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Wieder „bleierne Jahre“ in Italien?

Rom (taz) — Italiens noch amtierende Regierung sucht nach dem Mord an dem Mafia-Ermittler Falcone Entschlossenheit zu zeigen — auch am Parlament vorbei. Auf dem Dekretweg wurden Notstandsmaßnahmen eingeführt: Die Polizei muß künftig Festnahmen nicht mehr innerhalb von 24 Stunden, sondern nur noch „ohne Verzögerung“ dem Untersuchungsrichter anzeigen, kann ohne Beisein von Verteidiger und Staatsanwalt verhören und darf auch festnehmen, wenn keine Gefahr im Verzug ist oder ein Täter in flagranti erwischt wird; der Verdacht, es handle sich um ein Mitglied organisierter Banden, genügt. Zusätzlich sollen aussagewillige Mafiosi und Camorroristen noch mehr Strafnachlaß als Rabatt bis zu einem Drittel der Strafe bekommen und danach besser geschützt werden.

Justizminister Martelli und sein Innen-Kollege Scotti waren in Rom noch dabei, der Presse die Einzelheiten ihres Dekrets zu erläutern, als im ganzen Land bereits die Polizeihubschrauber knatterten, Maschinengewehre in Anschlag gebracht, Häuser durchsucht wurden. In einer wahren Menschenjagd, die fatal an die kopflose Terroristenjagd der „bleiernen Jahre“ vor anderthalb Jahrzehnten erinnert, nutzten die Ordnungskräfte die neue Freiheit.

Der Erfolg war nur auf den ersten Blick phänomenal — zwar wurden an die 1.400 Personen festgenommen, doch kaum ein Drittel davon erwies sich als so weit verdächtig, daß man sie auch nach den neuen Bestimmungen in Haft halten kann.

Besonnene Juristen wie der Staatsanwalt Di Lello in 'Il Manifesto‘ oder der Fachjournalist Guido Neppi Modona in 'La Repubblica‘ erinnern denn auch daran, daß derlei hektische, aber ziellose Aktivität Aufklärungsbemühungen eher behindert denn fördert: Auch nach der Ermordung des Generals dalla Chiesa 1982 in Palermo hatte es aufgrund schnell durchgepeitschter Neuregelungen Tausende von Festnahmen gegeben. Deren Aufarbeitung hatte die Justiz Monate gekostet — bis man erkannte, daß die besonders „Verdächtigen“ gerade von der Mafia losgeschickt worden waren, um die Ermittlungsarbeiten zu verzögern. Werner Raith

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