bestraft wird? Gerlach bricht ein Tabu seiner Standeskollegen — daß sie es ihm danken, wird er nicht erwartet haben. Daß er sich durch seinen Führungsstil zugleich seine Sympathien verscherzt, könnte für ihn böse Folgen haben. Winfried Sträter